TÜBINGEN. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ist es gewohnt, bei der Stadtentwicklung von Superlativen zu sprechen. Das wurde vergangene Woche wieder deutlich, als er gemeinsam mit dem Geschäftsführer der Stadtwerke Tübingen (swt), Ortwin Wiebecke, den neuen Solarthermie-Park »Au« einweihte - am Stadtausgang nahe der B 28 in Richtung Reutlingen. »Jetzt ist Tübingen hier auch in der Sitzenposition vertreten«, eröffnete der Schultes. Von momentan herbstlichen Laubbäumen umgeben, werden auf rund 23.000 Quadratmetern ab sofort rund sechs Millionen Kilowattstunden Fernwärme im Jahr produziert - alles durch die Strahlkraft der Sonne.
Die maximale Wärmeleistung der Anlage beträgt sieben Megawatt. »Das ist ein Zwanzigstel der gesamten Leistung in Deutschland«, erklärte Palmer. »Und das lediglich bei einem Tausendstel der Bevölkerung. Wir weihen hier heute etwas Besonderes ein.« Lediglich zwei Solarthermie-Parks auf dem Gebiet der Bundesrepublik übertreffen die hochmoderne Anlage in der Unistadt: Einer steht in Ludwigsburg und schafft neun Megawatt, der andere liegt bei Greifswald im hohen Norden und führt die Liste mit elf Megawatt an.
Wermutstropfen Planungs- und Bauzeit
Dass die noch im Bau befindliche Anlage bei Leipzig Tübingen aber bald vom Treppchen stoßen wird, stört Palmer nicht. »Tübingen geht beim Thema Klimaschutz voran. Und mit den Stadtwerken haben wir einen kompetenten und engagierten Partner.« Ein winziger Wermutstropfen sei die Planungs- und Bauzeit von knapp acht Jahren gewesen. »Es ist eben ein deutsches Projekt«, sagte der OB und schmunzelte. »Aber jetzt ist es geschafft.« Für das knapp 15-Millionen-Euro-Investment steuerte der Bund eine Förderung von rund 5,7 Millionen Euro bei. Ist das Netz einmal gänzlich ausgebaut, könne bei Maximalauslastung die halbe Stadt mit Wärme versorgt werden.

Für swt-Geschäftsführer Wiebecke ist der Solarthermie-Park ein weiterer, wichtiger Meilenstein für die Wärmetransformation in der Unistadt. »Wir haben uns aber noch viel vorgenommen.« Auf Dauer werde man den Wärmesektor weiter dekarbonisieren und den CO2-Ausstoß senken. Allein die neue Anlage spart jährlich 880 Tonnen Kohlenstoffdioxid ein. Zudem sind die Speicher so konzipiert, dass genug Puffer vorhanden ist, um Überschüsse aus dem weiteren Ausbau des Fernwärmenetzes lagern zu können - oder auch, um für die richtig kalten Tage ausreichend vorzusorgen.
Neckardüker wird Netze in Zukunft verbinden
Bislang kommt lediglich das Fernwärmenetz in der Tübinger Südstadt in den Genuss der sonnenerzeugten Wärme. Das wird aber nicht so bleiben: Mit dem »Neckardüker«, der die Netze im Norden und Süden jenseits des Flusses verbinden wird, ist bereits der unterirdische Verbindungstunnel für den großflächigen Ausbau gelegt. »In zwei Jahren sind wir auch mit Derendingen verbunden«, stellte Energie- und Innovations-Bereichsleiter Hanno Brühl in Aussicht.
Über eine weitere zentrale Verbindung entlang des Österbergs folge dann der Brückenschlag mit der Innenstadt. Für diese Planung sei die Anlage im Au perfekt platziert: Mittig zwischen den großen Netzen im Norden und Süden. »Der Solarthermie-Park Au trägt genau dort, wo er aufgebaut wurde - an der Schnittstelle zwischen den Fernwärme-Teilnetzen - dazu bei, die Leistungsfähigkeit unseres Gesamtnetzes zu erhöhen«, erklärte Geschäftsführer Wiebecke.
Teilfläche wird zum Freizeitareal
Dass der Solarthermie-Park bereits gut funktioniere, konnte Projektleiter David Pätzold bestätigen. »Seit diesem Sommer befindet sich die Anlage im Probebetrieb.« Über 600 Megawattstunden - also rund ein Zehntel der geplanten Jahresausbeute - wurden bereits erfolgreich ins Netz eingespeist. »Damit sind wir für den Normalbetrieb im kommenden Jahr bestens gewappnet.«
Knapp die Hälfte der rund 23.000 Quadratkilometer großen Fläche ist von den Kollektor-Modulen belegt: Aneinandergereihte, lange Röhren, die Sonnenwärme auffangen und Wasser durch einen »Thermoskanneneffekt«, wie Pätzold erläuterte, aufwärmen. Das werde dann über Sammler in die Technikzentrale geführt wird, wo es ins Netz eingespeist oder im Speicherturm auf den Einsatz wartet. Die Röhren können, sollten einzelne, beispielsweise durch massiven Hagel, kaputtgehen, leicht ersetzt werden - und sind auch schnell angeliefert, denn sie werden in Dettenhausen hergestellt.
Der Park selbst war in der Vergangenheit nicht unumstritten. Kritik wurde insbesondere von Anwohnern um den alten Güterbahnhof laut, die sich die saftige Grasfläche eher als Freizeitgelände gewünscht hätten. In Zusammenarbeit mit Stadt und swt ist dabei ein Kompromiss entstanden: Rund ein Drittel der ursprünglich angedachten Fläche wird im kommenden Jahr in einen Freizeitpark verwandelt. »Dann treffen wir uns wieder hier und weihen das Areal zusammen ein«, versprach Palmer. (GEA)

