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Was Tübinger Bundestagskandidaten gegen steigende Mieten tun wollen

Der GEA-Kandidaten-Check zur Bundestagswahl: Die sechs Kandidaten der aussichtsreichsten Parteien in den Wahlkreisen Reutlingen und Tübingen beantworten im Wechsel Fragen zu relevanten Themen. Im Wahlkreis Tübingen geht es um Gesundheit, die Sicherung der Renten, den Klimaschutz, den Notstand in der Pflege und die Kulturbranche in der Coronakrise. Das heutige Thema: die Wohnungsnot bei immer höheren Mietkosten

Seit Jahren verschärft sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Wer bauen oder mieten will, muss tief in die Tasche greifen. FO
Seit Jahren verschärft sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Wer bauen oder mieten will, muss tief in die Tasche greifen. FOTO: RUMPENHORST/DPA
Seit Jahren verschärft sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Wer bauen oder mieten will, muss tief in die Tasche greifen. FOTO: RUMPENHORST/DPA

KREIS TÜBINGEN. Wohl dem, der hat. »Profitieren Sie von hohen Wohnungspreisen in Tübingen« ist auf einem Immobilienportal im Internet zu lesen. Und wer nicht hat? Für den ist die Universitätsstadt mit ihrem Umland ein teures Pflaster. Die Süddeutsche Zeitung zitierte jüngst eine Studie, wonach Tübingen die vierthöchsten Mietspiegel-Mieten in Deutschland hat und damit teurer ist als Düsseldorf oder Hamburg. Wer kaufen will, ist nicht viel besser dran. Warum? Tübingen ist attraktiv, und Projekte wie das Cyber Valley locken gut bezahlte Arbeitskräfte in die Stadt. Die Einwohnerzahl steigt seit Jahren, aber das Angebot an Wohnraum wächst nicht mit. Schon gar nicht für die, die eben nicht so gut verdienen.

Dabei ist Tübingen kein Sonderfall. Von 1950 bis 1990 wurden in Westdeutschland knapp 19 Millionen Wohnungen gebaut, darunter etwa 7,5 Millionen Sozialwohnungen. Mit dem Rückzug des Bundes aus der Förderung des Sozialen Wohnungsbaus und der Deregulierungspolitik der 90er-Jahre mit der Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes verloren viele Wohnungen ihre Mietpreisbindungen. Städte verkauften ihre Bestände an Investoren, sodass heute nur noch 1,1 Millionen Sozialwohnungen übrig sind.

Die Folge: Günstiger Wohnraum verschwand vom Markt. Laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fehlen in Deutschland rund zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Wohnungen also, für welche die Mieter weniger als 30 Prozent ihres Einkommens aufbringen müssen.

In den vergangenen Jahrzehnten ging die Bautätigkeit deutlich zurück – oder weg vom Geschosswohnungsbau hin zum Haus im Neubaugebiet am Ortsrand. Das ändert sich gerade wieder. Im Jahr 2000 wurden in Tübingen 126 Wohngebäude mit durchschnittlich 3,7 Wohnungen gebaut und damit gut 40 000 Quadratmeter Wohnfläche geschaffen. 2019 wurden zwar nur 122 Wohngebäude fertiggestellt, aber mit im Schnitt 8,2 Wohnungen und mit 82 000 Quadratmetern mehr als doppelt so viel Wohnfläche.

Ist es sinnvoll, das überaus knappe Gut Boden für wenig Wohnfläche im Einfamilienhaus zu verbrauchen? In den vergangenen vier Jahren sind die Bodenpreise um bis zu 50 Prozent gestiegen. Nur in Bayern sind sie im Durchschnitt höher als in Baden-Württemberg. Selbst die Gemeinden um Tübingen herum verlangen für ihre Bauplätze mittlerweile deutlich mehr als 400 Euro pro Quadratmeter, Tübingen verlangt im Stadtteil Pfrondorf sogar 575 Euro. Auf dem freien Markt sind die Preise wesentlich höher. (GEA)

»Wenn man gestalten will, muss man da sein, wo die Weichen gestellt werden«: Annette Widmann-Mauz ist seit 1998 Abgeordnete im B
»Wenn man gestalten will, muss man da sein, wo die Weichen gestellt werden«: Annette Widmann-Mauz ist seit 1998 Abgeordnete im Bundestag. Foto: Markus Niethammer
»Wenn man gestalten will, muss man da sein, wo die Weichen gestellt werden«: Annette Widmann-Mauz ist seit 1998 Abgeordnete im Bundestag.
Foto: Markus Niethammer

Annette Widmann-Mauz (CDU)

