REUTLINGEN. Der 17. November gilt als Welt-Frühgeborenen-Tag. Weltweit werden an diesem Tag markante Wahrzeichen lila beleuchtet, so auch die Reutlinger Stadthalle, um auf die besondere Startsituation der Kleinsten hinzuweisen. Als Frühgeborenes gilt ein Baby, das vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche geboren wird. »Ende der 90er-Jahre kam in Reutlingen ein Kind zur Welt, das nur 380 Gramm wog – und trotzdem überlebte.« Das berichtet der pensionierte Kinderarzt und Gründungsmitglied des Reutlinger Frühchenvereins Georg Frauendienst-Egger.
Wenn Babys so früh geboren werden, stehen Eltern oft vor enormen Herausforderungen. »Sie sind in dieser Zeit emotional stark belastet. Deshalb ist es uns besonders wichtig, sie mit unserer Expertise zu unterstützen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen«, sagt Sabine Dörr, Vereinsvorsitzende und Mitgründerin des Reutlinger Frühchen-Vereins. Sie kennt die Bedürfnisse der Betroffenen aus erster Hand, denn auch ihre Tochter war ein Frühchen.
Die Betreuung seitens des Vereins, der 130 Mitglieder zählt, beschränkt sich nicht nur auf den Aufenthalt auf der Station, sondern begleitet die Familien oft bis in die Kindergarten- und Schulzeit hinein. »Auch bei der Wahl von Kinderärzten und Therapeuten und bei bürokratischen Anträgen stehen wir unterstützend zur Seite«, so Dörr.
Vielfältige Projekte gestemmt
Seit der Vereinsgründung im Jahr 1995 hat sich viel bewegt. »Wir haben die Einrichtung eines Elternzimmers veranlasst, welches Familien auf der Station einen Rückzugsort bietet«, sagt Dörr. Im Laufe der Jahre ist daraus eine kleine Wohnung mit zwei Zimmern und vier Betten entstanden. Vor zweieinhalb Jahren wurde in dem Klinikum am Steinenberg in Reutlingen zusätzlich eine Frauenmilchbank eingerichtet. Dort wird gespendete Muttermilch gesammelt und aufbereitet, um sie anschließend an Säuglinge zu verabreichen. »Da uns die Ausbildung des Fachpersonals besonders am Herzen liegt, haben wir auch eine Reanimationspuppe gespendet, mit der Hebammen und Pflegekräfte realitätsnah üben können«, erzählt Dörr.
Im Jahr 2016 kamen in Deutschland 66.851 Kinder zu früh zur Welt, 2017 wurden 66.730 verzeichnet. 2020 waren es 60.682 Frühgeborene. Während und nach der Coronapandemie gab es weniger Frühchen: 2023 waren es noch 53.187. »Das könnte auch damit zusammenhängen, dass Frauen zu dieser Zeit weniger Stress ausgesetzt waren«, sagt Kinderarzt Frauendienst-Egger. »Durch die Technik und die Medikamente sind in den letzten 30 Jahren die Überlebenschancen extrem gestiegen, doch nicht alle Kinder haben einen stabilen gesundheitlichen Verlauf. Trotz guter medizinischer Behandlung kann man Komplikationen im jungen Alter nicht vermeiden«, sagt der Mediziner. Durch eine viel zu frühe Geburt käme es häufig zu motorischen Störungen oder zu einer Augenschwäche. Extremfrühchen bräuchten aus diesem Grund mehr Unterstützung und Zeit für ihre Entwicklung. (GEA)

