MÜNSINGEN-BUTTENHAUSEN. 14 Stolpersteine wurden in Buttenhausen verlegt – jeder einzelne ein Zeichen der Erinnerung und Mahnung. Mit jedem Stolperstein erhalten ehemalige jüdische und in Konzentrationslager deportierte Menschen aus dem Dorf im Lautertal ihren Namen zurück. In den nächsten Jahren sollen weitere Steine folgen.
Die Stadt Münsingen weiß laut Stadtarchivar und Museumsleiter Yannik Krebs namentlich von 35 Juden, die aus Buttenhausen stammten, hier lebten, abtransportiert und ermordet wurden. Klar ist, dass ihnen mit einem ganz persönlichen Stolperstein ein Denkmal gesetzt werden soll. »Doch da sind noch viel mehr, die vertrieben wurden oder geflohen sind.«
»Sie wollen wissen, was mit ihren Großeltern und Urgroßeltern passiert ist«
Mit 14 Stolpersteinen wurde nun ein Anfang gemacht. »Für jeden Menschen einen Stein«, so will es der Künstler und Initiator des Projekts »Stolpersteine«, Gunter Demnig. Insgesamt 80 000 Stolpersteine hat er während der vergangenen 20 Jahre angefertigt und in 26 europäischen Ländern verlegt. Als »symbolische Wiedererkennung«, insbesondere für junge Menschen, die wissen wollen, »wie so etwas Schreckliches im Land der Dichter und Denker passieren konnte«. Sechs Millionen ermordeter Juden, darüber hinaus noch unzählige weitere Opfer der Nazi-Herrschaft: »Deren Nachfolger wollen wissen, was mit ihren Großeltern und Urgroßeltern passiert ist.«
Deshalb hat Demnig seine Stiftung ins Leben gerufen, die zum »Stolpern mit Kopf und Herzen« anregen will. Man soll drüber laufen und sich erinnern, dadurch die Stolpersteine aus Messing mit von Hand eingravierten Namen blank polieren. Sie sind sein Lebenswerk, wie der Berliner Künstler erzählte. »Jeder Stein wird individuell in Handarbeit, nicht in der Fabrik gefertigt. Denn Auschwitz – das war fabrikmäßiges Morden.«
»Buttenhausen hat vor den Nazis gezeigt, dass es funktionieren kann«
Am Montagvormittag traf sich Demnig mit ausgewählten Besuchern, darunter auch die Urenkelin von Naphtali Berlinger, die sich sehr über die Stolpersteinlegung im Wiesengrund 2 freute. Hier hat ihr Urgroßvater gelebt, gewohnt und als Lehrer und Rabbiner gearbeitet, er war die bedeutendste jüdische Persönlichkeit des Ortes, von Juden wie Christen gleichermaßen respektiert. Er hatte acht Kinder, sieben von ihnen konnten rechtzeitig das Ausland erreichen. Eine Tochter wurde deportiert und musste ihr Leben lassen. 19 Enkel, 51 Urenkel und 210 Ururenkel sind nachgekommen.
So wie Gal Berlinger-Keller, die heute in der Südpfalz lebt, aber in Israel aufgewachsen ist und schon mit 13 Jahren mit ihren Eltern zum ersten Mal nach Buttenhausen zu Walter Ott kam. Seither besuchte sie die einstige Heimat ihres Urgroßvaters immer wieder und ist daran interessiert, wie die Vergangenheit aufgearbeitet wird. »Das Dritte Reich hat nicht geklappt: Wir sind da und wir werden bleiben«, betonte sie.
Berlinger selbst starb am 20. Februar 1943 in Theresienstadt, was jetzt auf seinem Stolperstein zu lesen ist. Für Ortsvorsteherin Sybille Hölz ein »individueller Bezug zum Schicksal des dahinter stehenden Menschen«. Es sei von zentraler Bedeutung, die Erinnerung am Leben zu halten und den Opfern ihre Namen zurückzugeben. »Buttenhausen hat vor den Nazis gezeigt, dass Zusammenleben funktionieren kann. Umso mehr müssen wir heute Haltung zeigen, widersprechen und demonstrativ für einen friedvollen Umgang miteinander einstehen.« Die Buttenhausener Juden »lebten mitten unter uns, sie waren Nachbarn, Freunde und Arbeitgeber«. So wie Salomon Löwenthal, ein bekannter Pferdehändler und größter Steuerzahler im Dorf. Er war beliebt bei den Bauern, saß bis 1935 im Gemeinderat und hätte sich nie vorstellen können, dass ihm so etwas im Land von Goethe und Schiller passieren könnte. Und doch wurde er nach Theresienstadt deportiert, um dort zu sterben.
»Das Dritte Reich hat nicht geklappt: Wir sind da und wir werden bleiben«
David Holinstat von der Jüdischen Gemeinde sprach von einem »Ort der Ausnahme«, in dem ein friedliches Zusammenleben zwischen Juden und Christen möglich war. Und doch sei Buttenhausen nicht losgelöst von der allgemeinen politischen Entwicklung gewesen. Jüdische Bürger wurden deportiert, keiner von ihnen überlebte.
Die Aufarbeitung, so Holinstat, habe gedauert: Erst 1966 wurde ein Denkmal errichtet, 1994 das Museum in der ehemaligen Schule eingerichtet. »Nun, 75 Jahre nach Kriegsende, verlegen wir Stolpersteine als wichtiges Symbol.« Dieser Akt zeige den Entschluss der Stadt Münsingen, zum Nachdenken motivieren zu wollen: über die eigene Familiengeschichte und ihren Einfluss, sowie über die Demokratie als kostbares Gut.
Bürgermeister Mike Münzing betonte, dass es nicht darum gehe, aus Buttenhausen ein Museumsdorf zu machen, sondern an die Menschen zu erinnern, die mit ihrem Leben zur Gestalt der Ortschaft beigetragen haben. Sie seien ebenso verwurzelt gewesen wie nun diese Stolpersteine. Hätte es den Holocaust nicht gegeben, so wären Christen ganz selbstverständlich mit Menschen jüdischen Glaubens aufgewachsen, sie hätten gemeinsame Erlebnisse gehabt. So seien nicht nur Juden ihrer Existenz und ihrer Zukunft beraubt worden, sondern auch alle anderen Menschen um die Chancen des Zusammenlebens.
Ziel sei es, all jener Menschen zu gedenken, die in Buttenhausen lebten, von hier wegholt wurden und ihr Ende viel zu früh in einem der Konzentrationslager gefunden haben. Yannik Krebs und Eberhard Zacher erinnerten an vier Stationen an Naphtali Berlinger, an die Familien Lichtenauer und Levi, an die Familie Löwenthal und an die Familie von Emanuel Levi. Nina Speidel umrahmte die feierliche Stolpersteinlegung mit Saxofonklängen, Pfarrerin Regina Götz und Martin Pöt Stoldt sprachen Gebete. (GEA)