KREIS REUTLINGEN. Reutlingens Landrat Dr. Ulrich Fiedler ist kein Politiker, der polemisch wird oder auf den Tisch schlägt. Bedacht, ruhig, überlegt: So tritt der ehemalige Metzinger Oberbürgermeister auf. Doch selbst er findet mittlerweile deutliche Worte, wenn es um die finanzielle Lage des Landkreises und der Kommunen geht. Zusammen mit Kreiskämmerer Wolfgang Klett hat er dem GEA über die finanzielle Misere berichtet, in welche der Landkreis immer tiefer rutscht.
Wie ist die finanzielle Lage des Landkreises?
Dr. Ulrich Fiedler: Die finanzielle Lage des Landkreises ist sehr schwierig. Wir sind davon ausgegangen, das laufende Jahr 2024 mit rund 2 Millionen Euro Defizit abzuschließen. Aber wir werden voraussichtlich bei über 5 Millionen landen. Für 2025 rechnen wir ebenfalls mit einem schlechteren Ergebnis als geplant.
Was sind die Gründe für diese Misere?
Wolfgang Klett: Weniger Schlüsselzuweisungen, Kreisumlage, und Ausgleichszahlungen als geplant: Insgesamt werden uns im Jahr 2025 rund 6 Millionen Euro für den laufenden Betrieb fehlen. Das tut weh.
Fiedler: Ein großes Problem der Landkreise ist, dass wir für Bund und Land immer mehr Aufgaben übernehmen, die aber nicht ausreichend gegenfinanziert werden. Eigentlich gilt hier das Konnexitätsprinzip. Heißt, wenn Bund oder Land ein Gesetz erlassen, müssen sie die entstehenden Mehrkosten auch ausgleichen. Aber das ist nicht der Fall.
Nennen Sie Beispiele.
Fiedler: Für die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes haben wir im Haushalt 2025 beispielsweise 17,9 Millionen Euro Mehrkosten eingeplant. Dafür bekommen wir aber - gesichert - nur 3,3 Millionen Euro zurück.
Können Sie noch weitere Bereiche nennen, in denen Sie Aufgaben des Landes oder Bundes übernehmen?
Fiedler: Ein Beispiel sind die Kliniken. Der Landkreis muss zwar die klinische Versorgung im Kreis sicherstellen. Aber es gibt eine eindeutige gesetzliche Regelung: Die Investitionen für die Kliniken sind vom Land zu finanzieren, der Betrieb ist vom Bund über die Kassen zu finanzieren. Aber weder bezahlt das Land die Investitionen in voller Höhe – wenn wir neu bauen, bekommen wir, wenn es gut läuft, Zuschüsse in Höhe von 50 oder 60 Prozent. Noch sorgt der Bund für einen vollen Ausgleich beim Betrieb.
Mit welchen Folgen für die Kliniken?
Fiedler: Unsere Kliniken erwirtschaften in diesem Jahr laut Plan ein Defizit von 13 Millionen Euro. Bei anderen Landkreisen ist es ähnlich.
Haben Bund und Land also flapsig gesagt Schulden bei den Landkreisen?
Fiedler: Das wäre ja schön! Der Bund sagt vielmehr: Eure Kosten sind gar nicht voll durch das entsprechende Gesetz verursacht worden, sondern ergeben sich aus den allgemeinen Entwicklungen im jeweiligen Bereich. Am Beispiel des Bundesteilhabegesetzes lässt sich das gut darstellen: Unsere Ausgaben für die verschiedenen Leistungen werden mit dieser Argumentation nicht voll erstattet.
Wie sieht’s im Bereich Flüchtlinge aus? Da müssen Sie doch auch einiges bezahlen.
Klett: Ja. Für die Flüchtlinge, die ausreisepflichtig sind, bei denen die zwangsweise Ausreise aber nicht durchgesetzt werden kann, haben wir im Haushalt 2025 beispielsweise 6,4 Millionen Euro eingeplant. Diese Flüchtlinge bekommen weiter Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das Geld bekommen wir nachträglich erstattet, wir rechnen aber mit weiteren Verzögerungen.
Müssen Sie also in Anbetracht dieser Lage nun einen Nachtragshaushalt aufstellen?
Klett: Wir werden die Mai-Steuerschätzung abwarten, um gesicherte Daten zu haben. Und dann werden wir entscheiden, ob wir vor der Sommerpause noch einen Nachtragshaushalt benötigen.
Was bedeutet das für die Kreisumlage, also für das, was Ihnen die Städte und Gemeinden zahlen müssen?
Fiedler: Uns ist bewusst, dass das für die Kommunen eine Herausforderung ist. Die stellen alle jetzt ihre Haushalte für 2025 auf und planen auf Basis unseres Doppelhaushalts aktuell mit der Erhöhung der Kreisumlage von 32,5 auf 33 Prozentpunkte.
Müssen Sie die Kreisumlage weiter erhöhen?
Fiedler: Eine Erhöhung ist wahrscheinlich, wenn es zu einem Nachtragshaushalt kommt. Die Kreisumlage ist immer ein extrem schwieriger Abwägungsprozess, bei dem wir schauen, was die Städte und Gemeinden überhaupt leisten können.