Letztes Jahr wurden deutschlandweit mehr als 300 000 neue Wohnungen fertiggestellt – so viele, wie seit 20 Jahren nicht. Mit unserer Wohnraumoffensive sollen bis 2025 mehr als 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen. Über 360 000 Familien haben wir mit dem Baukindergeld unterstützt, allein im Kreis Tübingen 2020 mit 6,6 Millionen Euro. Als CDU wollen wir noch mehr Familien die eigene Wohnung oder das Eigenheim ermöglichen, den Mietwohnungsbau beschleunigen und mehr sozialen Wohnraum schaffen. Die komplexen Herausforderungen lösen wir nicht mit Mietendeckeln, Enteignungen oder Bauverboten für Einfamilienhäuser. Das führt am Ende zu noch weniger verfügbarem Mietraum. Stattdessen brauchen wir schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, mehr Flexibilität bei Umbau und Sanierung und steuerliche Anreize. Konkret: Wir schaffen Investitionsanreize durch mehr Abschreibungsmöglichkeiten beim Mietwohnungsbau und verringern die Zahl der Bauvorschriften. Wir werden das Wohngeld regelmäßig anpassen und für Familien, die zum ersten Mal bauen, einen Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer in Höhe von 250 000 Euro pro Erwachsenem und 100 000 Euro pro Kind einführen.

»Vage bleiben können die anderen«: Chris Kühn, Bundestagskandidat der Grünen im Wahlkreis Tübingen.  FOTO: PIETH
»Vage bleiben können die anderen«: Chris Kühn, Bundestagskandidat der Grünen im Wahlkreis Tübingen. Foto: Frank Pieth
»Vage bleiben können die anderen«: Chris Kühn, Bundestagskandidat der Grünen im Wahlkreis Tübingen.
Foto: Frank Pieth

Chris Kühn (Grüne)

Die Wohnungskrise ist ein großes Problem, und das Recht auf Wohnen ist zur neuen sozialen Frage unserer Zeit geworden. Zur Stabilisierung der Mieten braucht es mehr Neubau von preisgünstigem Wohnraum mit der Neuen Wohngemeinnützigkeit, eine funktionierende Mietpreisbremse ohne Ausnahmen und wirksame Mietobergrenzen in den Mieten-Hot-Spots. Wir müssen das Mietrecht viel stärker nutzen, um Mieterinnen und Mietern eine Atempause zu verschaffen und dürfen als Bund die Regionen mit sehr angespannten Wohnungsmärkten nicht alleinelassen. Gegen Wuchermieten müssen wir härter einschreiten, beispielsweise mit der Wiedereinführung des Paragrafen 5 im Wirtschaftsstrafrecht. Beim Erwerb von Wohneigentum setzen wir uns für das Bestellerprinzip bei den Maklerkosten ein und wollen außerdem die Maklercourtage deutlich reduzieren. Außerdem wollen wir die Kaufnebenkosten weiterhin reduzieren, indem wir den Ländern ermöglichen, flexibel den Steuersatz der Grunderwerbssteuer festzulegen.

Martin Rosemann ist seit 2013 für die SPD im Bundestag. Soziale Gerechtigkeit ist ihm ein großes Anliegen. FOTO: WALDERICH
Martin Rosemann ist seit 2013 für die SPD im Bundestag. Soziale Gerechtigkeit ist ihm ein großes Anliegen. Foto: Irmgard Walderich
Martin Rosemann ist seit 2013 für die SPD im Bundestag. Soziale Gerechtigkeit ist ihm ein großes Anliegen.
Foto: Irmgard Walderich

Martin Rosemann (SPD)

Zu den zentralen sozialen Fragen unserer Zeit gehört das bezahlbare Wohnen. Doch Wohnraum ist knapp. Wohnungssuchende wie Familien oder Studierende stoßen schon jetzt oft an ihre finanziellen und psychischen Belastungsgrenzen. Wenn die Wohnkosten einen Großteil des eigenen Einkommens schlucken, ist kein selbstbestimmtes Leben möglich. Deshalb: Tübingen darf nicht zu einer Insel der Besserverdienenden werden. Wohnen ist Menschenrecht!

Wir benötigen eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen, um bezahlbares Wohnen zu sichern. Olaf Scholz hat Hamburg als Bürgermeister zum Musterbeispiel beim Wohnungsbau gemacht. Im Bund ist sein Ziel und das der SPD, 400 000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen, davon 100 000 geförderte Wohnungen. Der Bund unterstützt die Länder auf Betreiben der SPD wieder beim sozialen Wohnungsbau. Es geht darum, Spekulation mit unbebauten Grundstücken zu verhindern, Kommunen bei einer aktiven Flächenpolitik zu unterstützen und die Gemeinnützigkeit beim Wohnungsbau wieder in den Vordergrund zu stellen – auch durch genossenschaftlichen Wohnungsbau. Um all das zu erreichen, ist es notwendig, Mieten in den kommenden Jahren gesetzlich zu regulieren.

