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70 Jahre Tierheim Reutlingen: Vom Hundeverein zum modernen Tierasyl

Das Tierheim Reutlingen feiert in diesem Jahr 70-jähriges Bestehen. Was nach dem Zweiten Weltkrieg als Hundeverein startete, entwickelte sich schnell zu einem professionellen Tierschutzverein.

Das Tierheim Reutlingen aus der Vogelperspektive. Mit einer Fläche in der Größe von etwa 14 Fußballfeldern gehört es nach eigene
Das Tierheim Reutlingen aus der Vogelperspektive. Mit einer Fläche in der Größe von etwa 14 Fußballfeldern gehört es nach eigenen Angaben zu den größten in Baden-Württemberg. Foto: Steffen Schanz
Das Tierheim Reutlingen aus der Vogelperspektive. Mit einer Fläche in der Größe von etwa 14 Fußballfeldern gehört es nach eigenen Angaben zu den größten in Baden-Württemberg.
Foto: Steffen Schanz

REUTLINGEN. Die Vorläufer des Reutlinger Tierheims waren zu Beginn der 1950er-Jahre Provisorien: Sechs schlichte Hundeboxen auf einer Obstwiese im Betzenried markierten den Anfang. Es waren Unterkünfte für herrenlose Tiere, oder solche, die keiner mehr haben wollte. Die Mitglieder des Hundevereins kümmerten sich, gaben den Hunden Wasser aus einem Brunnen unterhalb des Gütles, sammelten Futterspenden und vermittelten die Tiere durch Mund-zu-Mund-Propaganda weiter. 1953 wurden aus dem Provisorium feste Unterkünfte auf einem Gelände in Betzingen. Zwei Jahre später gab's zunächst die Vereinssatzung und im Herbst 1955 schließlich den Eintrag ins deutsche Vereinsregister: Der Tierschutzverein Reutlingen ging an den Start. »Die Stadt Reutlingen spendete zum Start übrigens 80 D-Mark«, weiß Tierheimsprecherin Heidi Renner.

Aus der Notlösung der 1950er-Jahre entwickelte sich in den Folgejahren immer mehr zu einer festen Institution in Reutlingen. Treibende Kraft war seinerzeit Felix Götze, der das erklärte Ziel hatte, ein eigenes Gelände und ein echtes Tierheim für die Stadt zu etablieren. Er organisierte dafür Straßensammlungen, Jugendaktionen, ein Mitgliederblatt und erste Benefizveranstaltungen. Das sollte finanziellen Schub bringen auf dem Weg zum eigenen Tierheim. 1966 schließlich stellte die Stadt das Gelände am Stettert zur Verfügung. Ein Jahr später war Baubeginn, Ende der 1960er war das Tierheim Reutlingen fertiggestellt. In den 1970ern folgten mit dem Wirtschaftsgebäude, dem Katzenhaus und neuen Tierunterkünften für Kleintiere noch etliche Erweiterungen.

Ein Luftbild aus der Zeit, als das Tierheim am Stettert ein Neubau war. Ende der 1960er-Jahre waren die Bauarbeiten beendet.
Ein Luftbild aus der Zeit, als das Tierheim am Stettert ein Neubau war. Ende der 1960er-Jahre waren die Bauarbeiten beendet. Foto: Tierheim Reutlingen
Ein Luftbild aus der Zeit, als das Tierheim am Stettert ein Neubau war. Ende der 1960er-Jahre waren die Bauarbeiten beendet.
Foto: Tierheim Reutlingen

Aus allem erwuchs über die Jahrzehnte ein modernes, landesweit anerkanntes Tierheim. Am Prinzip, Streunern und herrenlosen Tieren eine Bleibe und ein vorübergehendes, aber sichereres Zuhause abseits von Straße und Wildnis zu geben, hat sich bis heute nichts geändert. Wie einst, gehören Tierschutzverein und Tierheim Reutlingen untrennbar zusammen.

Heute stehen der Verein mit den etwa 1.500 Mitgliedern und das Tierheim mit seinen professionellen Tierpflegern, Helfern und Ehrenamtlichen vor neuen Herausforderungen. Sie betreuen und pflegen nicht nur knapp 2.000 Tiere pro Jahr, sie sorgen auch dafür, dass kranke Tiere Behandlungen von Tierärzten erhalten. Sie kümmern sich um streunende Hunde und Katzen im Landkreis Reutlingen inklusive deren Kastration, sie kümmern sich mittlerweile regelmäßig um unterernährte und verletzte Igel, die ihnen gebracht werden. Auch um Wildtiere, die Hilfe benötigen, wie zuletzt beispielsweise ein Schwan, ein Uhu oder ein Graureiher.

