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Aktuell Brotserie

Mehr als nur Wasser, Mehl und Salz

Brot ist das älteste Gebäck der Menschheit, ein Lebensmittel in grandioser Vielfalt. Ein zwanzigköpfiges GEA-Team aus Redakteuren, Volontären, Autoren, Wissenschaftlern und Bäckern präsentiert bis Anfang September pro Woche zwei Beiträge rund ums Thema Brot: lange und kurze Artikel, Randnotizen, Kommentare, Reportagen und Features erscheinen in aller Regel jeweils montags und donnerstags im Rahmen der GEA-Serie »Mit Laib und Seele«

Unser täglich Brot ist nicht vom Tisch wegzudenken. Allein in Deutschland gibt es mehr als 3 000 Brotspezialitäten.  FOTO: CONTR
Unser täglich Brot ist nicht vom Tisch wegzudenken. Allein in Deutschland gibt es mehr als 3 000 Brotspezialitäten. FOTO: CONTRASTWERKSTATT STOCK.ADOBE.COM
Unser täglich Brot ist nicht vom Tisch wegzudenken. Allein in Deutschland gibt es mehr als 3 000 Brotspezialitäten. FOTO: CONTRASTWERKSTATT STOCK.ADOBE.COM

REUTLINGEN. »Jonger, wenn de a Brätzed ond an Kemmicher witt, gang zom Besch«, sagt der Opa und drückt dem achtjährigen Enkel ein Fünfmarkstück in die Hand. Der Steppke flitzt aus der zwölf Quadratmeter kleinen Küche durch die Scheuer hinaus auf die Straße und hinunter zur Sondelfinger Bäckerei. Derweil gräbt der Großvater eine kleine Zwiebel aus dem Garten hinterm Haus. Er schneidet sie in hauchdünne Ringe. Auf dem Küchentisch steht eine Flasche Hengstenberg Essig. Mit einem uralten Taschenmesser säbelt er Scheiben vom Kimmicher, den der Enkel neben die Brezel auf den Tisch gelegt hat. Der Opa bestreicht die Scheiben dick mit Butter und legt Zwiebelringe darauf. Zum Schluss ein paar Tropfen Essig, etwas Salz und Pfeffer. Nie hat der Achtjährige etwas Besseres gegessen.

Die Bäckerei stand im tiefsten Teil der Hopfengartenstraße, dort, wo der Braikinbachweg in eine Sackgasse mündet. Sie war untergebracht in einem Eckhaus, das noch heute steht. Oder musste das Gebäude einem Neubau weichen? Denn die Sondelfinger Bäckerei gibt es schon lange nicht mehr. Jahrzehnte ist es her, dass »dr Besch« zugemacht hat. Dem kleinen Jungen indes blieben der Verkaufsraum und der Duft nach frischem Brot, der morgens wie abends von der Backstube in den Laden zog, ein Leben lang im Gedächtnis.

Dass wir Kindheitserinnerungen oft mit Essen in Verbindung bringen – »schmeckt wie bei Muttern« – hat der Soziologe Tillmann Allert in seinem Buch »Der Mund ist aufgegangen – Vom Geschmack der Kindheit« so beschrieben: »Das orale Gedächtnis bewahrt die Erinnerung an eine Zeit, als das Kosten Empfindungen auslöste, lange vor jeder sortierenden Erkenntnis.« Zu den Lebensmitteln, an die wir uns besonders gut erinnern, zählt Brot. Ob das daran liegt, dass damals kaum ein Bäcker Teiglinge aus Holland, Polen, Rumänien oder China in seinen Backofen geschoben hat? Schließlich stand die Backmittelindustrie in den 1960er-Jahren erst in den Startlöchern. Oder hängt es damit zusammen, dass der Teig früher ausreichend Zeit gehabt hat, um zu reifen? Aber womöglich spielt uns die Erinnerung einen Streich und Brötchen und Brot von damals waren nicht besser oder schlechter als die ungezählten Sorten, die heute über die Ladentheke gehen oder die sortiert in Plastikboxen beim Discounter reißenden Absatz finden.

