REUTLINGEN. Volle Strände, tausende Reiserückkehrer, Testpflicht-Debatte: Wer in diesen Tagen Nachrichten verfolgt, hat den Eindruck, ganz Deutschland sei im Ausland auf Reisen – und bringe, einmal zurückgekehrt, die Coronaviren mit nach Hause. In den Medien geht es um die heranschwappende »zweite Welle«, eingeschleppt durch Auslandsreisende. Wirtschaft und Politik zittern: Die Urlauber kommen! Passanten in der Reutlinger Wilhelmstraße haben dagegen bei einer GEA-Umfrage mehrheitlich angegeben, 2020 überhaupt nicht mehr Urlaub machen zu wollen – und wenn, dann in Deutschland. Urlaubsrückkehrer ließen sich kaum finden. »Reutlingen bleibt lieber zu Hause« könnte der Titel der Umfrage lauten. Oder: »Hier ist es doch auch schön!«, wie das Daniel Frenz formuliert.
Daniel Frenz (42) und seine Frau Jennifer (40) laufen an dem Morgen über den Marktplatz. »Ich habe gar keinen Urlaub gemacht, dieses Jahr«, schießt es aus Jennifer Frenz heraus. Ihr Mann schiebt nach: »Ich mache nie Urlaub. Wir haben einen Garten. Was wir brauchen, ist da.« Erst später erinnert sich seine Frau dann doch: »Von Februar bis März war ich in den USA«, erzählt sie. Sie hatte Glück und verpasste den Lockdown um Tage. Wenn es gut liefe, wolle sie Dezember noch einmal rüber. Angst vor dem Virus habe sie keine. Falls das mit den USA aber nicht klappe, sei das auch okay, sagt Renz. Das Zuhause bleiben stört das Ehepaar nicht.
»Man muss es ja nicht herausfordern«, ist Roman Theobald Meinung. Der 70-Jährige sagt, er »mache eigentlich immer Urlaub« und lacht dann. »Ich bin Rentner« schiebt er zur Erklärung hinterher und erzählt, dass er 2020 schon verreist ist, aber nur innerhalb Deutschlands. »Mal war ich mit dem einen Enkel unterwegs, mal mit dem anderen«, sagt er. »Natürlich auch mal mit meiner Frau«, betont der 70-Jährige schnell. Bei einem Auslandsurlaub fürchte er, lange in Quarantäne zu müssen. »Außerdem ist meine Schwiegermutter 90.« Die wolle er nicht gefährden.
Sorge um andere hat Cornelia Kaiser auch. Die 53-Jährige hätte bei einem Auslandsaufenthalt aber auch Angst um sich selber. »Zu Hause habe ich wenig Sorge, mich anzustecken«, sagt sie. Die Maske ist ihr aber beim Foto dennoch wichtig. Da sie immer Spätbucher sei, hätte sie wegen der Coronakrise zwar nichts stornieren müssen, das Virus schränke ihre Pläne aber ein. Gefragt nach der befürchteten zweiten Welle verfällt die 53-Jährige ins Lachen: »Die haben wir doch eigentlich schon«, meint sie. Kaiser befürchtet, dass die Infektionszahlen wegen der Reiserückkehrer noch ansteigen werden.
Diese Sorge haben auch die Freundinnen Mariana Ursu (36) und Eva Szanto (24). Ursu wollte eigentlich dieses Jahr nach Italien reisen. Szanro nach Rumänien, dort ist ihre Heimat. Neben der Angst vor einer Infektion beschäftigen die beiden aber auch die, wie sie finden, zahlreichen Einschränkungen durch die Coronakrise. Ihre Italienreise hatte Ursu für den 24. August geplant, jetzt hat sie »alles abgesagt« – aus Angst, und weil es doch sehr kompliziert sei, gerade mit all den Coronamaßnahmen. Szanro hat den Besuch ihrer Heimat dagegen nur verschoben: »Vielleicht fahre ich im Oktober doch noch nach Rumänien.« »Mal sehen«, sagt sie. Gebucht ist noch nichts.
