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Aktuell Inklusion

Starthilfe in ein neues Leben

Eigene Wohnung und Selbstständigkeit für Menschen mit Behinderung: Beispiel aus Mariaberg

Ralf Schulz (Zweiter von links) und seine Gastmutter Renate Brandt (Zweite von rechts) wurden von Eva Radmüller (links) und Mela
Ralf Schulz (Zweiter von links) und seine Gastmutter Renate Brandt (Zweite von rechts) wurden von Eva Radmüller (links) und Melanie Heberle (rechts) verabschiedet. FOTO: PRIVAT
Ralf Schulz (Zweiter von links) und seine Gastmutter Renate Brandt (Zweite von rechts) wurden von Eva Radmüller (links) und Melanie Heberle (rechts) verabschiedet. FOTO: PRIVAT

GAMMERTINGEN-MARIABERG. Ralf Schulz schaut sehr zufrieden und gelöst. Er wird Anfang Juli nach Stuttgart in die Nähe seines Bruders ziehen, in eine eigene Wohnung in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung mit Ambulant Betreutem Wohnen. Es ist eine Erfolgsgeschichte in Sachen Inklusion. In den letzten Jahren hat Ralf Schulz beständig mit seiner Gastmutter Renate Brandt und ihrem Mann Harald aus Scheer sowie Melanie Heberle, Mitarbeiterin der Mariaberg-Hilfen nach Maß gGmbH, und dem dazu gehörenden Team der Ambulanten Dienste auf diesen Schritt in die Selbstständigkeit hingearbeitet.

Ralf Schulz hat ein langes Leben in stationären Einrichtungen hinter sich. 2002 wurde er in Mariaberg stationär aufgenommen, wechselte dort, seinem fortschreitenden Entwicklungsstand entsprechend, in verschiedene Wohnangebote und zog dann im Jahr 2007 nach Sigmaringen in eine regionale Wohngruppe der Einrichtung. Nach diesen zahlreichen Jahren in verschiedenen stationären Betreuungsangeboten wurde Ralf Schulz in die Lage versetzt, in ein »Betreutes Wohnen in Familien« zu wechseln.

»Wir möchten einem Menschen, der Hilfe braucht, Familie sein«

Im März 2014 zog Ralf Schulz zu Familie Brandt nach Scheer in deren Haus, wo ihn Hündin Buffy nach dem vorausgegangenen erfolgreichen Probewohnen schon freudig erwartete. Dem Ganzen war allerdings eine unüblich kurze Vorgeschichte vorausgegangen. Eva Radmüller, zuständige Regionalleitung für die besonderen Wohnformen, das Ambulant Betreute Wohnen und das Betreute Wohnen in Familien im Landkreis Sigmaringen für Mariaberg, und Renate Brandt erinnern sich noch sehr genau an den Erstkontakt im November 2013. Renate Brandt hatte sich auf eine Anzeige Mariabergs gemeldet, in der um Gastfamilien geworben wurde.

Beim Erstgespräch fragte Eva Radmüller das Ehepaar Brandt, was denn die Motivation sei, einen »fremden« Menschen in sein Haus dauerhaft und sieben Tage in der Woche aufnehmen zu wollen. Dies sei ja alles andere als alltäglich. Renate Brandt, die selbst examinierte Altenpflegerin ist und viele Jahrzehnte in diesem Beruf gearbeitet hat, antwortete damals: »Wir möchten einem Menschen, der Hilfe braucht, Familie sein und ihn bei uns so aufnehmen, dass er ein echtes Familienmitglied wird, mit allem, was dazu gehört.« Ab diesem Moment spätestens spürte Eva Radmüller, dass dies eine »Erfolgsstory« werden würde. Renate Brandt wünschte sich, mit dem neuen Mitbewohner schon zu Weihnachten gemeinsam »Bredle« zu backen. Ganz so schnell ging es dann doch noch nicht.

Aber gedacht, getan. Nachdem Familie Brandt und Ralf Schulz bald darauf schon die Gelegenheit hatten, sich kennenzulernen, war es für alle eine »klare Sache«. Schulz zog bei Brandts ein. Das alles ist nun gut sechs Jahre her. Regelmäßig reflektierten Ralf, seine Gastfamilie und Melanie Heberle die zu besprechenden Themen, die Fortschritte und auftretende Schwierigkeiten, die sich alsbald immer mehr zu kleineren, in den Hintergrund tretenden »Alltagsherausforderungen« zurück entwickelten, wie sie in jeder Familie auftreten.

Familie Brandt nahm Ralf in jeden Urlaub im Wohnmobil mit. Beide kümmerten sich all die Jahre liebevoll und herzlich um ihren Gastsohn, sodass Ralf auch schon mal das Wort »Mutter« über die Lippen kam. Ralf Schulz, von Eva Radmüller gefragt, was es denn ausmache, dass er sich so dermaßen aufgehoben und wohl bei Familie Brandt fühle, antwortete mit dem Satz: »Ich bin endlich angekommen.« Angekommen in dem Gefühl, eine Familie, die Ralf seit seiner Geburt verwehrt geblieben war, geschenkt bekommen zu haben. Er durfte lernen und sich in der Geborgenheit einer Familie entwickeln, er durfte aber auch Fehler machen, ohne dass er dafür bestraft wurde. Das musste Ralf erst lernen, denn in seiner Kindheit war das anders.

Tapfer und sehr erwachsen zeigte er sich in den letzten Monaten in der Begleitung am Krankenbett von Harald Brandt, der Ende März nach einem geduldig ertragenen Krebsleiden gestorben ist. Oft saß Ralf tröstend an seinem Bett und streichelte ihm den Arm. Renate Brandt sagt leise: » Ich habe ihn bewundert, wie er das mit Harald so gut hinbekommen hat.«

Nun, mit Mitte dreißig, ist Ralf durch die Unterstützung von Familie Brandt und der Ambulante Dienste des Mariaberg-Vereins so weit, eine eigene kleine Wohnung beziehen zu können, nachdem in ihm der Wunsch gereift ist, in die Nähe seines leiblichen Bruders zu ziehen, den er in den letzten Jahren immer wieder besucht hat und so eine stabile Bindung zu ihm aufbauen konnte. Bei einem Treffen haben sich alle verabschiedet und ihre Erfolgsgeschichte gefeiert. (fm)