REUTLINGEN. »Biosphärenstadt« schön und gut – die aktuelle Optik des Reutlinger Rathauses ist kaum geeignet, sich als Marke oder gar Instagram-Hotspot zu etablieren. Noch weniger dürfte der dem Prinzip »vom Winde verweht« geschuldete Wildblumenschmuck den Geschmack der archetypischen schwäbischen Hausfrau treffen. Spitzwegerich und Kamille sowie anderes gern als »Unkraut« verunglimpfte Gewächs scheint dort Victor Hugos »Glöckner« gleich um Wasser zu flehen. Dabei betrifft dies keine vernachlässigenswerte Hinterhofecke, sondern eine exponierte Lage.
Die Bepflanzung entlang der Freitreppe zum Sitzungssaal über dem »Alexandre« fällt Touristen wie heimischen Marktbesuchern von vielen Seiten ins Auge. Nicht zuletzt jenen, die die Betonstufen auf der Suche nach Weitblick oder Selfie-Spot erklimmen. Vor der Aussicht aufs bunte Markttreiben und mehr oder weniger historische und schmucke Fassaden ragen entlang der Balustrade vertrocknete Stängel und Blätter empor. Will sich Reutlingen etwa als Ursprungsstadt floralen Fotobombings etablieren? Oder ist dies als stiller Kommentar auf Fragen der Finanzkraft zu verstehen? Gerade im Hinblick auf die Fassadenbegrünung der benachbarten Kreissparkasse wird die Kluft evident: Darben hier, Opulenz und Pracht dort.
Sabine Külschbach klärt als Pressesprecherin der Stadt Reutlingen auf: Die Balustrade unterhalb der Webcam gehe auf die Bauzeit des Rathauses zurück, die 1960er-Jahre. Da auch die in dem Sichtbetongeländer integrierten Pflanztröge entsprechend in die Jahre gekommen seien, würden die gerade passgenau neu gemacht. Angesichts der Länge der Balustrade dauere das etwas. Aber: »Wir wissen darum und sind dran.« Sobald die neuen Pflanzgefäße da sind, würden sie schön bepflanzt. Ganzjährig. (GEA)