»Ich glaube ja, dass das nichts werden wird, mit dem geplanten Urlaub im November«, denkt sich auch Ghislaine Lambinet. Die 54-Jährige ist Belgierin, nicht Französin, wie sie betont. Lambinet hat auch Verbindungen nach Kanada: »Eigentlich wollte ich Anfang dieses Jahres dort Verwandte von mir besuchen, aber die Fluggesellschaft hat alles während des Lockdowns storniert«, erzählt sie. Wenn überhaupt, wolle sie dieses Jahr nur noch innerhalb Deutschlands verreisen. »Es zieht mich auch nicht nach außen. Ich finde es gut, mal wieder Deutschland zu entdecken«, betont sie. Für die Reiserückkehrer findet Lambinet deutliche Worte: »Die Urlauber sind sehr unvorsichtig und es wird sicher auch wegen ihnen eine zweite Welle geben.« Nicht die eher ruhigen Reisenden besorgten sie – aber die Partyszene. Die sei das wirkliche Problem.
Toni Bauer (17) würde dagegen ohne mit der Wimper zu zucken auch auf Reisen im Ausland Party machen – wenn er denn nur vom Geschäft aus noch Urlaub hätte, erzählt er. »Wer würde denn gerade nicht ins Ausland fliegen wollen?«, fragt er zurück. »Am liebsten wäre ich jetzt mit meinem Vater und Bruder in Spanien am Strand«, träumt er vor sich hin. Angst vor Corona? »Nö«, habe er nicht. »Ich kenne zwar welche, die Corona hatten«. Der Bruder eines Kollegen sei sogar gestorben. »Aber manche haben auch nur Kopfschmerzen«, meint der 17-Jährige. Insgesamt sieht er die Sache wohl eher locker.
Diesen Eindruck macht auch Nick Nowak. Er ist Flugbegleiter: »Ich mache also viel Urlaub.« Nowak zählt auf: »Ich war letztens in Portugal, der Schweiz, auf Santorin.« Dort hätte er beobachten können, dass das Reisen für viele eine Art Sucht ist: »Die Leute wollen weg. Im Urlaub schmeißen die dann ihr Geld raus.« Dementsprechend voll seien aktuell auch die Flugzeuge. Für die Flugbegleiter hätte der eingeschränkte Service zwar Stress minimiert, erzählt er. »Aber die Maßnahmen zu kon-trollieren, ist nervig. Wir sind ja keine Polizisten.« Angst vor Corona habe er nicht. »Null. Komplett zero«, betont er zweimal. Die zweite Welle gäbe es nur, weil mehr getestet würde.
Testenlassen: Regina Lenz hat das nach ihrem letzten Urlaub durchaus versucht. Zweimal sogar habe sie Anstrengungen unternommen, wie sie sagt: "Ich hatte in den Nachrichten gelesen, wo man sich in Tübingen testen lassen kann und bin anschließend hingefahren", erzählt die 60-Jährige. "Als ich ankam, war die Abstrichstelle aber leer." Niemand sei mehr da gewesen. Lenz kam damals aus dem Österreich-Urlaub. Etwas Ausland also, aber nicht viel. "Wir waren wandern, Rad fahren, einfach mal ausruhen", erzählt sie. In gut einer Woche fährt sie noch einmal ins Nachbarland. Eigentlich habe Schweden das insgesamt besser gemacht als Deutschland mit dem Coronavirus, findet Lenz. "Wir hatten immerhin vor zwei Jahren eine Grippewelle. "Da hat sich auch niemand so aufgeregt", begründet Lenz ihre Kritik an der deutschen Corona-Strategie.
Tsotso Gack (50) hat dagegen richtig Angst vor dem Virus und auch vor einer zweiten Welle. Ihre Tochter schenkte ihr zu ihrem 50. Geburtstag einen Trip nach London. »Den hab ich jetzt abgesagt«, erzählt sie. Leicht fiel ihr das nicht. In London aber sei es ja mit dem Coronavirus noch schlimmer als in Deutschland. »Ich habe einfach Angst, mich anzustecken«, meint Gack. Ein zweiter Versuch im Oktober ist nun geplant. Ob das dann klappt, ist ungewiss. »Dass die Leute gerade so viel fliegen, finde ich nicht gut.« Gack bleibt zu Hause.
»Am Ende wird das eh alles kurzfristig entschieden«, trifft Brigitte Müller den Nagel auf den Kopf. Die 60-Jährige liebt es zu wandern. Zum Beispiel im Harzgebirge, erzählt sie. In der Region, in Deutschland könne man auch viel machen, betont Müller immer wieder und fängt an, einiges aufzuzählen. Sie lacht: »Eigentlich ist es doch auch bei uns hier einfach sehr schön.« (GEA)