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Warum Brauereien aus der Region literweise Bier in den Gully schütten

Die Brauer können ihr Fassbier nicht an die Gastronomie liefern, weil die weiterhin geschlossen bleiben muss. Auch die Betriebe in der Region trifft es hart.

Brauerei Schimpf im Kreis Tübingen vernichtet sein Fassbier
So wie hier landen viele Millionen Liter Bier im Ausguss der Brauereien. Foto: Rittgeroth
So wie hier landen viele Millionen Liter Bier im Ausguss der Brauereien.
Foto: Rittgeroth

REMMINGSHEIM/TÜBINGEN. In nahezu allen Brauereien in ganz Deutschland wiederholen sich gerade Szenen, wie sie die Brauer so noch nie erlebt haben: Sie kippen ihr Bier aus den Fässern in den Ausguss. Sie vernichten ihre Produkte, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Denn das Fassbier wurde für die Gastronomie gebraut, als kaum einer von der zweiten Welle sprach oder vom zweiten Lockdown mit geschlossenen Bars, Restaurants und Kneipen auch nicht. Doch seit vergangen November ist das anders: Alles dicht und die Brauer blieben auf ihrer Ware sitzen. Jetzt ist das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten und der Gerstensaft rinnt nicht durch durstige Kehlen von Biergartenbesuchern, sondern in den Gully.

»Das tut mir im Herzen und der Seele weh«, sagt Braumeister Martin Schimpf. Er ist Geschäftsführer der Kronenbrauerei Schimpf in Remmingsheim im Kreis Tübingen. Er leitet den Familienbetrieb, in dem bereits seit 150 Jahren Bier gebraut wird, und sagt: »Das hab ich noch nicht erlebt, mein Vater auch nicht und mein Großvater ebenfalls nicht. Erstmals in der Firmengeschichte müssen wir Tausende Liter Bier wegschütten, furchtbar.« Er muss auch nicht lange überlegen, wieviel schon im Ausguss gelandet ist: »Es sind bei uns so um die 50.000 Liter, die mittlerweile entsorgt wurden«, so Martin Schimpf.

Der Braumeister blickt ernst, denn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten werden immer größer. Ihn schmerzt das vor allem, weil sein Unternehmen vor Corona wohl gesund war und gut florierte. Er erinnert sich: »2019 war für unsere Brauerei ein gutes Jahr. Auch in den beiden ersten Monaten 2020 sind wir richtig gut ins Wirtschaftsjahr gestartet und dann kam den Einbruch durch die Pandemie.«

Er rechnet weiter vor, dass das Jahr 2020 mit einem Umsatzrückgang von etwa 20 Prozent abgeschlossen wurde. In den ersten Monaten 2021 ging es bislang noch steiler bergab: Umsatzrückgang von 45 Prozent. Die 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auf Kurzarbeit, manche stocken mit 450-Euro-Jobs auf. Drei Millionen Euro Umsatz hat die Familienbrauerei vor der Krise gemacht und etwa 15.000 Hektoliter (also 1,5 Millionen Liter) Bier produziert. Zum Vergleich: Der deutsche Platzhirsch Krombacher hatte vor der Krise einen Ausstoß von mehr als 5,7 Millionen Hektolitern.

Brauereien schütten ihr Bier in den Ausguss
Den Inhalt diesen ganzen Stapels Fassbier muss Brauereichef Martin Schimpf noch entsorgen. Foto: Rittgeroth
Den Inhalt diesen ganzen Stapels Fassbier muss Brauereichef Martin Schimpf noch entsorgen.
Foto: Rittgeroth

Doch den Platzhirsch verbindet mit dem Familienunternehmen: Ihre Hauptabsatzmärkte sind nahezu weggebrochen - die Gastronomie und die Veranstaltungsbranche. »Kneipen zu, Restaurants geschlossen, keine Volksfeste, keine Feiern, keine Konzerte, keine Open-Air-Festivals in der Region, keine Sportveranstaltungen, überall wo sonst gerne Bier getrunken wird ...«, Martin Schimpf kommt aus dem Aufzählen fast nicht mehr heraus. 

Wie ernst die Lage in der Branche ist, zeigte sich vor einigen Tagen, als die Brauer in Deutschland einen Brandbrief veröffentlichten. Der Appell: So kann es nicht weitergehen. Auch Martin Schimpf hat unterzeichnet. Mit ihm so gut wie alle deutschen Brauereien, auch die aus der Region Neckar-Alb. Da finden sich unter anderem Namen wie Zwiefalter Klosterbräu, Berg Bier, Fischers Brauhaus, Neckarmüller oder die Baisinger Biermanufaktur.

Bier-Tief in Deutschland
Bier wird gezapft. Foto: Christophe Gateau/dpa
Bier wird gezapft.
Foto: Christophe Gateau/dpa

Der Blick in die Zukunft fällt für den Brauer aus Remmingsheim wenig rosig aus. Ein wenig Hoffnung setzt er auf die Initiative von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Der möchte die Gastronomie zumindest im Außenbereich wieder öffnen und für die Gäste verpflichtende Corona-Schnelltests zur Voraussetzung für den Gastronomiebesucht machen - natürlich nur bei negativem Ergebnis des Tests. Ob er die Genehmigung dafür von der Landesregierung bekommt, ist offen.

Für Martin Schimpf steht derweil fest: »Wir alle brauchen die Öffnung der Gastronomie - und zwar nicht im Außenbereich: Die Wirtschaft, die Wirtschaften und die Bevölkerung.« (GEA)