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Aktuell INTERVIEW

Kesser Blick aufs Ende

Autorin Hannah Zufall über die Zimmertheater-Produktion »Freund Hein – ein Audio-Walk mit dem Tod«

Hannah Zufall sitzt auf der »Ruhestätte«, die vor dem Zimmertheater eine der Stationen zum kontemplativen Hören mit Blick auf de
Hannah Zufall sitzt auf der »Ruhestätte«, die vor dem Zimmertheater eine der Stationen zum kontemplativen Hören mit Blick auf den Neckar sein wird. FOTO: ZIMMERTHEATER
Hannah Zufall sitzt auf der »Ruhestätte«, die vor dem Zimmertheater eine der Stationen zum kontemplativen Hören mit Blick auf den Neckar sein wird. FOTO: ZIMMERTHEATER

TÜBINGEN. Das Tübinger Zimmertheater ist wie alle Bühnen im Land seit Mitte März geschlossen. Wie man Kunst dennoch nicht nur im digitalen Raum anbieten kann, daran arbeitet das Theaterteam seitdem intensiv. Und hat für die für Ende April geplante Theaterpremiere einen kreativen Weg gefunden. Die Autorin und Regisseurin Hannah Zufall wollte ursprünglich das Publikum zur gemeinsamen Stocherkahnfahrt einladen und dabei mit dem Ensemble auf den Spuren des Todes wandeln, inklusive Leichenschmaus am Ende. Zum Probenstart musste das Konzept coronabedingt umgeworfen werden. Nun lädt das Zimmertheater zu einem theatralen Spaziergang ein: »Freund Hein – ein Audio-Walk mit dem Tod«. Zimmertheater-Intendant Dieter Ripberger hat Hannah Zufall dazu befragt.

Wie seid ihr mit der Situation umgegangen, als klar war, dass das Theater aufgrund behördlicher Verfügung für das Publikum geschlossen werden muss?

Hannah Zufall: Mir kam der Gedanke, dass es seine eigene Ironie hat, dass das Stück über den Tod nun selbst gestorben ist. Ich hatte die Figuren aber schon sehr klar im Kopf und dachte dann, dass dieses Stück eben wohl nur noch in meiner Imagination spielen kann. Na ja, und so ist dann die Idee entstanden, die Stimmen einfach ohne Inszenierung und ohne Menschen erfahrbar zu machen. Und genau diese Verlusterfahrung, die wir gerade selbst erlebt haben, explizit mit zum Thema zu machen. Der jetzt entstandene Audio-Walk mit den Stimmen der Schauspieler ist quasi unser ästhetisch überspitzter Trauerprozess. Darauf folgten sehr viele Skype-Textproben, noch mehr Test-Aufnahmen und der ehrgeizige Versuch, eine – wie meine Oma sagen würde – todschicke App für einen Spaziergang via Smartphone zu entwickeln, die so einfach und intelligent ist, dass jeder sie benutzen kann.

Es wird ein durchaus freches, sarkastisches Stück über den Tod, mit reichlich Schmäh – das nun aber in Zeiten von Corona rezipiert wird. Können wir das jetzt überhaupt noch machen?

Zufall: Auf jeden Fall. Ich habe den Text direkt vor Corona geschrieben, und als ich ihn dann in der veränderten Situation wieder gelesen habe, habe ich auch ab und zu ernsthaft überlegt, ob dieser oder jener Spruch jetzt noch angemessen ist. Und dann habe ich gedacht – ja, ist okay so. Es gibt nie den richtigen Zeitpunkt, über den Tod zu sprechen. Und es ist immer schwer, den richtigen Ton zu treffen. Das hat, glaube ich, jeder schon mal erlebt, der versucht hat, die richtigen Worte für ein Kondolenzschreiben zu finden. Und manchmal ist es eben auch einfach der deftige, tiefschwarze Galgenhumor, der einen dann wieder durchatmen lässt. Daher gibt es in diesem Text immer noch diese frechen Töne, aber eben auch viele nachdenkliche, zaghafte oder sachliche Momente.

 

»Ich glaube, man kann gar nicht zu viel Montaigne lesen«

 

Was müssen die Besucher tun, um den Audio-Walk zu erleben?

