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Aktuell Residenzschloss

Vielsagender Buchstabe aus der Renaissance in Bad Urach

Das große »A« im Goldenen Saal erzählt eine ganze Geschichte und wirft doch viele Fragen auf

Ein Mann, ein Löwe, ein Fabelwesen, vielleicht der Teufel. Es steckt viel in  diesem goldenen »A« und es lohnt sich, genauer  hi
Ein Mann, ein Löwe, ein Fabelwesen, vielleicht der Teufel. Es steckt viel in diesem goldenen »A« und es lohnt sich, genauer hinzusehen. FOTO: SSG
Ein Mann, ein Löwe, ein Fabelwesen, vielleicht der Teufel. Es steckt viel in diesem goldenen »A« und es lohnt sich, genauer hinzusehen. FOTO: SSG

BAD URACH. Die historischen Darstellungen von Palmen im Residenzschloss Bad Urach sind über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Schließlich gibt es einen Palmensaal im Schloss. Allerdings sind nicht nur in diesem Saal Palmen zu bewundern. Vier große Palmdarstellungen und mehr als 30 kleinere schmücken auch die hölzerne Wandvertäfelung im Goldenen Saal. Besondere Beachtung verdient dabei die Inschrift »Attempto«, die den vier großen Palmen zur Seite gestellt ist. Der kunstvoll gestaltete Anfangsbuchstabe »A« entstammt einem Figurenalphabet, das der Kupferstecher-Meister E. S. entworfen hat. Der Rest der Inschrift ist mit einer im 15. Jahrhundert sehr beliebten Bänderschrift geschrieben.

Meister E. S., der nur unter diesen Initialen bekannt ist, war von Beruf Goldschmied, berühmt wurde er aber auch als Kupferstecher. Gelebt hat er von 1420 bis 1468. Sein Werk umfasst mehr als 300 Kupferstiche, Wappenbilder, Spielkarten und Figurenalphabete. Sofern die Thematik eines Bildes nicht eindeutig von religiösem Inhalt war, erlaubte es sich der Meister, ein kritisches Sittengemälde seiner Zeit zu zeigen: Mönche, die so gar nicht asketisch leben, lüsterne Paare oder auch Wesen, die sich im steten Überlebenskampf miteinander befinden. Betrachter sollten durch die Gegendarstellung einer sittlichen und moralischen Welt erschreckt und zur Einhaltung eines christlichen Lebens ermahnt werden.

Erinnerung an christliche Werte

Mechthild von der Pfalz, die Mutter des bekannten Grafen und späteren Herzogs Eberhard im Bart, besaß mehrere Kupferstiche des Meisters. Es ist also durchaus möglich, dass sie die Idee hatte, den Anfangsbuchstaben des »Attempto« im Goldenen Saal nach der Vorlage dieses Kupferstechers zu gestalten.

Die Originalvorlage ist wesentlich aufwendiger und mit mehr Details gestaltet. Da ist ein Mann mit Krummsäbel zu sehen, den ein Hund in die Wade beißt, ein Greifvogel und vieles mehr. Der Anfangsbuchstabe im Goldenen Saal ist einfacher. Der Mann, der im Original eindeutig als Mensch aus dem Orient zu erkennen ist, trägt hier keinen Krummsäbel mehr. Seine Kleidung ist wesentlich einfacher, die Gesichtszüge sind geradezu missraten.

Der Hund, der dem Mann in die Wade beißt und der Greifvogel fehlen ganz. Das Tier, das im Original noch als Hirschkuh zu erkennen ist, ähnelt jetzt eher einem Rind. Mensch, Greifvogel, Löwe und Rind? Sind hier vielleicht die vier Evangelisten gemeint, deren Attribute Engel, Adler, Löwe und Stier sind? Und was bedeutet das Fabelwesen, das vom Löwen angefallen wird? Ist es der Teufel, dem vom Löwen – der für Jesus stehen kann – der Garaus gemacht wird? Ob es tatsächlich so gemeint ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

Nicht weniger interessant als die großen Initialen ist der nachfolgende Schriftzug. Während die Initiale goldfarben ausgestaltet ist, zeichnet sich die Bänderschrift in bescheidenerem Grau. Ausgeschmückt ist der Schriftzug mit Blumendarstellungen: einer Rose und einem Maiglöckchen. Beide Blumen tauchen als Attribute der Muttergottes auf. Die weiße Rose gilt als christliches Symbol der Leiden Marias, ihrer reinen Liebe und zeichnet sie als Himmelskönigin aus.

Hinweise auf Maria

Das Maiglöckchen ist ein christliches Symbol der reinen Liebe, der Sittsamkeit, Bescheidenheit und der Leiden. Die Legende sagt, dass überall dort, wo die Tränen Marias den Boden berührten, Maiglöckchen gewachsen seien.

Die Marienverehrung war stark im 15. Jahrhundert. In den Zeiten großer Unsicherheit wandten sich die Menschen in ihrer Verzweiflung und Not an Maria als Fürsprecherin vor Gott. Maria galt vor allem Frauen als Vorbild in Bescheidenheit, Frömmigkeit und Nächstenliebe.

Nachdem der Goldene Saal ursprünglich der den vornehmen Damen vorgeschriebene Aufenthaltsraum im Schloss war, liegt die Vermutung nahe, dass hier die Palmen eine weitere Bedeutung innehatten. Ganz konkret werden die adeligen Frauen mittels der Marienattribute – Rose und Maiglöckchen – auf moralische Ansprüche aufmerksam gemacht. (eg)