REUTLINGEN. Wer den Reutlinger Bundestagskandidaten ganz direkt eine Frage stellen möchte, kann dies auf der Internetseite der Organisation Abgeordnetenwatch tun. Die Organisation setzt sich für Transparenz in der Politik ein und will mit ihrer Arbeit Nähe zwischen Bürgern und Politikern schaffen. In den Profilen der Abgeordneten und Kandidaten gibt es zudem Informationen zum Abstimmungsverhalten, Ausschussmitgliedschaften und Nebentätigkeiten. Neben der Möglichkeit Fragen zu stellen, gehört aktuell auch ein Kandidierenden-Check mit zum Angebot, bei dem die eigenen Ansichten mit denen der Kandidaten abgeglichen werden können. Folgend eine Übersicht darüber, was die Bürger der Region von den Kandidaten im Wahlkreis Reutlingen wissen wollen, wer was antwortet und bei wem die Bürger bereits seit Jahren auf eine Antwort warten.
Jessica Tatti, Die Linke
Der Linken-Bundestagsabgeordneten Jessica Tatti wurden auf abgeordnetenwatch.de bisher insgesamt 21 Fragen gestellt. 20 davon hat sie beantwortet. Macht eine Antwortquote von insgesamt 95 Prozent. Die erste Frage datiert von 2016, die aktuellste Frage ging Mitte September ein: »Wie stehen Sie zum Einsatz von Open Source Software in der öffentlichen Verwaltung? Wie zur Nutzung sozialer Medien durch öffentliche Stellen?«, fragt Michael M. Es ist die einzige Frage, die bisher noch unbeantwortet ist. Weitere Bürger wollten von der Linken-Abgeordneten wissen, was sie etwa von ausgelosten Bürgerräten hält oder welche Pläne sie für die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt hat. Eine von Tattis Antworten: »Anstatt der großen Immobilienlobby die dicksten Mieteinnahmen zu bescheren, müssen kommunale und genossenschaftliche Wohnungsbaugesellschaften kräftig gefördert werden.«
Ulrich Bausch, SPD
Dem Bundestagskandidaten der SPD, Ulrich Bausch, wurden bisher acht Fragen gestellt. Alle sind recht aktuell, wurden erst im August oder September diesen Jahres gestellt. Auf drei Fragen gibt es eine Antwort. Macht für Bausch eine eher magere Antwortquote von 38 Prozent. Die Frage, ob er Festanstellungen von Lehrenden, etwa an Volkshochschulen oder Musikschulen, befürworte, beantwortet der Chef der Reutlinger VHS mit einem klaren »Ja.« Vorausgesetzt diese sei gewünscht, schreibt Bausch. Viele Lehrende würden bewusst bei verschiedenen Trägern arbeiten. Unbeantwortet geblieben sind unter anderem Fragen zum Zusammenhang zwischen Wohnkosten und Verkehrsaufkommen oder zum Umgang mit großen Online-Handelsplattformen wie Amazon.
Pascal Kober, FDP
Auf dem Profil des FDP-Bundestagskandidaten Pascal Kober finden sich insgesamt mehr als 90 Fragen. Die ersten datieren aus dem Jahr 2005. Einige mit, andere ohne Antwort. Zur Berechnung der Antwortquote berücksichtigt Abgeordnetenwatch allerdings nur Fragen, die während aktueller Kandidaturen und Mandate gestellt wurden. Seit seinem aktuellen Mandat sind Kober 22 Fragen gestellt worden. Auf 14 davon hat er bisher geantwortet. Damit kommt Kober aktuell auf eine Antwortquote von 64 Prozent. Aktuell wollen die Bürger von dem FDP-Politiker - wie auch von den anderen Kandidaten und Kandidatinnen - wissen, wie seine Positionierung in Sachen Wohnungsmarkt, Online-Handelsplattformen oder Nutzung der sozialen Medien durch öffentliche Stellen aussieht. Außerdem wurden ihm Fragen zum Thema Zuwanderung und zur Steuerpolitik gestellt. Simon M. etwa will wissen, was Kober von dem Vorschlag einer progressiven Mehrwertsteuer halte. In seiner Antwort rechnet Kober vor, wie sich der Vorschlag auswirken würde: »Es würde für alle, sei es mit hohem oder geringem Einkommen, teurer werden«. Und erklärt dann, wie er und seine Partei stattdessen mittlere und kleinere Einkommen entlasten wollen.
