REUTLINGEN. Mehr als zwei Mal um die Welt: Diese unglaubliche Wegstrecke hat Sigrid Löffler geschafft. In 50 Jahren als Austrägerin für den GEA. Das sind 97 000 Kilometer in 24 000 Stunden, wie Valdo Lehari jr., Verleger und Geschäftsführer des Reutlinger General-Anzeigers, ausgerechnet hat. »Das ist großartig«, sagte Lehari beeindruckt, als er ihr die Urkunde auf dem Zustellertreffen überreicht. »Das muss man erst mal schaffen.«
Sigrid Löffler winkte verlegen ab. Für die 71-Jährige gehört das Zustellen der Zeitungen ganz selbstverständlich zu ihrem Alltag. Bei Wind und Wetter trug sie zunächst sieben Tage die Woche in zwei Bezirken aus. Später kamen zwei weitere hinzu.
»Sie sind Mitarbeiter der Demokratie«
Jahrelang hat sie um 3.30 Uhr im Hof des GEA die Zeitungsstapel abgeholt. Vier Stunden, im Winter manchmal sechs Stunden, war sie unterwegs, um die 400 Exemplare in die Briefkästen zu stecken. Sie kam dabei unter anderem an der »Silberbar« vorbei. »Da war bis früh morgens was los.« Mit zwei kleinen Kindern und einer Arbeitsstelle war das eine anstrengende Zeit. »Ganz am Anfang hätte ich nicht gedacht, dass ich so lange austragen werde«, sagte sie.
Längst in Rente, denkt sie noch immer nicht ans Aufhören. »Je länger ich austrage, umso besser wird es.« Viele in ihrem Bezirk kennen sie. Früher musste sie bei den Abonnenten abkassieren. An Weihnachten stehen heute noch viele früh auf, um ihr ein frohes Fest zu wünschen. »Der Winter war früher manchmal hart, es gab viel mehr Schnee«, erzählte sie.
Sie mag es, die Straßen in den Morgenstunden für sich alleine zu haben. An sechs Tagen in der Woche klingelt um 4 Uhr der Wecker. Die Zeitungen werden inzwischen in ihrer Nähe abgelegt. Zwei Bezirke mit 120 Zeitungen läuft sie in zwei Stunden. Wieder zu Hause liest sie die Zeitung, frühstückt und legt sich dann noch einmal hin. Danach hat sie den ganzen Tag für sich.
Am Samstag erhielten in Abwesenheit Gerhard Radtke und Wolfgang Weggerle ihre Auszeichnung für 25 Jahre als Austräger.
Diese Urkunde haben Helga und Eberhard Jakob schon einige Jahre zu Hause. Er ist seit 38 Jahren, sie seit 31 Jahren Austräger beim GEA. Zu Beginn des kommenden Jahres machen sie allerdings Schluss und genießen die Rente. »Wir haben uns etwas dazuverdient, für den Bau des Hauses«, berichteten die beiden. Das ist längst fertig, die Kinder sind aus dem Haus. »Es hat Spaß gemacht«, befand Helga Jakob.
Durch ganz Kohlstetten trägt sie in zweieinhalb Stunden die Zeitungen aus. Häufig ist ihr Mann dabei, dann brauchen sie nur eine Stunde und zwanzig Minuten. Danach machen es die Eheleute wie Sigrid Löffler: Zeitung lesen, frühstücken – und schlafen.
Zeit zum Hinlegen hat Lutz Faiß nicht. Wenn er in seinem Bezirk in Gönningen ausgetragen hat, geht er zur Arbeit. Zeitungen stellt er seit 18 Jahren zu, ursprünglich, um mit der regelmäßigen Bewegung seinen Bluthochdruck zu senken. »Da muss man sechs Tage die Woche raus«, sagte er. Strammen Schrittes ist er eine Stunde unterwegs. Als der Arzt ihm sagte, dass er seinen Bluthochdruck dennoch behalten werde, machte Faiß trotzdem weiter. »Es macht Spaß, mit den Leuten im Flecken zu sprechen.«
»Heute ist ihr Ehrentag«, betonte Verleger Valdo Lehari jr. in der Gaststätte Südbahnhof am Samstag. Historisch gesehen ein »ganz verrücktes Datum«: Wiedervereinigung, 70 Jahre Grundgesetz, und der GEA durfte ebenfalls vor 70 Jahren wieder erscheinen, nachdem die Franzosen 1945 Leharis Großvater die Druckmaschinen weggenommen hatten.
Sein Großvater war es auch, der sich ins Auto setzte und die Zeitungen damals mit ausgefahren hat. »Wo es keine Zeitung gibt, entstehen demokratiefreie Zonen«, sagt der Verleger. Deswegen gebühre den Zustellern die »Bambi-Atmosphäre«.
Diese unterstrich der charmante und äußerst fingerfertige Zauberer Friedrich Roitzsch. Einen Zauberwürfel innerhalb von 15 Sekunden in das ungeordnete Pendant drehen oder einen halben Zehn- Euro-Schein aus dem Publikum aus einer Zitrone zaubern muss man ihm erst mal nachmachen. Den Zustellern gebührte aber vor allem Leharis großer Dank. Er unterstrich: »Sie sind Mitarbeiter der Demokratie.« (GEA)