Zufall: Wie bei jedem guten Theaterbesuch muss man runter vom Sofa. Aber bitte allein oder nach den behördlichen Vorgaben. Man packt also sein Smartphone und die Kopfhörer ein und geht ganz real und leiblich zum Theater. Dort findet sich im Schaufenster eine Anleitung, wie man die App aufrufen kann. Statt einer Premiere mussten wir jetzt ja irgendwann einen Startpunkt festlegen – das ist am Samstag um 16 Uhr. Aber bitte nicht alle auf einmal kommen – oder aber disziplinierte Schlangen bilden! Die App machen wir technisch so einfach wie möglich und programmieren alles so, dass möglichst wenig mobiles Datenvolumen erforderlich ist. Alle Beteiligten haben umdisponiert: Die Ausstatterin entwirft nicht nur Kostüme, sondern dekoriert Schaufenster in der Stadt, an denen man während des Audio-Walks vorbeikommt. Ohne die Bereitschaft dieses ganz wunderbaren Theaterteams, das alles möglich zu machen, wäre der Tod dieser Produktion nicht abzuwenden gewesen.

Wieso beschäftigt dich der Tod überhaupt? Was hat »Freund Hein« mitten im Leben zu suchen? Hast du zu viel Montaigne gelesen, im Sinne von »Philosophieren heißt sterben lernen«?

Zufall: Zunächst: Ich glaube, man kann gar nicht zu viel Montaigne lesen. Ich würde eher sagen, dass ich das Leben sehr gerne mag. Und ich freue mich oft besonders, lebendig zu sein, wenn ich mich mit traurigen Filmen, Büchern und so weiter beschäftige. Ist das nicht sogar wissenschaftlich bewiesen? Dass traurige Geschichten einen nachweislich glücklich machen? Der konkrete Auslöser für das Stück war dann aber tatsächlich das Buch einer jungen Bestatterin, die erfrischend humorvoll über ihre Arbeit schreibt. Und die dazu aufruft, sich auch schon in jungen Jahren mit dem eigenen Ende zu beschäftigen. Da dachte ich, sie hat Recht. Und habe damit angefangen. Und was soll ich sagen? Ich habe Spaß mit dem Tod.

 

»Ich glaube, dass Corona deutlich zeigt, was Theater kann und was nicht«

 

 

Du warst letztes Jahr Stadtschreiberin in Jena, bist aktuell nominiert für den Retzhofer Dramapreis 2021 und Teil des sechsköpfigen Autorenkollektivs, das derzeit die Corona-Tagebücher im Live-Online-Verfahren schreibt. Damit habt ihr viel Aufmerksamkeit erzielt. bringt Corona das Theater am Ende ins Grab?

Zufall: Ich frage mal zurück – vielleicht holt Corona ja auch das Theater von den Toten zurück. Nein, Quatsch. Ich glaube eher, dass Corona sehr deutlich zeigt, was Theater kann und was nicht. Theater zeigt sich für mich nicht in den nun überall aufploppenden Onlinestreams. Theater hat vielmehr mit Körpern, mit Sinnlichkeit und mit der Begegnung in einem Raum zu tun. Und mit Stimmungen, die man als Zuschauerin erlebt. Ich denke, dass es auch eine Chance sein kann, dass wir gerade merken, was Theater eigentlich bedeutet. Und dass es fehlt, diese Erfahrung zusammen zu machen. Deswegen möchten wir mit »Freund Hein«, also in der Audio-Walk-Version, auch eher auf diese Lücke verweisen, die das geschlossene Theater hinterlässt. »Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke« – um mal Joachim Meyerhoff zu zitieren – soll vielmehr erhalten bleiben. Bis wir wieder hingehen können, um das Theater und dessen ganz eigene Qualitäten zu feiern. (eg)

 

 

ZUR PERSON

Hannah Zufall, geboren 1987 in Bielefeld, lebt als freie Autorin und Theatermacherin in Berlin. 2018 promovierte sie in Literaturwissenschaften. 2019 war sie Literaturstipendiatin der Stadt Jena und wurde bei dem Bochumer Dramatikwettbewerb »Spiel.Frei.Gabe« ausgezeichnet. (GEA)

DER AUDIO-WALK

»Freund Hein – ein Audio-Walk mit dem Tod«: Ab Samstag, 25. April, 16 Uhr, mit dem eigenen Smartphone und Kopfhörern. Start am Zimmertheater, Bursagasse 16 in Tübingen. Täglich bis 20 Uhr, Dauer etwa 2,5 Stunden. Eintritt: im Pay-what-you-want-Verfahren am Ende via Paypal oder direkt in einen Briefumschlag in den Theaterbriefkasten. Die Textfassung sendet das Theater auf Wunsch postalisch für 5 Euro nach Hause. (GEA)

www.zimmertheater-tuebingen.de