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Aktuell Rückblick

Weindorf, Wirtschaft, Wahlkampf: Angela Merkels Besuche in Reutlingen

Vor 20 Jahren wurde Angela Merkel Bundeskanzlerin. Danach und auch schon davor hat die CDU-Politikerin bei Besuchen in Reutlingen ihre Spuren hinterlassen. Ein Rückblick.

Ankunft in Reutlingen beim CDU-Parteitag im September 2017: Angela Merkel wird direkt vor den Stadthalleneingang chauffiert.
Ankunft in Reutlingen beim CDU-Parteitag im September 2017: Angela Merkel wird direkt vor den Stadthalleneingang chauffiert. Foto: Jürgen Meyer
Ankunft in Reutlingen beim CDU-Parteitag im September 2017: Angela Merkel wird direkt vor den Stadthalleneingang chauffiert.
Foto: Jürgen Meyer

REUTLINGEN. Als Angela Merkel am 22. November 2005 zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, ahnte wohl niemand, wie sehr sie die Republik prägen würde. Auch in Reutlingen hat sie ihre Spuren hinterlassen: Bei einem Weindorf-Abstecher 1994, einem Firmenbesuch bei Manz 2010 und bei einem CDU-Landesparteitag 2017. Letzterer gilt bis heute als der aufsehenerregendste Merkel-Moment in der Achalmstadt.

1994: Ein Mittag beim Weindorf

Der früheste Reutlingen-Besuch von Merkel in Reutlingen fällt in eine Zeit, in der ihr bundespolitischer Aufstieg gerade erst begann. 1994, damals noch Bundesfamilienministerin, machte sie überraschend Halt beim Reutlinger Weindorf. Margret Grimm, damalige CDU-Stadträtin und Weindorfbürgermeisterin, hatte den Besuch eingefädelt. Und während manche Gäste staunten, servierte der Metzinger Gastronom Dieter Wetzel der späteren Kanzlerin Tafelspitzsülze mit Radieschen-Vinaigrette und Rosmarinkartoffeln. Bei ihrer Stippvisite war Merkel ganz privat: kein Wahlkampf, keine Kameras, kein Protest.

2010: Merkel informiert sich beim Unternehmen Manz

Hoher Besuch bei der Manz Automation AG im Jahr 2010 (vorne von links): Ministerpräsident Stefan Mappus, Ulrike Manz, Reutlingen
Hoher Besuch bei der Manz Automation AG im Jahr 2010 (vorne von links): Ministerpräsident Stefan Mappus, Ulrike Manz, Reutlingens Oberbürgermeisterin Barbara Bosch, Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Dieter Manz. Foto: Trinkhaus Gerlinde
Hoher Besuch bei der Manz Automation AG im Jahr 2010 (vorne von links): Ministerpräsident Stefan Mappus, Ulrike Manz, Reutlingens Oberbürgermeisterin Barbara Bosch, Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Dieter Manz.
Foto: Trinkhaus Gerlinde

Ihr zweiter Auftritt führte Merkel fünf Jahre nach ihrem Amtsantritt als Kanzlerin in die Reutlinger Wirtschaftsszene: zum Maschinenbauer Manz. Vier Wochen zuvor hatte das Kanzleramt angefragt, weil sie sich über den Stand der Fotovoltaik-Technologie informieren wollte – ein Baustein für das neue Energiekonzept der Bundesregierung. »Wir sollten umfangreiche Informationen über das Unternehmen zur Verfügung stellen«, so der Firmenchef Dieter Manz. Merkel hatte sie studiert, das war aus ihren Äußerungen herauszuhören.

Beim Besuch zeigte sich Merkel höchst interessiert. Sie ließ sich Produktionsanlagen erklären, sprach mit Azubis, hörte sich Hintergründe zu Kurzarbeit, Weiterqualifizierung und Innovationsstrategien an. Firmenchef Dieter Manz hatte trotz Wirtschaftskrise Personal gehalten – das imponierte der Kanzlerin. »Sie sind ein Teil eines wirklich tollen Stückes Deutschlands«, lobte Merkel das ganze Team. Sie beendete ihre Ansprache mit der Bemerkung: »So, jetzt werde ich mir mal angucken, was Sie so den ganzen Tag machen.« Vor dem Gebäude protestierten etwa 30 Menschen gegen längere AKW-Laufzeiten und Stuttgart 21 – lautstark, aber friedlich. Drinnen dominierte das Fachgespräch.

2017: Kanzlerinnen-Heimspiel in der Stadthalle

Angela Merkel in der Stadthalle Reutlingen beim CDU-Parteitag im September 2017. Auf dem Podium die regionalen CDU-Größen.
Angela Merkel in der Stadthalle Reutlingen beim CDU-Parteitag im September 2017. Auf dem Podium die regionalen CDU-Größen. Foto: Jürgen Meyer
Angela Merkel in der Stadthalle Reutlingen beim CDU-Parteitag im September 2017. Auf dem Podium die regionalen CDU-Größen.
Foto: Jürgen Meyer

Es herrschte Nieselregen, doch die Stimmung war aufgeheizt: Am 9. September 2017, gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl, verwandelte sich die Reutlinger Stadthalle in eine Art politische Arena: Angela Merkel kam als Gastrednerin zum Landesparteitag der Südwest-CDU. 200 bis 300 Schaulustige drängten sich vor der Halle und auf dem Fußgängersteg über der Konrad-Adenauer-Straße. Dazu versammelten Demonstranten von Verdi in weißen Kitteln, Greenpeace-Aktivisten mit einem »Verkehrswende jetzt!«-Ballon und einige Vertreter der »Identitären Bewegung«, die hinter der Buszufahrt ihr »Merkel muss weg!«-Transparent hielten. Die Polizei war mit etwa 80 Kräften vor Ort – vorbereitet auf Proteste. Kurz zuvor war die Kanzlerin in Heilbronn mit Tomaten beworfen worden.

Als der schwarze Audi mit der Kanzlerin vorfuhr, blieb es bei vereinzelten Pfiffen. Drinnen dagegen wurde sie mit einem Spalier aus Partei-Kollegen und lautem Beifall wie ein Superstar empfangen. Merkel steuerte aber direkt erst einmal die Toilette der Stadthalle an, bevor sie die gute Stimmung genießen konnte. Die Parteitagsregie hatte 50 bis 60 Neumitglieder mit Plakaten wie »voll muttiviert« aufgereiht, eine Choreografie, die selbst Merkel kurz zum Strahlen brachte.

Dann ihre Rede – ungewohnt kämpferisch für eine Kanzlerin, die oft für ihre nüchterne Art gerühmt wurde. »Mit mir wird es kein Bündnis mit extremen Parteien wie den Linken oder der AfD geben«, rief sie – der Saal kochte. Wer draußen stand, konnte all das über eine Videowand im Bürgerpark verfolgen, organisiert vom Reutlinger Bundestagsabgeordneten Michael Donth. Unter Schirmen trotzten Hunderte dem Wetter. Zum Abschied gab’s für Merkel einen Strauß Gönninger Tulpen der Sorte »Angela Dorothea« und eine Kiste Zwiebeln für den heimischen Garten. Ein Geschenk, das die Kanzlerin – mit Blick auf den Wahltermin am 24. September – »eher später einpflanzen« wollte. (GEA)