Was würde eine weitere Erhöhung der Umlage für die Städte und Gemeinden bedeuten?
Fiedler: Die müssen dann Steuern erhöhen, oder sie sind zu Gebührenerhöhungen gezwungen. Mögliche Beispiele sind Kindergarten, Friedhof und Bäder: Die Gebühren dafür sind oftmals nicht kostendeckend kalkuliert, damit der Zugang sozialverträglich bleibt. Oder sie können am Ende freiwillige Leistungen streichen. Schwimmbad zu, weniger Zuschuss für den Verein, …
Ihnen fehlt also Geld, das Bund und Land bezahlen müssten. Was können Sie nun tun?
Fiedler: Wir können uns weiter verschulden. Aber das hat natürlich auch rechtliche Grenzen. Das Regierungspräsidium wird uns keine uneingeschränkte Verschuldung genehmigen.
Die Verschuldung des Landkreises
31. Dezember 2023: 59 Millionen Euro
geplant zum 31. Dezember 2024: 101 Millionen Euro (ab hier ist der Landratsamt-Neubau eingerechnet)
geplant zum 31. Dezember 2025: 134 Millionen Euro
Gibt es freiwillige Leistungen, die der Landkreis erbringt und die man kürzen könnte?
Fiedler: Das ist sehr schwierig bei uns als Landkreis. Wirklich freiwillige Leistungen haben wir nur ganz wenige, beispielsweise im Bereich Sport oder Kultur. Das Theater »Die Tonne« bekommt 2025 beispielsweise 200.000 Euro. Aber da sind wir auch Gesellschafter. Oder die Württembergische Philharmonie mit 166.000 Euro. Dazu sind wir nicht verpflichtet. Dann unterstützen wir noch den Bereich der Jugendhilfe oder der Eingliederungshilfe mit insgesamt 8 Millionen Euro im kommenden Jahr. Das sind aber institutionelle Förderungen, keine reinen Freiwilligkeitsleistungen.
Sie haben mal den Landratsamt-Neubau, den geplanten Klinik-Neubau, die Regionalstadtbahn und die Schulen als die großen finanziellen Projekte des Kreises bezeichnet. Halten Sie weiter an allen in diesem Maß fest?
Fiedler: Grundsätzlich ja. Wir werden für alle Wege der Finanzierbarkeit finden müssen. Wir werden sie zeitlich so eintakten, dass wir sie uns leisten können.
Bildung und Gesundheitsversorgung sind alternativlos für die Bevölkerung, der Landratsamt-Neubau läuft schon. Bleibt die Regionalstadtbahn. Ist es in dieser Finanzsituation verantwortungsbewusst, an diesem Mammutprojekt festzuhalten, das den Kreis laut Stand 2022 rund 100,7 Millionen Euro kosten wird?
Fiedler: Ja. Vielleicht können wir sie nicht im ursprünglich angepeilten Zeitraum realisieren. Aber ich halte das Projekt nach wie vor für absolut richtig und absolut zukunftsfähig.
War diese finanzielle Misere nun absehbar?
Fiedler: Ja, es gibt diese Entwicklung seit geraumer Zeit. Deswegen finde ich es umso bedauerlicher, dass Bund und Land weiter nicht erkennen: Wir können uns die Standards, die sie definiert haben in ihren Gesetzgebungen, in der derzeitigen Situation einfach nicht mehr leisten. Wir müssen uns leider überlegen: Auf was können wir verzichten?
Worauf kann man denn aus Ihrer Sicht verzichten?
Fiedler: Es ist zumindest notwendig, nichts Neues draufzusatteln. Ein Beispiel: Vor acht Jahren hat uns der ÖPNV im Kreis noch 500.000 Euro pro Jahr gekostet, heute sind es 7,5 Millionen Euro. Wir haben das verfünfzehnfacht in acht Jahren. Und jetzt sagt das Land: Wir wollen eine landesweite Mobilitätsgarantie, wir wollen, dass in jedem Ort dieses Landes an sieben Tagen in der Woche, zu gängigen Zeiten, mindestens ein Halbstundentakt stattfindet. Mit Verlaub: Das geht einfach nicht. Personell und finanziell. Ich bin froh, wenn ich die 7,5 Millionen Euro in Zukunft noch aufwenden kann.
Und wenn Bund und Land weitermachen, wie bisher?
Fiedler: Dann werden wir uns irgendwann überlegen müssen, ob wir gegen das Land klagen. Im Bereich der Klinikfinanzierung wird dies immer wieder unter den Landkreisen diskutiert.
Was hält Sie bisher von einer Klage ab?
Fiedler: Eigentlich ist es ein Stück politische Kultur, gerade in Baden-Württemberg, dass Land und Kommunen sich immer geeinigt haben. Auf eine ausbalancierte Lösung ... Aber ja. Langsam sehen wir uns wirklich in einer Lage, die unsere Handlungsfähigkeit infrage stellt. Und damit die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden. Wir können uns manches einfach nicht mehr leisten, das muss man nüchtern betrachten. Wir sind in einer Situation, die so noch nie bestanden hat. (GEA)