Julian Grünke kandidiert für die FDP im Wahlkreis Tübingen.  FOTO: STÖHR
Julian Grünke kandidiert für die FDP im Wahlkreis Tübingen. Foto: Ines Stöhr
Julian Grünke kandidiert für die FDP im Wahlkreis Tübingen.
Foto: Ines Stöhr

Julian Grünke (FDP)

Die Miet- und Kaufpreise in Städten sind das Ergebnis immer weiter steigender Baupreise, aber vor allem ein Resultat einer enormen ungedeckten Nachfrage. Jeder Versuch, dieser Nachfrage nicht mit Angebot, sondern Preisbremsen zu begegnen, ist zum Scheitern verurteilt. Daher muss deutlich mehr Angebot geschaffen werden. Dazu müssen wir viel mehr, schneller und, durch den Abbau unnötiger Vorschriften, günstiger planen und bauen. Wir wollen deshalb auch alle Regelungen für das Bauen auf den Prüfstand des Baukosten-TÜVs stellen, um Kostensteigerungen zu verhindern. Ein weiterer wichtiger Schritt zur Entlastung der Städte ist aber auch, die Vernachlässigung des ländlichen Raumes zu beenden und dort Bedingungen und Möglichkeiten zu schaffen, die den Menschen ein attraktives Umfeld zum Leben und Arbeiten bieten. Dafür braucht es digitale und analoge Infrastruktur bis an jede Milchkanne. Für bezahlbares Wohnen im Alter ist Eigentum die beste Absicherung. Um mehr Menschen den Erwerb von Eigentum zu ermöglichen, wollen wir einen Freibetrag für die Grunderwerbssteuer für die erste selbst genutzte Wohnimmobilie einführen.

Sozial- und Verkehrspolitik gehören zu den Schwerpunkthemen des AfD-Bundestagskandidaten Ingo Reetzke.  FOTO: KREIBICH
Sozial- und Verkehrspolitik gehören zu den Schwerpunkthemen des AfD-Bundestagskandidaten Ingo Reetzke. Foto: Joachim Kreibich
Sozial- und Verkehrspolitik gehören zu den Schwerpunkthemen des AfD-Bundestagskandidaten Ingo Reetzke.
Foto: Joachim Kreibich

Ingo Reetzke (AfD)

Der Zusammenhang ist offensichtlich: Wer eine Millionenzuwanderung lostritt bzw. diese nicht verhindert, der darf sich über deren Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt nicht wundern. Deutschland ist und war bereits die letzten 20 Jahre mit einer hohen Bevölkerungsdichte gesegnet. Trotzdem fand ein gezielter Bau von Sozialwohnungen und generell bezahlbarem Wohnraum nicht in ausreichendem Maße statt. Die Eigentumsquote ist in anderen Ländern wesentlich höher als in Deutschland, das überwiegend Mietwohnungen aufweist. Dazu hat die Bundesregierung mit ihrer Gesetzgebung einen Anstieg der Mietpreise begünstigt und die Nebenkosten stellen zunehmend quasi noch mal eine eigene Miete dar. Die CO2-Steuer ist hier nur der – vorläufige – Gipfel einer Entwicklung, aufgrund derer bei immer mehr Menschen am Ende des Monats Ebbe im Geldbeutel herrscht. Man kann alledem nur begegnen, wenn die entsprechenden Gesetze rückgängig gemacht werden und auch Gäste auf Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren müssen. Eines ist jedenfalls im Gegensatz zur Höhe der Rente wirklich sicher: Wer die Verantwortlichen wiederwählt, der kann sich nicht ernsthaft eine Verbesserung der Situation erhoffen.

Heike Hänsel wünscht sich eine Klimapolitik mit sozialer Gerechtigkeit.  FOTO: SAPOTNIK
Heike Hänsel wünscht sich eine Klimapolitik mit sozialer Gerechtigkeit. Foto: Nadine Sapotnik
Heike Hänsel wünscht sich eine Klimapolitik mit sozialer Gerechtigkeit.
Foto: Nadine Sapotnik

Heike Hänsel (Linke)

Bezahlbares Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Wohnraum und Boden sind zunehmend zur Kapitalanlage geworden. Steigende Mieten und steigende Renditen sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Fast zwei Millionen Wohnungen stehen leer, weil reiche Leute und Immobilienfonds sie als Wertanlage gekauft haben und auf steigende Preise spekulieren. Wir wollen einen bundesweiten Mietendeckel einführen und zusätzlich 250 000 Sozialwohnungen pro Jahr schaffen. Der Staat muss Wohnungen aufkaufen und neue bezahlbare Wohnungen bauen. Öffentlich geförderte Wohnungen müssen dauerhaft sozialgebunden bleiben. Immobilienfonds und Unternehmen, die mit Wohnraum spekulieren, wollen wir die Zulassung entziehen. Die Privatisierung öffentlicher Grundstücke wollen wir mit einem Bodensicherungsgesetz ausschließen, das Vorkaufsrecht der Kommunen stärken. Wir wollen eine neue Wohngemeinnützigkeit einführen: Wir brauchen einen Sektor auf dem Wohnungsmarkt, der nicht profitorientiert ist. Dafür gibt es steuerliche Vergünstigungen, besondere Förderung und einen bevorzugten Zugang zu Boden in Erbpacht. Bei energetischen Modernisierungen darf die Miete nicht stärker steigen als Mieterinnen oder Mieter an Heizkosten sparen.