REUTLINGEN. »Sex, Drugs, Rock ’n’ Roll – heute haben wir nur noch den Rock ’n’ Roll«, gibt der Sänger der Spider Murphy Gang Günther Sigl bekannt, bevor es weiter geht mit der Huldigung von Bill Haley, Chuck Berry, Elvis und all den anderen Rock-’n’-Roll-Helden. Alle bekommen sie ein Ständchen von der Münchner Gang, die auch nach über vierzig Jahren schmissig und groovy die Bude rockt, wenn auch etwas hüftsteif in der Performance: mild und gefährlich eben.
Denn die Buben musizieren meistens im Sitzen, treten damit aber den Beweis an, dass man nicht immer ein Wahnsinns-Posing abliefern muss, damit das Publikum steil geht. »Ihr seht auch ganz schön alt aus«, kokettiert Sigl immer wieder mit seiner Bejahrtheit. Auch der Bühnenschmuck kommt eher bescheiden daher: Man projiziert Themenbilder an die Tapete. Hier wird eben Elvis nicht nur gecovert, sondern auch an die Wand gespielt.
Heimelige Mischung
Zur Rock-’n’-Roll-»Überdosis«-Ouvertüre zeigt die Gang, wo sie herkommt: Keinesfalls aus der Gosse, sondern aus dem blau-weiß-braven München. Und so herrscht auf der Bühne immer eine heimelige Mischung aus Rock-’n’-Roll-Nostalgie mit Schlimmi- und Schlager-Attitüde, Folklore, Bayern und Selbstwitz.
Entertainer Sigl lacht herzlich über seine eigenen Ansagen und Gags. Immer etwas schlüpfrig, versteht sich. Die Hand immer a bisserl im Dirndl-Ausschnitt so wie am Maßkrug, aber eben auch an der Gitarre. Und spätestens bei »Schickeria« kommt das Publikum dann auch aus dem Häuschen, springt vom Stuhl auf, klatscht, tanzt und singt alle Texte mit.
Die Band ist gut aufgelegt, trotz Verkehrspech: neun Stunden Flugchaos von Uelzen nach Reutlingen. Sigl hat deshalb auch »ganz heiße Ohren«, »aber ihr habt uns durch den Abend getragen, jetzt sind wir fit für die Hotelbar«.
Da haben die sieben Bayern ihr saftiges Programm schon astrein abgeliefert, mit tollen Solo-Einlagen: Gandalf an Saxofon, Querflöte und Tuba sieht zwar eher gemütlich aus, kann sich aber großartig in seine Soli hineinsteigern, wenn er nicht gerade wunderschöne Melodien zaubert. Basser Willie Duncan ist »der einzige Schotte, der bayerisch singen kann«, und Schlagzeuger Andreas Keller lässt den reifen Rock 'n' Roll noch mal so richtig knackig aussehen.
Barney Murphy an der Gitarre ist der einzige, der in der Stadthalle rauchen darf: Sondergenehmigung. Und Piano-Mann Ludwig Seuss haut in die Tasten, als wär’s sein letzter Boogie, darf aber bei der Volksmusi auch mal die »Ziach« spielen. So ist alles sehr unterhaltsam, mit »Rosemarie, dem Mädel aus der Au« zeigt man sich romantisch, ehe wieder »Reutlingen Olé Olé«-Bierzelt-Stimmung aufkommt.
Bier, Mädels, Englischer Garten
Am liebsten aber besingt die Spider Murphy Gang das Dolce Vita. »Sommer in der Stadt«: Bier, Mädels, Englischer Garten – das Paradies. Da fantasiert man sich auch schnell mal einen hohen Frauenverschleiß zusammen: »Pfüati Gott, Elisabeth«. An der Wand zersplittern dazu die Herzen, aber Günther Sigl zieht’s knallhart durch: »Von Liebe war nie die Rede.«
Die Spider Murphy Gang war ja nicht nur das bayerische Kind des Rock ’n’ Roll der 1950er- und 60er-Jahre, sondern ist auch auf der Neuen Deutschen Welle die Hitparade hinaufgeschwappt. Und so lässt die Band ihre Coverversionen legendärer Rock-’n’-Roll-Nummern immer wieder nahtlos in die eigenen Hits übergehen. Das Publikum darf zu »Johnny Be Good«, »Going Up The Country« von Canned Heat, »Radiooooo«, »Mir san a bayrische Band« in alten Feelings schwelgen.
Aber dann endlich kommt er: Der »Skandal um Rosi«, über die wohl berühmteste Telefonnummer der Welt: 32 16 8. Ein Ohrwurm, der bis spät in die Nacht nachwirkt. Danke dafür. (GEA)