Sensorische Emotionen

Ist Brot heute sogar schmackhafter, weil die Technik auch vor Backstuben nicht haltgemacht hat? »Wohl kaum ein Thema trifft in den Regionen Europas nach wir vor den Kern der sensorischen Emotionen so tief wie das Brot«, schreiben Martin Wurzer-Berger und Thomas Vilgis im Editorial zum Heft 15 »Brot backen« des »journal culinaire«, eine hochgelobte Buchreihe über Kultur und Wissenschaft des Essens. Der Reutlinger General-Anzeiger widmet sich dem Thema Brot in einer großen Serie. Ein zwanzigköpfiges Team aus Redakteuren und Volontären wird unterstützt von Autoren, Wissenschaftlern, Bäckern. Sie alle präsentieren bis September pro Woche zwei Beiträge: lange und kurze Artikel, Randnotizen, Kommentare, Reportagen, Features rund ums Thema Brot.

FOTO: MEV-VERLAG
FOTO: MEV-VERLAG
FOTO: MEV-VERLAG

Wir werden mit Bauern reden, die alte Getreidesorten anpflanzen und Bäckerlehrlingen die Frage stellen, warum sie sich für diesen Beruf entschieden haben. Wir sind zu Gast in einer Backstube und schauen denen über die Schulter, die uns morgens mit frischem Brot beliefern. Wir nehmen die GEA-Leser mit auf eine urzeitliche Tour und gehen der Frage nach, wer die Ersten waren, die Getreide zu Mehl verarbeitet und zu Brot verbacken haben. Und was ist im Ulmer Brotmuseum zu sehen und was passiert aus chemischer und physikalischer Sicht mit Wasser, Mehl und Salz, wenn alles zu einem Teig verknetet wird?

Spannend ist auch, was ein Brotsommelier macht und was beim Brotbacken zu Hause falsch laufen kann – viel, werden ungezählte Hobbybäcker antworten. Sind Backautomaten hier eine Hilfe? Die Renaissance der Backhäuser und die, die sie betreiben, haben wir genauso im Blick wie das Internet, wo ungezählte Brotblogs Millionen Leser auf der ganzen Welt begeistern. Und wie funktioniert das eigentlich mit dem Sauerteig, den sich so mancher als Haustier hält? – ein Haustier, das viel Freude, aber auch viel Kummer bereiten kann.

Wir besuchen eine Mühle, schauen nach Herrenberg, wo der »Weltbäcker des Jahres« zu Hause ist und wir reisen nach Paris. In den 1990er-Jahren rief der damalige Bürgermeister Jacques Chirac den Wettbewerb »Grand Prix de la Baquette« aus. Wer diesen Wettbewerb gewinnt, darf ein Jahr den Elysée Palast mit seinem wunderbaren Brot beliefern.

Es gibt etwas zu gewinnen

Wir werden kritisch nachfragen, warum es immer weniger kleine Bäckereien gibt und warum so viel Brot weggeschmissen wird. Jeder von uns wirft pro Jahr mehr als 80 Kilogramm in den Müll, in Summe fast zwei Millionen Tonnen – während Menschen auf der Welt hungern. Deshalb werden wir auch in Läden gehen, die Brot vom Vortag verkaufen. Und wir liefern Antworten auf die Fragen, welche Bedeutung hat das Brot innerhalb der Religion und welche Rolle Bäcker spielten, als Reutlingen noch freie Reichsstadt war.

Wir wenden uns aber auch an GEA-Leser. Sie sollen ihre Erinnerungen an Bäckereien einsenden, die längst aufgegeben haben. In jedem Dorf dürfte es solche Geschichten geben. Warum war der Bäcker besonders und was war seine Spezialität? Vielleicht findet sich auch die eine oder andere Fotografie, die wir zu den Leserbeiträgen stellen können.

Am Ende der langen Artikelserie gibt es ein Gewinnspiel mit tollen Preisen. Darunter »Modernist Bread«, ein hochgelobtes Buch von Nathan Myhrvold, ehemals rechte Hand von Microsoft-Gründer Bill Gates und Francisco Migoya. Das fünfbändige Werk hat 2 600 Seiten, wiegt 25 Kilogramm und ist mit knapp 530 Euro das teuerste Brotbackbuch aller Zeiten. Mit diesem Buch werden wir uns auch im Rahmen der Artikel-Serie ausgiebig beschäftigen. Was hält ein Reutlinger Bäcker von dem Buch und taugen die Rezepte für den heimischen Backofen?

Freuen Sie sich also auf ein Themen-Special, das den Reutlinger General-Anzeiger über Wochen in Beschlag nehmen wird. Wir stellen ein Lebensmittel in den Mittelpunkt, das zum Besten gehört, was wir essen können und das mehr ist als nur Wasser, Mehl und Salz: Brot. (GEA)

Nächste Folge Donnerstag, 10. Juni: Was hält Bäcker Hubert Berger vom Buch »Modernist Bread«?