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Aktuell Vergessene Berufe

Der Geschichtsverein Pfullingen macht auf längst vergessene Berufe aufmerksam

Die Sonderausstellung im Stadtgeschichlichten Museum gewährt Einblicke in Tätigkeiten, die früher Familien ernährt haben, aber heute beinahe vergessen sind.

Der Pfullinger Handwerker-Brunnen – dargestellt ist ein Gerber – ist ein Denkmal für Berufe, die heute ausgestorben sind. Es ste
Der Pfullinger Handwerker-Brunnen – dargestellt ist ein Gerber – ist ein Denkmal für Berufe, die heute ausgestorben sind. Es steht vor dem Stadtgeschichtlichen Museum Schlössle, in dem derzeit die Ausstellung des Geschichtsvereins »Vergessene Berufe – Handwerkskunst, Erfindergeist, Forscherdrang« zu sehen ist. foto: schöbel
Der Pfullinger Handwerker-Brunnen – dargestellt ist ein Gerber – ist ein Denkmal für Berufe, die heute ausgestorben sind. Es steht vor dem Stadtgeschichtlichen Museum Schlössle, in dem derzeit die Ausstellung des Geschichtsvereins »Vergessene Berufe – Handwerkskunst, Erfindergeist, Forscherdrang« zu sehen ist. foto: schöbel

PFULLINGEN. »Nichts ist beständiger als der Wandel« – das hat vor 2 500 Jahren schon der griechische Philosoph Heraklit festgestellt. Besonders augenfällig sind in der heutigen Zeit vor allem technologische Entwicklungen. Sie lassen Maschinen, Geräte und Apparate vergangener Epochen tatsächlich einfach nur »alt« aussehen. Dass der Wandel in der Technik aber auch mit teils gravierenden Veränderungen für die Menschen, die sie bedient, verbunden ist, macht die aktuelle Sonderausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Schlössle deutlich. Unter dem Titel »Vergessene Berufe – Handwerkskunst, Erfindergeist, Forscherdrang« hat der Geschichtsverein Pfullingen eine Schau zusammengestellt, die Einblicke gibt in Tätigkeiten, die früher Familien ernährten, die heutzutage aber beinahe vergessen sind.

In jeder Stadt und in jedem Dorf gab es eine Vielfalt beruflicher Tätigkeiten. Waltraud Pustal und Florian Lang vom Geschichtsverein haben sich insbesondere mit der Situation in Pfullingen beschäftigt. Ihre Erkenntnisse werden im Folgenden in Auszügen wiedergegeben. Sie haben herausgefunden, dass hier Berufe und Handwerkskünste entstanden waren, die sehr speziell auf die Gegebenheiten der Stadt zugeschnitten waren. Dazu zählte etwa der Beruf des Wasserwiesenmeisters, denn dafür war Voraussetzung, dass die Natur die Nutzung solcher Wasserwiesen ermöglichte.

Die Echaz als Lebensader

Mühlenbauer und Wasserbauingenieure dagegen waren in der Lage, für jedes Gewässer ein Mühlrad oder eine Turbine zu bauen. Diese Ingenieurtechnik ist, wie es in den Erläuterungen des Geschichtsvereins heißt, seit dem frühen Mittelalter (oder noch länger) bekannt. In Pfullingen existierten über die Jahrhunderte mehr als 30 Mühlenstandorte, jeder mit eigenem Einzelantrieb.

»Ob Müller, Seiler, Schuhmacher, Gerber, Messerschmied, Leinenweber, Kesselflicker, Turmuhrenbauer, Glaser oder Glasmaler, Bürstenmacher, Buchbinder und nicht zuletzt Wasserwiesenmeister, unsere Vorfahren haben ein Leben lang Tätigkeiten beherrscht, von denen wir teilweise nichts oder nur noch wenig wissen«, heißt es auf der Tafel, die Ausstellungsbesucher in die Schau einführt.

Pfullingen war – dank der Echaz – ein gutes Pflaster für viele Handwerker. Der Fluss lieferte die Energie für Maschinen, versorgte sie mit Wasser und nahm die Abwässer wieder mit. In einem Brief an Herzog Carl Eugen vom 26. März 1771 listen die Stadtoberen mehr als 30 Gewerbe in der Stadt auf: » 4 Kauf und Handelsleut, worunter 2 Chalanden (die mit Baumaterial und Eisenwaren handelten) 8 Krämer und Spitzenhändler, 4 Bortenwirker, 1 Seidenfabrikant, 8 Zeugmacher, 4 Strumpfweber, 2 Färber, 1 Büchsenmacher, 2 Schlosser, 19 Schneider, 3 Glaser, 3 Dreher, 34 Bäcker, 32 Schuster, 8 Schreiner, 26 Metzger, 2 Rotgerber, 3 Seiler, 2 Sattler, 19 Weber (Leinenweber), 6 Zimmerleut, 11 Maurer, 4 Wagner, 6 Schmiede, 3 Nagelschmiede, 8 Hafner, 13 Küfer, 2 Kübler (Böttcher, kleinere Gefäße), 3 Schild- und 8 beständige Gassenwirte, sodann 2 Kessler.«

Bis 1806, als Württemberg Königreich wurde, war Pfullingen zwar Oberamtsstadt, jedoch ein ziemlich armseliges Landstädtchen mit knapp 3 500 Einwohnern, die rund 460 Häuser bewohnten. In den Jahrzehnten nach 1820 werden bereits 36 bis 41 Gewerbe aufgeführt.

Die Pfullinger Bevölkerung litt zudem unter der Realteilung. Durch das wiederholte Aufteilen von Landbesitz unter mehreren Erben waren viele Grundstücke so klein geworden, dass sie weder eine Familie ernähren konnten, noch ausreichend Ertrag für die hohen Abgaben an den Staat brachten.

Wechsel in die Industrie

Damit war in Pfullingen die Basis dafür geschaffen, dass die Einwohner sich anderweitig eine Beschäftigung suchten, um ihr Auskommen zu sichern. Sie fanden sie in den ersten Industriebetrieben, in Pfullingen zum Beispiel vom Jahr 1832 an in der Papierfabrik der Gebrüder Laiblin. Albert August Knapp eröffnete 1852 seine Garnfabrik, die Gebrüder Burkhardt errichteten Spinnerei und Weberei. Dort fanden die Menschen Arbeit und gaben dafür häufig ihr mühseliges Handwerk, wie zum Beispiel die Leinenweberei, auf.

Nur wenige Handwerke haben die Zeit überdauert, zum Beispiel die Turmuhrenbauer Walz GmbH, gegründet im Jahr 1874. Schuhmacher dagegen sind fast völlig von der Industrie verdrängt worden: Die Schuhmacher-Innung wird zum Jahresende 2019 aufgelöst. (fm/GEA)

VERGESSENE BERUFE

Die Ausstellung »Vergessene Berufe – Handwerkskunst, Erfindergeist, Forscherdrang« des Geschichtsvereins Pfullingen ist noch bis zum 27. Oktober an jedem Sonn- und Feiertag von 14 bis 17 Uhr im Stadtgeschichtlichen Museum Schlössle zu sehen. Der GEA stellt in loser Folge verschiedene alte Berufe vor, die in dieser Schau erläutert werden. Die Reihe beginnt heute mit einer allgemeinen Einführung. (GEA)