REUTLINGEN. Einmal gemeinsam mit einer Olympiasiegerin Rad fahren? Mit einer Frau, die mit 24 so gut wie alles erreicht hat, was man auf dem Rennrad – genauer: auf dem Bahnrad – erreichen kann. Der GEA hat’s in einer Exklusiv-Aktion für Leserinnen und Lesern mit Franzi Brauße für eine 44 Kilometer kurze Trainingsrunde mit 600 Höhenmetern möglich gemacht.
Bewegt. Franziska (»gern Franzi, Franziska sagt eigentlich niemand«) Brauße kam mit dem Rad. Ihr Arbeitsgerät. Die Fahrt zum Treffpunkt zwischen Gönningen und Öschingen baute sie in ihr Training ein. Eine kleine, lockere Einheit Grundlagenausdauer. Vom Trainer ausdrücklich für gut befunden.
Extrem. Am Treffpunkt vier GEA-Leser in Alb-Extrem-Trikots. Ein Statement für Ausdauer und Biss. Den Rad-Marathon gibt’s seit 1984 in Ottenbach im Kreis Göppingen. Angehende »Kletterer«, wie Bergziegen in der Rad-Szene genannt werden, versuchen sich erst mal an der »Alb-e@asy« mit 90 Kilometern und 1.400 Höhenmetern, anspruchsvoll wird’s ab 160 Kilometern und 2.700 Höhenmetern. »Etwas für die wahren Extremisten«, so die Veranstalter, ist der »Traufkönig-Ultramarathon« mit 300 Kilometern und 6.000 Höhenmetern.
Hoch. Eric Müller trug bei der GEA-Trainingsfahrt kein Alb-Extrem-, sondern ein Strava-X-Le-Col-Trikot. »Le col«, französisch für »Pass«, ist in diesem Fall ein ganz besonderer Berg: der 8.848 Meter hohe Mount Everest. In dem sozialen Netzwerk Strava zeichnen Radfahrer, Läufer und Wanderer ihre sportlichen Aktivitäten auf und vergleichen sie. Strava ruft immer wieder Wettbewerbe aus, um Ausdauersportler zu noch mehr Leistung zu animieren. Die Everest-Challenge bestand darin, in einem Monat 8 848 Meter zu klettern – also mit dem Rad Höhenmeter zu erstrampeln. Eric hat’s gemacht.
Kultig. Steil ist auch der Mont Ventoux. Der »Gigant der Provence« steht seit 1951 regelmäßig bei der Tour de France auf dem Programm. Hier haben sich schon legendäre Kämpfe und Dramen abgespielt, manche sagen, der Ventoux sei der einzige Berg, den Lance Armstrong gefürchtet habe. Irmi Rockstroh aus Pfullingen hat ihn mit seinen 1 600 Höhenmetern schon zehn Mal bezwungen. Dafür hat sie sich nicht nur das rot gepunktete Berg-Trikot der Tour de France gegönnt, sondern sich auch den Gipfel mit der Chapelle Sainte-Croix auf den Unterarm tätowieren lassen. Ihr Sohn Tristan ist den Berg zusammen mit seinem Vater Lars das erste Mal mit neun hochgefahren. Inzwischen ist der 19-Jährige bei Nummer 16.
Weit. Franzi war noch nie auf dem Mont Ventoux. Fährt aber Strecken, von denen die Teilnehmer der GEA-Trainingsfahrt nur (alp)träumen können. Rund 20.000 Kilometer ist die Eningerin im Jahr auf dem Rad unterwegs. Wer meint, die Olympiasiegerin, Europa- und Weltmeisterin würde das meiste davon auf der Bahn fahren, irrt: »Ich fahre sicher zu 90 Prozent auf der Straße«, sagt die 24-Jährige. Wo? Überall in der Region. Von Eningen aus ist sie ruckzuck auf der Alb, entweder direkt ab Haus Richtung St. Johann oder so wie jetzt über Talheim nach Melchingen hoch. Oder die Stuhlsteige, die Rossbergsteige, die Gönniger Steige oder den Kalkofen (»gut, um 8-Minuten-Intervalle zu fahren«). Wenn’s nicht unbedingt sein muss, »nicht die Zahnrad-Steige in Honau, die hasse ich«. Hauptsache hoch. »Auf der Alb fahre ich besonders gern, weil da weniger Verkehr ist«, sagt Franzi. Unschöne Begegnungen mit Autofahrern hatte sie wie alle Radfahrer mehr als genug. Zeitgenossen, die sich viel zu dicht an einem vorbeidrücken, Autofahrer, die einen anschnauzen, weil sie meinen, auf der Straße hätten Radfahrer nichts zu suchen. Man nimmt’s hilflos und achselzuckend hin. Hauptsache, es passiert nichts.
