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Pech für den Neandertaler bewegt Tübinger Forscher

Steinzeit-Klebstoff einfacher herzustellen als gedacht. Kein Beweis für höhere geistige Fähigkeiten

Eines der Experimente zur Gewinnung von Birkenpech. Wie Forscher herausfanden, waren gar keine komplizerten Verfahren nötig – un
Eines der Experimente zur Gewinnung von Birkenpech. Wie Forscher herausfanden, waren gar keine komplizerten Verfahren nötig – und schon gar nicht Herstellung unter Luftabschluss. FOTO: Matthias Blessing
Eines der Experimente zur Gewinnung von Birkenpech. Wie Forscher herausfanden, waren gar keine komplizerten Verfahren nötig – und schon gar nicht Herstellung unter Luftabschluss. FOTO: Matthias Blessing

TÜBINGEN. Forscher der Uni Tübingen und der New York University haben entdeckt, dass Birkenpech gar nicht so schwer herzustellen ist. Aus der Verwendung dieses Steinzeit-Klebstoffs kann man also nicht auf höhere geistige Fähigkeiten oder eine komplexe kulturelle Entwicklung schließen.

Neandertaler nutzten Birkenpech als Klebstoff, um Steinkratzer oder -spitzen an Holzgriffen zu befestigen und so Werkzeuge herzustellen. Bisher ging man in der Forschung davon aus, dass Birkenpech nur in einem aufwendigen Prozess hergestellt werden kann, bei dem die Baumrinde unter Luftabschluss erhitzt werden muss.

Nun konnte jedoch ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Patrick Schmidt und Dr. Claudio Tennie von der Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Uni Tübingen nachweisen, dass es auch einen sehr einfachen Weg gibt, an den nützlichen Klebstoff zu kommen. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.

Ganz alltägliche Materialien

Um Birkenpech herzustellen, experimentierten Forscher bisher mit Gruben, Lehmaufbauten, Aschehügeln, metallenen oder Keramikgefäßen. »Nur so kann man erreichen, dass die Birkenrinde unter Sauerstoffabschluss erhitzt wird«, sagt Patrick Schmidt. Dabei war jedoch unklar, welche Hilfsmittel die Neandertaler bereits zur Verfügung hatten und wie sie das nötige Wissen erworben und weitergegeben haben könnten.

Die Forscher experimentierten mit in der Steinzeit alltäglichen Materialien. Sie sammelten im Wald frisch geschnittene oder abgestorbene Birkenrinde und verbrannten sie nahe flachen Flusskieseln mit glatter Oberfläche. Nach drei Stunden sammelten die Forscher bereits eine brauchbare Menge eines schwarzen klebrigen Materials, da sich dieses leicht von der Oberfläche der Steine abkratzen ließ.

Einfache Methode war wirksamer

»Dieses Birkenpech wies ähnliche molekulare Merkmale auf wie archäologische Proben, die wir von Neandertalerfundorten kennen«, sagt Schmidt. Zur Überraschung aller klebte es sogar besser als Birkenpech, das in einem aufwendigen Prozess hergestellt wurde. Um die Haftfestigkeit zu prüfen, klebten die Forscher mit dem selbst gemachten Birkenpech einen Steinkratzer an ein Rundholz und schabten die Knochenhaut vom Oberschenkelknochen eines Kalbs. »Die Klebewirkung ließ dabei nicht nach«, sagt der Mitautor der Studie Matthias Blessing aus dem Tübinger Forschungsteam.

Die Herstellungsweise des Birkenpechs beurteilen die Forscher als so einfach, dass frühere Menschen sie bei ihren Alltagsaktivitäten spontan entdecken konnten. Dazu bedurfte es nur eines Feuers mit Birkenrinde nahe einer glatten Oberfläche von Steinen oder Knochen. »Möglicherweise wurde das Wissen über die Herstellung nicht weitergegeben, sondern die Klebewirkung der Rückstände sogar mehrmals entdeckt«, mutmaßt Claudio Tennie.

In der Wissenschaft läuft eine Debatte zu den geistigen Fähigkeiten der Neandertaler. Dass sie möglicherweise bereits hoch entwickelt waren, müssen die Forscher nun auf andere Weise zu belegen versuchen. (upm)