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Organspende: Die Chance auf ein zweites Leben

Die Zahl der Organspender in Baden-Württemberg ist im vergangenen Jahr auf 126 gestiegen. Im Vorjahr waren es noch 95. Auch an der Tübinger Uniklinik waren es 2018 mehr als bisher. Um den Trend zu verstärken, hat Gesundheitsminister Jens Spahn kürzlich ein Reformpaket zur Organspende auf den Weg gebracht. Die damit verbundenen strukturellen Veränderungen an den Kliniken halten Tübinger Chirurgen für lange überfällig

»Back table«-Präparation (Vorbereitung vor einer Implantation in kaltem Wasserbad) eines Darmtransplantates durch Alfred Königsr
»Back table«-Präparation (Vorbereitung vor einer Implantation in kaltem Wasserbad) eines Darmtransplantates durch Alfred Königsrainer (links) und Silvio Nadalin. FOTO: UNIKLINIKUM TÜBINGEN
»Back table«-Präparation (Vorbereitung vor einer Implantation in kaltem Wasserbad) eines Darmtransplantates durch Alfred Königsrainer (links) und Silvio Nadalin. FOTO: UNIKLINIKUM TÜBINGEN

TÜBINGEN/ESSLINGEN. Er habe erlebt, was es heißt, mit einem Bein im Grab zu stehen, sagt Ardijan Ujupaj. Sieben Jahre lang hat er auf eine neue Leber gewartet, hatte schließlich kaum noch Hoffnung, jemals wieder gesund zu werden und ein normales Leben zu führen. Mittlerweile genießt der 40-Jährige mit einem Spenderorgan sein neues Leben. Er weiß jeden Tag zu schätzen, und will dazu beitragen, dass das Thema Organspende kein Tabu mehr ist. Er will über Aufklärung helfen, Leben zu retten.

Eine Autoimmunkrankheit hat seine Leber zerstört. Begonnen hatte es 2006 mit ständiger Müdigkeit, Fieberschüben, Bauchschmerzen, Erbrechen, Gewichtsverlust und Unverträglichkeiten gegenüber fetten Speisen. Sein Hausarzt vermutete einen Infekt, riet dem leidenschaftlichen, durchtrainierten Fußballer sich auszukurieren. »Fußball war mein Leben. Aber ich konnte nicht mehr.« Er sei zuvor nie krank gewesen, habe nicht geraucht und kaum Alkohol getrunken. »Mal ein Glas Sekt bei Familienfeiern«, sagt er.

Ardijan Ujupaj im Sommerurlaub vergangenen Jahres. FOTOS: PRIVAT
Ardijan Ujupaj im Sommerurlaub vergangenen Jahres. Foto: Privat
Ardijan Ujupaj im Sommerurlaub vergangenen Jahres.
Foto: Privat
»Wenn ich 60 werde, wäre das super, und jedes weitere Jahr wäre ein Geschenk«

Als seine Augen gelb wurden und auch die Haut sich blass-gelblich verfärbte, befürchtete Ujupaj, an Gelbsucht erkrankt zu sein. Sein Bruder hatte als Baby daran gelitten. Nach einer erneuten Untersuchung erfuhr der Familienvater von seinen schlechten Leberwerten und kam umgehend ins Krankenhaus.

Nach Tübingen wollte er nicht. Als er 16 Jahre alt war, habe sein gleichaltriger Onkel einen Verkehrsunfall gehabt und sei in die Tübinger Uniklinik eingeliefert worden. Dort habe man nur noch dessen Hirntod feststellen können und die Familie gebeten, die Organe des jungen Mannes zu spenden. Die Eltern hatten das vehement abgelehnt, der 16-Jährige sollte nicht angerührt werden, erzählt Ujupaj. Spätestens mit Beginn seiner eigenen Leidensgeschichte habe man diese Entscheidung bereut.