Felix Götze, einer der ersten Vorsitzenden des Tierschutzvereins, verwirklichte maßgeblich den Bau des Tierheims in den 1960er-J
Felix Götze, einer der ersten Vorsitzenden des Tierschutzvereins, verwirklichte maßgeblich den Bau des Tierheims in den 1960er-Jahren. Foto: Tierheim Reutlingen
Felix Götze, einer der ersten Vorsitzenden des Tierschutzvereins, verwirklichte maßgeblich den Bau des Tierheims in den 1960er-Jahren.
Foto: Tierheim Reutlingen

Ein Standbein des Tierheims sind außerdem die sogenannten Pensionstiere, also beispielsweise Hunde oder Katzen, die dort einziehen, während Herrchen und Frauchen im Urlaub weilen. Doch es gibt weitere finanzielle Säulen, auf denen Verein und Tierheim bauen. »Das sind hauptsächlich natürlich die Mitgliedsbeiträge und Spenden, aber auch die Events, die wir organisieren«, erklärt Heidi Renner. Dazu zählten Flohmärkte, Feste oder der beliebte Weihnachtsmarkt. Ein ziemlich wichtiger Teil der Finanzierung speist sich aus Erbschaften. »Es ist tatsächlich so, wie manchmal in Filmen dargestellt, dass Menschen in ihrem Testament verfügen, dass ihr Vermögen, oder Teile davon, ans Tierheim gehen. Damit können wir aber nicht sicher kalkulieren«, so Renner.

Fest steht dagegen eine staatliche Leistung, die sogenannte Fundtiererstattung. »Wir bekommen einen festen Betrag für jedes aufgefundene Tier, das wir anschließend pflegen. Meist deckt dieser Betrag aber nicht die Kosten, die beispielsweise häufig für die Tierarztbehandlungen anfallen«, erklärt die Tierheimsprecherin. »Die Zahl der Tiere, die verletzt oder in einem erbärmlichen Zustand bei uns landen, steigt an«, ergänzt Nina Herzog. Die Tierpflegerin sitzt auch im Vereinsvorstand und hat sich seit vielen Jahren einen Namen als Hunde-Expertin gemacht.

Tierheimsprecherin Heidi Renner (rechts) und ihre Kollegin Nina Herzog, die sich hauptsächlich um die Hunde kümmert, am Tierheim
Tierheimsprecherin Heidi Renner (rechts) und ihre Kollegin Nina Herzog, die sich hauptsächlich um die Hunde kümmert, am Tierheimbaum in einem Freigehege für Hunde. Foto: Steffen Schanz
Tierheimsprecherin Heidi Renner (rechts) und ihre Kollegin Nina Herzog, die sich hauptsächlich um die Hunde kümmert, am Tierheimbaum in einem Freigehege für Hunde.
Foto: Steffen Schanz

Sowieso, die Hunde: »Die bräuchten dringend ein neues Hundehaus, denn das alte ist wirklich marode. Aber, ob ein Neubau finanzierbar ist, bleibt momentan noch unklar«, so Herzog. Hinzu komme, dass die Katzenstation seit langem ständig überfüllt ist, auch die Schildkröten, die immer zahlreicher im Tierheim werden, bräuchten ein neues Zuhause. Überall offene Baustellen also, die zunächst mal finanziert werden müssten. »Wir haben jährliche Ausgaben von etwa 1,4 Millionen Euro. Die müssen erstmal reinkommen. Wenn dann noch etwas übrigbleibt, dann könnten wir die notwendigen Sanierungen angehen«, erklärt Heidi Renner.

Ab hier wird sie politisch: »Die Tierheime benötigen dringend mehr Unterstützung durch die Kommunen. Denn wir übernehmen für sie eine Aufgabe, für die sie eigentlich zuständig sind. Rechtlich heißt das: Fundsache Tier.« Schließlich sei das Tierheim Reutlingen rund um die Uhr für aufgefundene Tiere da. »Nicht selten kommen Polizisten mit Tieren hier an, die sie beispielsweise bei ihrem Einsatz gefunden haben. Da waren auch schon exotische Schlangen darunter. Ein Streifenpolizist hat mal zu mir gesagt, was würden wir ohne das Tierheim nur machen«, berichtet Renner. Die Stadt Reutlingen würde sich leider der finanziellen Unterstützung entziehen. »Immer mit dem Hinweis auf die kritische Haushaltslage.«

»Wer ein Haustier hält, muss Verantwortung übernehmen«

Zudem brauche Reutlingen unbedingt eine Kastrationsverordnung, wie es sie beispielsweise schon in Hechingen oder Herrenberg gebe. Diese würde Katzenbesitzer verpflichten, ihre Tiere kastrieren zu lassen. Das würde die unkontrollierbare Vermehrung der Tiere und die damit oft einhergehende Verelendung eindämmen: »Ohne Katzenkastration werden immer mehr Streunerkatzen produziert«, prognostiziert sie.

Renners Forderungen an die Politik gehen über das Rathaus Reutlingen hinaus: »Das Land Baden-Württemberg hat jährliche Einnahmen von etwa 50 Millionen Euro, allein aus der Hundesteuer. Diese müssten dringend auch den Tierheimen im Land zugutekommen.« Zudem bräuchte es endlich einen Hundeführerschein und Sachkundeprüfungen für Tierbesitzer. »Wer ein Haustier hält, muss Verantwortung übernehmen. Tiere sind keine Gegenstände, die man einfach entsorgen kann, wenn sie einem nicht mehr gefallen. Bedauerlicherweise passiert das aber immer noch viel zu häufig«, Renner wird deutlich. Außerdem gehörten Hunde und Katzen europaweit jeweils mit einem Chip ausgestattet. (GEA)