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Reutlinger Expertenrunde zu »Arbeitsförderung in Zeiten von Corona«

Fachgespräch »Arbeitsförderung in Zeiten von Corona« von und mit Grünen-Politikerin Beate Müller-Gemmeke

Im Rosengarten trafen sich zahlreiche Vertreter von sozialen Beschäftigungsträgern, von Arbeitsagentur und Jobcenter auf Einladu
Im Rosengarten trafen sich zahlreiche Vertreter von sozialen Beschäftigungsträgern, von Arbeitsagentur und Jobcenter auf Einladung von Beate Müller-Gemmeke (Dritte von links), um sich über die Situation in schwierigen Zeiten auszutauschen. FOTO: LEISTER
Im Rosengarten trafen sich zahlreiche Vertreter von sozialen Beschäftigungsträgern, von Arbeitsagentur und Jobcenter auf Einladung von Beate Müller-Gemmeke (Dritte von links), um sich über die Situation in schwierigen Zeiten auszutauschen. FOTO: LEISTER

REUTLINGEN. Das Fazit der Expertenrunde im Reutlinger Rosengarten, zu der die Grünen-Bundespolitikerin Beate Müller-Gemmeke eingeladen hatte: »Schon vor Corona ist viel Risiko auf die sozialen Beschäftigungsträger übertragen worden«, so Sven Jaissle, Leiter der Arbeitshilfen der Caritas Fils-Neckar-Alb. In der prallen Hitze im Rosengarten wurde das von Dr. Joachim Rückle, Geschäftsführer des Diakonie-Verbands, bestätigt: »Die Kirchensteuern sind schon seit Längerem stark rückläufig, durch Corona kamen jetzt noch Einnahmerückgänge im Hohbuch-Café, in den Kleiderläden und bei den Angeboten der Suchtberatung hinzu – ich weiß nicht, wie ich den Haushalt für das kommende Jahr abbilden soll.«

Segensreiche Soforthilfe

Ähnliche Probleme hat auch Christoph Kaufmann vom Reutlinger Gebrauchtwarenkaufhaus Da Capo: »Am 19. März mussten wir den Laden schließen, die Corona-Soforthilfe hat uns gerettet.« Ebenso wie Dr. Wolfgang Grulke von der Reutlinger Initiative deutsche und ausländische Familien (Ridaf) lobte Kaufmann »die schnelle und unbürokratische Hilfe«. Aber: Der Da-Capo-Geschäftsführer müsse einen Umsatzverlust von 30 Prozent verbuchen, »den kriegen wir nicht über Überbrückungsgelder zurück«. Dringend notwendig sei das Geld, weil »wir auch weniger Regiekosten für unsere Leute kriegen«. Von 26 Personen, die über diverse Hilfsprogramme des Jobcenters bei Da Capo angestellt sind, seien 20 wieder bei der Arbeit, »das werden auch nicht mehr, wegen der Abstandsregeln«.

Drastische Umsatzrückgänge

Umsatzrückgänge von 50 Prozent vermeldete Ridaf laut Wolfgang Grulke »bei unserer Beschäftigungsinitiative und den Sprachkursen«. Genauso wie Kaufmann (»Wir müssen umziehen und wissen nicht, wie wir das finanzieren sollen.«) lebt auch die Beschäftigungsgesellschaft Pro Labore nach den Worten von Kurt Winterholer von den Rücklagen: »Wir müssen dringend unser Gebäude sanieren, haben aber kein Geld dafür.« Zudem drücke die »Angst, dass kommendes Jahr keine Umschulungen mehr finanziert werden könnten«. Für Pro Labore wäre das existenzgefährdend, denn das ist das Hauptgeschäft des sozialen Beschäftigungsträgers – junge Menschen mit Lernschwierigkeiten zum Maler, Schreiner oder Tischler auszubilden.

Nicht als existenzbedrohlich, aber doch als kritisch bezeichnete Johann Küenzlen die Situation des Ausbildungsverbunds der Bruderhaus-Diakonie: »Wir sind grundsätzlich sehr knapp finanziert.« In Corona-Zeiten sei nun hinzugekommen, dass »wir Lernvideos gedreht haben, das zahlt uns auch niemand«.

Einmal mehr hatte Beate Müller-Gemmeke zu einem ihrer Fachgespräche über die Entwicklung im sozialen Arbeitsmarkt in der Region eingeladen. Gekommen waren zahlreiche Träger von sozialen Einrichtungen, genauso wie Wilhelm Schreyeck, Leiter der Reutlinger Arbeitsagentur, und Markus Dick (Bereichsleiter Jobcenter). Ebenfalls dabei: Christian Rauch, der Leiter der Landesarbeitsagentur. Er beteuerte, immer ein offenes Ohr für die Belange der sozialen Beschäftigungsträger zu haben.

Normalbetrieb muss warten

Ob und wann denn der »Normalbetrieb« in den Jobcentern und Arbeitsagenturen wieder aufgenommen werden könne, fragte Beate Müller-Gemmeke. »Dieses Jahr nicht mehr«, sagte Rauch. »Wir wollen keine Initialzündung für eine zweite Corona-Welle sein.« Die Gesundheit sowohl der Mitarbeiter als auch der Klienten gehe vor. Die Bundestagsabgeordnete hat nach eigenem Bekunden »das Ohr an vielen Stellen an den sozialen Beschäftigungsträgern gehabt«. Ihre Feststellung »in der Zeit der Solidarität«: Von der Politik und der Arbeitsagentur »gab es viel Skepsis und Misstrauen gegenüber den sozialen Trägern – das hätte aber nicht sein müssen«. Schließlich seien 160 Milliarden Euro geflossen, die zu verteilen waren.

Wilhelm Schreyeck malte ein eher düsteres Bild von der Arbeitsmarkt-Situation in Reutlingen und Tübingen: Er vermeldete fast 50 Prozent weniger offene Stellen als noch vor einem Jahr; und die Arbeitslosigkeit sei mit 4,6 Prozent in der Region sogar schlechter als im Landesdurchschnitt. »Hinter uns sind nur noch vier Landkreise«, so Schreyeck. »Und die nächsten drei Monate werden nicht besser werden.« (GEA)