REUTLINGEN. Es ist ein Haushaltsentwurf in Rekordhöhe, den Landrat Thomas Reumann in den Kreistag eingebracht hat: Mit 385,7 Millionen Euro wirtschaftet der Kreis Reutlingen voraussichtlich im kommenden Jahr. Aber entspannt sind weder der Landrat noch Kreiskämmerer Wolfgang Klett. Denn während die Ausgaben voraussichtlich um 3,2 Prozent steigen, wachsen die Einnahmen nur um 1,5 Prozent auf 365,4 Millionen Euro. Um alle Aufgaben finanzieren und einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren zu können, müssen 3,7 Millionen Euro aus der Rücklage geholt und zusätzlich die Liquiditätsreserve fast aufs gesetzlich vorgeschriebene Minimum abgeschmolzen werden.
Sozialkosten. Der größte Brocken auf der Ausgabenseite sind die Sozialkosten für Menschen in schwierigen Lebenslagen. Sie werden sich nach den Schätzungen der Verwaltung im Jahr 2020 auf netto 162,6 Millionen Euro belaufen (ein Anstieg zum Vorjahr um rund 14,5 Millionen). Und diese Kosten sind in den vergangenen Jahren explosionsartig angestiegen – seit 2005 haben sie sich beinahe verdoppelt. Zurückzuführen ist dies nicht nur auf eine steigende Zahl von Leistungsempfängern, sondern auch auf gesetzliche Verbesserungen in den einzelnen Feldern. Und weil die Umsetzung vieler Gesetze immer komplizierter wird, braucht man mehr Personal dafür.
Verantwortung. Die Kostensteigerungen im Sozialbereich können die Kommunen praktisch nicht beeinflussen. Das Bundesteilhabegesetz beispielsweise, das Gute-Kita-Gesetz oder das Pflegestärkungsgesetz nennt Landrat Reumann als fraglos wichtige Schritte – aber dass in Berlin beschlossene Maßnahmen oft zum beträchtlichen Teil von den Kommunen finanziert werden sollen, ärgert ihn gewaltig. »Wer bestellt, bezahlt«: Das sei die Kernaussage des Konnexitätsprinzips, das immer dann gelte, wenn Aufträge von oben auf die kommunale Ebene durchtröpfeln. Bund und Land stehlen sich laut Reumann aber viel zu oft aus der Verantwortung. Gespräche der Kommunalen Spitzenverbände mit der Landesregierung hätten bislang zu keinem Ergebnis geführt. Sprich: Im Moment sei völlig unklar, wer ab Januar welche Kosten zu übernehmen hat. Klar sei nur eins, sagt Reumann: »Wir werden als Kommunen diese Steigerung der Sozialkosten nicht stemmen können.« Durch das Bundesteilhabegesetz kämen allein auf den Kreis Reutlingen 4,7 Millionen Euro Mehrbelastung zu. Landesweit seien im Moment aber insgesamt nur 11 Millionen Euro als Ausgleichszahlungen vorgesehen.
Sprengstoff. Der unberechenbare Sozialhaushalt (die Kosten werden nach allen Schätzungen weiter steigen) und die unklare Aufteilung der Finanzierung zwischen Bund, Land und Kommunen sind das größte Kalkulationsrisiko für Kämmerer Wolfgang Klett, der die einzelnen Posten für das kommende Jahr berechnen muss. »Deshalb steckt in diesem Haushalt Sprengstoff drin«, sagt Thomas Reumann. Auch bei den Leistungen für geduldete Asylbewerber fühlen sich die Kreise im Stich gelassen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise habe das Land »heilige Eide geschworen«, dass es die Kommunen nicht im Regen stehen lasse. Daran müsse man den Ministerpräsidenten wohl erst wieder erinnern, meint der Landrat. Die Rücklagen anzuzapfen, weil die Ausgaben davonlaufen, könne keine dauerhafte Lösung sein.
Investitionen. Der Landkreis will (und muss) auch im nächsten Jahr investieren. Millionen fließen jeweils in die Kreiskliniken, in den Unterhalt und Ausbau der Kreisstraßen, die Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs (mit der Regionalstadtbahn) und in die Berufsschulen. Beim geplanten Neubau des Landratsamtes soll 2020 »der entscheidende Schritt« getan werden.
Kreisumlage. Immer wieder ein sensibles Thema ist die Kreisumlage – also der Betrag, den die Städte und Gemeinden im Kreis zur Finanzierung der Aufgaben des Landkreises an diesen entrichten. Je höher der Hebesatz, desto weniger Geld bleibt den Städten und Gemeinden. Die Verwaltung schlägt im Haushaltsentwurf eine Erhöhung des Kreisumlage-Hebesatzes um 0,5 Prozentpunkte auf 30 Prozent vor. Das macht dann 136,8 Millionen Euro – der größte Brocken auf der Einnahmenseite des Kreishaushalts. Grunderwerbssteuer, Gebühren und Bußgelder und Zuweisungen kommen unter anderem noch hinzu. Auf die Kreisumlage hätte ein Vorschlag der Verwaltung Einfluss: Man solle von 2020 an jährlich 8 Millionen Euro ansparen für die nötigen Investitionen in den Kreiskliniken – was allerdings eine weitere Erhöhung des Hebesatzes um 1,75 Prozentpunkte bedeuten würde.
Nachhaltigkeit. Der Kreis Reutlingen hat sich vor Jahren auf den Weg zu einem »nachhaltigen Landkreis« gemacht. Diesen Weg geht man weiter. Die Verwaltung wird dem Kreistag vorschlagen, zusätzlich zu anderen Klimaschutzmaßnahmen die Verwaltung bis 2040 klimaneutral zu gestalten. Nachhaltigkeit, sagt Reumann, beziehe sich nicht nur auf die Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie wie im Biosphärengebiet sichtbar. Auch im sozialen Bereich spielt das Ziel eine Rolle: zum Beispiel, wenn man sich (auch finanziell) dafür engagiere, Kindern und Jugendlichen zu Schul- und Berufsabschlüssen zu verhelfen, um sie gut in die Gesellschaft zu integrieren. Deshalb fördert der Kreis unter anderem stark die Schulsozialarbeit. Neu ist ein Projekt mit dem Verein Wirbelwind, bei dem es um Hilfe für Kinder und Jugendliche bei sexueller Gewalt geht.
Verschuldung. Der Kreis Reutlingen ist relativ hoch verschuldet: im Moment mit etwas über 60 Millionen Euro. Davon sollen im kommenden Jahr 4,5 Millionen Euro abgebaut werden. (GEA)