REUTLINGEN. Tetyana Pikulska vom Amt für Integration und Gleichstellung ist seit 2016 Flüchtlingskoordinatorin. Jetzt hat sie so viel zu tun wie schon lange nicht mehr: Täglich sitzt sie am Info-Telefon für Geflüchtete aus der Ukraine. Sie spricht ihre Sprache, versteht ihre Anliegen. Vielleicht besser als andere, denn sie kommt aus der Ukraine. »Ich hätte nie gedacht, dass wir einmal Flüchtlinge aus meinem Heimatland aufnehmen müssen«, sagt sie in der jüngsten Sitzung des Verwaltungsausschusses.
Tetyana Pikulska betreut täglich außer am Wochenende von 9 bis 12 Uhr die Hotline. Drei Stunden – und jedes Mal mindestens 30 Anrufe. »Viele kommen nicht mal durch«, berichtet sie. Etwa 20 Anfragen gehen über den Anrufbeantworter ein, dazu zig weitere über Mails. Die erste Frage ist oft die dringendste: die nach der Registrierung und den Anträgen auf Leistungen. Sie klärt auf, verweist aber auch auf die Homepage der Stadt, auf der alles – auch in ukrainischer und russischer Sprache – erklärt ist und die notwendigen Formulare zu finden sind.
Die einen suchen Unterkünfte, andere bieten sie an – auch das ist ein großes Thema bei der Hotline. Tetyana Pikulska berichtet von einer enormen Hilfsbereitschaft, schon in der ersten Woche habe es 25 Angebote gegeben – Sach- und Geldspenden, aber auch ehrenamtliches Engagement wie Dolmetscherdienste. Einige Anrufer erklärten sich bereit, Waisenkinder oder unbegleitete junge Flüchtlinge bei sich aufzunehmen.
Pikulska hilft, wo immer sie kann. Auf fast alle Fragen gibt es auf der städtischen Homepage Antworten. Inzwischen ist einiges mehr in Vorbereitung. Eine Info-Veranstaltung zur »Erstorientierung in Reutlingen« beispielsweise, geplant von der Teilprojektgruppe Integration im Ukraine-Sonderstab, die sich, so Pikulska, noch um viele andere Probleme kümmern muss. Etwa die psychologische Betreuung der vielen traumatisierten Geflüchteten oder die Organisation von Sprachkursen. Ein weiteres, allerdings heikles Thema: Gewalt gegen Frauen. »Es gibt Meldungen, dass geflüchtete Frauen vorsichtig sein müssen und es Menschenhändler an den Grenzen gibt«, weiß Pikulska. Auch bei ihr seien schon »komische Anrufe« eingegangen. Angedacht ist, eine Anlaufstelle für Betroffene einzurichten. Immerhin gibt es ab April Verstärkung durch eine Vollzeitkraft, ebenfalls mit ukrainischen Wurzeln.
Emotionale Gespräche
Während sich in den ersten beiden Wochen vorwiegend Begleiter am Info-Telefon meldeten, kommen jetzt mehr Anfragen in Muttersprache von Menschen, die hier niemanden haben. Emotionale Gespräche, so Pikulska, die doppelt so lange brauchen. »Die erste Hürde war, in Sicherheit zu kommen. Sie atmen auf, aber dann kommt die Frage: Wie geht es weiter?« In den Beratungsgesprächen müsse sie erklären, wie die Strukturen sind. Was gar nicht so einfach ist: Die Geflüchteten hielten sich zwar in Reutlingen auf, die Zuständigkeit liege aber beim Landratsamt.
INFOS AUF DER HOMEPAGE
Ob Ansprechpartner, Registrierung, Wohnraum, Spendenkonten, Kleidung oder vieles andere mehr: Die Stadt hat auf ihrer Homepage sämtliche Hilfsangebote für Kriegsflüchtlinge zusammengefasst, auch in ukrainischer und russischer Sprache. Formulare für die Ersterfassung der Ankommenden sowie für Reutlinger, die Wohnraum anbieten, stehen zur Verfügung. Außerdem hat die Stadt Reutlingen einen E-Mail-Kontakt und das Info-Telefon eingerichtet, das außer am Wochenende täglich von 9 bis 12 Uhr besetzt ist. (GEA) 07121 303-5554 ukrainehilfe@reutlingen.de
Immer wieder bringen die Anrufer – meist sind Frauen am Telefon – ganz handfeste Probleme zur Sprache. »Die Geflüchteten kommen mit wenig Geld«, sagt Pikulska. Sie erzählt von einer Ukrainerin, die gerade mal 25 Euro in der Tasche hat. »Das Geld war schnell weg, sie hat geweint.« Die Versorgung sei nicht sichergestellt, denn bis die beantragten Leistungen eintreffen, dauere es seine Zeit. Sie verweist die Hilfesuchenden auf Einrichtungen wie den Tafelladen der Diakonie oder den »Fairen Kühlschrank« des Café Nepomuk. Ihr Fazit: »In den kommunalen Strukturen arbeiten alle bis über ihre Kapazitäten hinaus, um so schnell wie möglich zu helfen«, so die Koordinatorin. Sie bittet um Verständnis, dass es eben nicht immer schnell geht. Zu vieles sei rechtlich ungeklärt. »Wir brauchen alle ein bisschen Geduld.« (keg)