Hansjörg Schrade, AfD
Hansjörg Schrade, dem Bundestagskandidaten der AfD, wurden auf der Internetseite von Abgeordnetenwatch bisher insgesamt vier Fragen gestellt, zwei davon hat er beantwortet. Alle wurden allerdings schon Anfang des Jahres gestellt. Unter anderem geht es um die Corona-Pandemie und Schrades Äußerungen zu diesem Thema. In einer anderen Frage geht es um die mögliche Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Zwei Anfragen zum Thema Energiewende und Umwelt blieben unbeantwortet.
Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen
Beate Müller-Gemmeke, Bundestagskandidatin der Grünen, wurden von den Kandidaten des Reutlinger Wahlkreises bisher die meisten Fragen gestellt. Insgesamt finden sich auf dem Profil von Müller-Gemmeke seit dem Jahr 2006 mehr als 100 Fragen. 33 davon fallen in das aktuelle Mandat, beziehungsweise die aktuelle Kandidaturperiode. Müller-Gemmeke ist außerdem die einzige der Kandidaten, die konsequent alle ihr gestellten Fragen beantwortet hat. Das Themenspektrum reicht dabei vom Grundeinkommen über das Thema Prostitution bis hin zur biodynamischen Landwirtschaft. Immer wenn neue Fragen eingehen, würden die Kandidaten von Abgeordnetenwatch kurz darüber informiert, erklärt Müller-Gemmeke. Sie müsse also nicht laufend ihr Profil gegenchecken. Aber: »Ich finde, es ist meine Pflicht zu antworten, wenn mir Fragen gestellt werden«, sagt die Grünen-Politikerin. »Und es ist eine gute Möglichkeit, auf kurzem Wege in Kontakt zu treten.« Auch wenn sie sich in manche Themen möglicherweise erst selbst intensiver einlesen müsse, nehme sie sich gerne die Zeit, ausführlich auf die Fragen zu antworten. Dazu halte sie es für eine gute Möglichkeit, für die Bürger und Bürgerinnen die Antworten der Kandidaten miteinander zu vergleichen. Wenn sie denn eine Antwort erhalten.
Michael Donth, CDU
Dem CDU-Bundestagskandidaten Michael Donth wurden auf abgeordnetenwatch.de seit 2013 insgesamt über 70 Fragen gestellt, 26 davon fallen in die Zeit seines aktuellen Mandats. Beantwortet ist von diesen 26 aktuellen Fragen bisher keine und auch sonst fällt die Antwort-Bilanz des CDU-Abgeordneten sehr mager aus. Das fällt auch den Bürgern und Bürgerinnen auf. Ende Juli fragt Michael J.: »Sie beantworten Fragen, die Ihnen Bürger hier stellen nicht. Sind Sie sich Ihres Mandats so sicher, dass Ihnen die Fragen Ihres Wahlkreises derart egal sind?« Bis 2014 hat der CDU-Abgeordnete durchaus noch einzelne Fragen beantwortet, doch seit nunmehr über sechs Jahren ist es still auf Donths Profil. Woran liegt's?
»Ich habe damals für mich beschlossen, dass ich mit Abgeordnetenwatch nicht länger zusammenarbeiten möchte«, sagt Donth auf Nachfrage. Er habe damals seitens der Organisation ein Angebot erhalten, wie er gegen Bezahlung sein Profil »attraktiver« gestalten könne. »Das war mir suspekt«, so Donth. Und hat dazu geführt, dass er am 18. November 2014 zum letzten Mal eine Bürgerfrage auf der Internetseite beantwortet hat. Damals ging es um das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Die Antwort von Donth fiel detailliert und umfangreich aus.
Kontakt über andere Kanäle
Auf Donths Aussage angesprochen stellt Léa Briand, Pressesprecherin bei Abgeordnetenwatch, klar: »Es gibt und gab bei abgeordnetenwatch.de keine Möglichkeit sich einen prominenten Platz zu erkaufen.« Bis 2016 hätte die Organisation den Politikern und Politikerinnen zu Wahlzeiten allerdings das Angebot gemacht, für den Preis von 150 Euro ein Profilbild hochladen zu können. »Diese Funktion haben wir deaktiviert, sobald wir finanziell solide genug dastanden«, sagt Briand. Mittlerweile würden alle Profile gleich aussehen, jeder könne kostenfrei mehrere Bilder hochladen.
CDU-Politiker Donth betont derweil, dass er lieber andere Kanäle nutze, um mit den Bürgern und Bürgerinnen in Kontakt zu treten. Allein in dieser Legislaturperiode hätten er und sein Team 3.200 Bürgeranfragen beantwortet - die Kontakte über die sozialen Medien noch nicht mitgezählt.
Und was die unbeantworteten Fragen auf Abgeordnetenwatch angeht: Michael J. und andere Bürger, die noch auf eine Antwort von Donth warten, sollten sich wohl keine allzugroße Hoffnungen mehr machen. (GEA)