REUTLINGEN. Seltsame Zeiten benötigen neue Ideen: Am Samstag gab es eine einfallsreiche Alternative zur normalen Straßenfasnet, denn mehrere Narrenvereine aus dem Reutlinger Umland luden zu einer originellen Bus-Aktion, indem sich jeweils zwei oder vier Hästräger auf verschiedene Buslinien verteilten und die Fahrgäste mit Bonbons und Schabernack in Fasnetstimmung brachten.
Was gehört bei einer Fasnetparty unbedingt dazu? Feierwillige und verkleidete närrisch Gesinnte und Kontakt zu Zuschauern. Beides war am Samstag geboten, wenn auch nicht wie üblich beim Umzug oder einer Hallenfasnet, sondern in ganz normalen Verkehrsbussen der RSV. Grund dafür war erneut die Pandemie, die nur wenig Spielraum für größere närrische Späße ließ. Zwar hatte Ministerpräsident Manfred Kretschmann vor ein paar Tagen erklärt, dass Fastnachtsumzüge »in Absprache mit den zuständigen Behörden unter der 3G-Regel« doch möglich seien, aber so kurzfristig konnten auch die Reutlinger Schandeles keinen Umzug mehr organisieren.
Nicht nur die Reutlinger Zünfte hätten sich eine frühere Ansage der Landesregierung gewünscht und so musste die Feiersause mit Menschenmassen am Straßenrand ein weiteres Mal ausfallen. Unterkriegen ließen sich die Vereine aus dem Reutlinger Umland trotzdem nicht und setzten sich zusammen, um nach einer coronakonformen Alternative zum klassischen Umzug zu suchen – getreu dem Motto: »Der Narr verstummt nicht, ist nur etwas leise, macht Fasnet – mit Abstand auf andere Art und Weise«.
Thomas Schaal, Vorsitzender des Pfullinger Mottles-Heer, hatte zu guter Letzt die Idee, das Fasnachtstreiben in kleiner Form mit den Fahrgästen der RSV umzusetzen. Schließlich müssten die Häser doch »raus ufd Stroß und könnet net oifach dohoim in dr Kischt bleibe«, fand einer der Hästräger, der sich an der originellen Busfahrt beteiligte. Treffpunkt war morgens um 10 Uhr beim Busbahnhof ZOB. Von dort ging es zu Fuß zur Gartenstraße, wo sich jeweils zwei oder vier Narren pro Verein auf die Busse verteilten. Einbezogen wurden alle RSV-Linien, um so viel wie möglich Fahrgäste mit närrischer Stimmung bei Laune zu halten. Lautstarke Narrenrufe wie »Hoaga-Männle«, »Schandi–Schando« oder »Ache-Lau« waren zu vernehmen. Fasnetsbonbons für die mitfahrenden Kinder gab es ebenso für umme wie Blumen für die Älteren.
»Heute bekam die Maskenpflicht eine ganz neue Bedeutung«, freute sich RSV-Marketingleiter Bernd Kugel über die gelungene Aktion.
Auch auf Reutlingens Haupteinkaufsstraße waren die Hästräger am Samstagvormittag unterwegs. Einige verkleidete Kinder warteten in der unteren Wilhelmstraße um kurz vor 10 Uhr zusammen mit ihren Eltern schon sehnsüchtig auf die Narren, die sich kurz darauf von der Karlstraße Richtung Marktplatz aufmachten. Vor allem vor den Teufels-Gestalten hatte manch kleiner Karnevalist anfangs gehörig Respekt, doch spätestens als diese einen Lolly oder ein Bonbon aus der Tasche zogen, war die Angst verflogen.
Auch für Erwachsene waren die ungewöhnlichen Gestalten in der Wilhelmstraße eine Attraktion. Einige Passanten nutzen die Gelegenheit, um Fotos zu machen oder sich selbst per Selfie mit den Hästragern ablichten zu lassen. »Das glaubt mir sonst ja niemand«, sagte ein etwas älterer Mann. Bis zum Mittag bevölkerten die Narren die Wilhelmstraße und sorgten bei manchen für ein wohl unvergessliches Einkaufserlebnis.
Um 15 Uhr versammelten sich dann alle Narren vor der Stadthalle. Dort sorgten die »Brass Bandits« für den musikalischen Abschluss des närrischen Tages in Reutlingen. Die zahlreichen Schaulustigen, die durch fetzige Guggenmusik angelockt wurden, hätten gerne länger als eine halbe Stunde zugehört, aber trotz der mehrfach geforderten Zugabe machten sich die Narren auf den Nachhauseweg, um rechtzeitig vor dem Beginn der Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen im Bürgerpark weg zu sein. »Wir wollen damit nicht in Verbindung gebracht werden«, sagte Organisator Thomas Schaal, Vorsitzender des Pfullinger Mottles-Heer.
Neben ihnen beteiligten sich an den Aktionen Nachtkrapp, Hoagamännle, Glöckeles Hexen und die Uschlaberghexa (alle aus Pfullingen), die Mühla-Katza aus Betzingen, die Schönbuchhexen Walddorf, die Scheulerwald Deifels-Hexa, die Sickenhäuser Wölfe, die Narrenzunft Jettenburg, die Sondelfinger Füchse und einige wilde Gestalten der Narrenzunft Reicheneck. (GEA)