Organspende-Empfänger Ardijan Ujupaj in der Tübinger Uniklinik.
Organspende-Empfänger Ardijan Ujupaj in der Tübinger Uniklinik. Foto: Privat
Organspende-Empfänger Ardijan Ujupaj in der Tübinger Uniklinik.
Foto: Privat

Seine Diagnose: chronische Gallenwegsentzündung im Inneren der Leber. Zum Absaugen des Sekrets in den Gallenwegen musste er regelmäßig in die Klinik, nahm Unmengen an Antibiotika. Aber die Entzündungen kamen immer wieder, und die Gefäße waren durch die ständigen Eingriffe angegriffen. »Ich war nur noch im Krankenhaus, zeitweise vier Wochen am Stück«, erinnert sich der Industrieelektroniker. »Die Intervalle, in denen es mir gut ging, wurden immer kürzer.«

Unter der gravierenden Einschränkung der Lebensqualität litt auch die Psyche. Die gelben Augen versteckte er in der Öffentlichkeit hinter einer Sonnenbrille, das bleiche Gesicht verdeckte zum Teil eine Baseballkappe. Die ständigen Entzündungen führten jedoch dazu, dass auch die Leber selbst in Mitleidenschaft gezogen wurde. Fast alle chronischen Leberkrankheiten führen im Endstadium zu einer Leberzirrhose, das heißt, das größte Entgiftungsorgan des Menschen versagt den Dienst. Das war schließlich auch bei Ujupaj der Fall, eine neue Leber war unumgänglich. So kam er dann doch nach Tübingen und ließ sich auf die Transplantationsliste setzen.

Am 2. August 2008, seinem fünften Hochzeitstag, kam der ersehnte Anruf. Ob er sich sofort auf den Weg nach Tübingen machen könne? Kurz vor Mitternacht wurde er dann operiert, erhielt die Leber einer 60-Jährigen. Zwei Jahre später wurden jedoch Komplikationen festgestellt, und Ujupaj kam wieder auf die Liste. Diesmal musste er sieben Jahre warten. Dreimal hatte man ihn in der Zeit nach Tübingen bestellt und immer wieder nach Hause geschickt, weil die Bedingungen doch nicht optimal waren.

Er sei auf ein finanzielles Disaster zugesteuert, und auch die Krankenkasse habe Druck gemacht. Doch sein Operateur, Professor Silvio Nadalin, mit dem er in regelmäßigem Kontakt stand, forderte ihn immer wieder auf durchzuhalten. »Nicht aufgeben, wir schaffen das«, schrieb ihm der Mediziner in einer Nachricht aufs Mobiltelefon. »Wir haben Sie nicht vergessen. Wir warten nur auf das richtige Angebot.«

Als es dann vorlag, hatte Ujupaj sein Testament gemacht und verabschiedete sich von seiner Frau. Neun Stunden lang wurde er von einem sechsköpfigen, perfekt eingespielten Team operiert, hatte anschließend mit Blutverlust und Nierenversagen zu kämpfen und kam erst langsam wieder auf die Beine. »Die neue Leber war von Anfang an top«, sagt er voller Dankbarkeit. Und je mehr Zeit vergeht, desto sicherer fühlt er sich mit dem Spenderorgan.

Nach sechs Monaten hat er wieder angefangen zu arbeiten. Er lebe jetzt bewusster. »Wenn ich 60 werde, wäre das super. Und jedes weitere Jahr wäre ein Geschenk. Schließlich will ich auch noch Opa werden.« Das Wichtigste: Gesund zu bleiben, mit der Familie glücklich sein. Der vergangene Sommerurlaub, den er mit dem Sohn (zwölf Jahre), der Tochter (acht) und seiner mit dem dritten Kind schwangeren Frau in der Türkei am Meer erlebt hat, sei der schönste gewesen, den er je hatte. Vom Fußball ist er auf Walking und Radfahren umgestiegen. »Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu viel zunehme«, gesteht er lachend. Vor der Krankheit habe er 75 Kilo gewogen. Derzeit sei er bei 90. »Professor Nadalin würde schimpfen, wenn er das wüsste.« (GEA)