Verletzt. Passiert ist Franzi bis jetzt noch nichts richtig Ernsthaftes. »Heißt, dass ich mir noch nichts gebrochen habe«, sagt die 24-Jährige. Klar: Ein paar Mal ist sie schon gestürzt, das lässt sich gar nicht vermeiden, erst recht nicht, wenn man in seinem jungen Leben schon ein paar Mal (auf Kilometer umgerechnet) die Erde umradelt hat. Bei der GEA-Tour unübersehbar die noch nicht verheilten Wunden an ihrem rechten Knie. Ein Sturz in der dritten von 14 Runden bei einem Rennen in Belgien vor vier Wochen. Das verheilt, am Knie halt nur sehr langsam, weil das ständig in Bewegung ist. Vor einigen Jahren hat sie’s mal auf der Bahn gelegt. Das war dann richtig schmerzhaft: Die Ärzte mussten ihr auf einer Körperseite mit der Pinzette unzählige Holzsplitter rausziehen. Das vergeht. Wer absurd hohe Watt-Zahlen auf die Pedale bringt wie Franzi Brauße, steckt das weg.
Zweisam. Manchmal spult die Olympiasiegerin aus Eningen ihre Kilometer auch allein ab. »Kann ganz gut sein, um den Kopf freizukriegen«, sagt sie, »meistens fahre ich aber zu zweit oder in der Gruppe, das ist schöner.« Wenn sie zu zweit unterwegs ist, dann natürlich am liebsten mit ihrem Freund Luka Zetsche. Der 26-Jährige aus Heilbronn fährt zwar »nur« in der Rad-Bundesliga, weil Männer aber Frauen in diesem Kraftausdauer-Bereich überlegen sind, »passt das sehr gut bei uns«.
Fleißig. Schinden muss sich Franzi immer, egal, ob sie allein, mit Luka oder ihren Mädels trainiert. Wenn’s nur ein lockeres, aber (bis zu sechs Stunden) langes Grundlagentraining ist, ist Sitzfleisch gefragt. Am Tag der GEA-Ausfahrt hatte sie morgens erst einen Leistungstest auf der Rolle gemacht, dann auf der Gönninger Steige ein dreiminütiges »All-out-Intervall« runtergerissen. Mit der Folge, dass sie bei der Ankunft am Treffpunkt erst mal ein Energy-Gel reinpresste, bevor sie die vielen Fragen beantwortete. Der Körper einer Leistungssportlerin will optimal versorgt sein.
Durstig. Trinken, klar. Wasser und Mineralien. Von beidem viel. Alkohol? Was für eine Frage, natürlich nicht! »Vielleicht nach einem Wettkampf oder einem besonderen Erfolg mal ein Glas Wein«, sagt Franzi. Ein schönes kühles Blondes nach dem Training: nein, danke. Die Spitzenathletin weiß, dass der Körper zuallererst (das Nervengift) Alkohol verarbeitet und sich dann erst um den Rest kümmert. »Man muss sich bewusst sein, wie viel der Alkohol vom Trainingseffekt wieder kaputtmacht«, sagt die 24-Jährige.
Gesund. Ein guter Teil der Regeneration und damit des Trainings läuft: im Schlaf. Der ist für Leistungssportlerinnen besonders wichtig – zu wenig Schlaf ist ähnlich schlecht wie zu viel Alkohol. »So um die acht Stunden habe ich eigentlich immer«, sagt Franzi. Würde sie mal unangekündigt über die Stränge schlagen, würde sie recht schnell einen Anruf von ihrem Trainer Sven Meyer bekommen. Der weiß über vieles Bescheid, ohne dass die beiden miteinander reden. Der Grund: Franzi Brauße hat an ihrem Oberarm ein »Whoop« und auf ihrem Oberschenkel ein »Moxy« platziert. Das erste misst Puls und Temperatur, das zweite die Sauerstoff-Sättigung im Blut. Würde da etwas außer der Reihe laufen, der Trainer würde es schnell merken. Massenhaft Daten gibt’s auch von dem Computer, der jede Bewegung ihres Rads aufzeichnet. Keine Überwachung, die die Spitzenathletin stressen würde. »Wir machen das schließlich freiwillig, wir sind Berufsradfahrer.«
Fokussiert. Ein paar Ziele hat die 24-Jährige noch. Die Goldmedaille hat sie noch lange nicht satt gemacht, und es wäre eine Sünde, ihr überragendes Talent – Franzi Brauße fährt erst seit zehn Jahren Rad –, gepaart mit dem großen Biss zu verschwenden. »Bis zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles will ich auf jeden Fall noch dabei sein«, sagt die Eningerin. »Wenn’s gut läuft, könnten wir wieder eine Medaille gewinnen« – wohl wissend, dass in Paris 2024 und LA2028 eine ganz andere Mannschaft am Start sein wird. Lisa Brennauer ist schon mal raus, sie hat ihre Karriere beendet und bekommt dieser Tage ihr erstes Kind. Familie wird für Franzi Brauße nach der Karriere vielleicht auch mal ein Thema, sagt sie. Ob die Sportsoldatin mal in Richtung Trainerin geht oder etwas ganz anderes macht, ist noch völlig offen. Erst mal denkt sie nur ans Training und die nächsten Wettkämpfe. (GEA)