TÜBINGEN. Mit einem Jahr Verspätung führt Tübingen eine Steuer für Einwegverpackungen und Einwegbesteck zum 1. Januar 2022 ein. Ursprünglich hatte die Stadt die Verpackungssteuer als erste deutsche Kommune zum Januar 2021 einführen wollen, um den Müll im öffentlichen Raum der Stadt zu reduzieren. »Wir wollen Müll vermeiden und Ressourcen sparen. Außerdem soll die Stadt sauberer werden«, sagt der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer.
Wegen der Corona-Krise wurde die Einführung zurückgestellt, um Betriebe nicht zusätzlich zu belasten. Das soll nicht wieder geschehen. Auch eine Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim soll daran nichts ändern. Die Inhaberin eines Tübinger Schnellrestaurants ist der Auffassung, die Verpackungssteuersatzung verstoße gegen Bundes-Abfallrecht. »Klimaschutz und Ressourcenschonung können nicht auf McDonald's warten«, sagt Palmer.
In Imbissbuden, Bäckereien, Tankstellen und Metzgereien werden ab Anfang des kommenden Jahres 50 Cent fällig für jeden Einweggetränkebehälter sowie für Einweggeschirr und -speiseverpackung und 20 Cent für jedes Einwegbesteck-Set. Pro Mahlzeit werden maximal 1,50 Euro kassiert. Die Verpackungssteuern müssen die Verkaufsstellen zahlen, die in den Einwegverpackungen Speisen und Getränke für den sofortigen Verzehr oder zum Mitnehmen ausgeben.
Euro für die Anschaffung von Geschirr
Die Stadt unterstützt Gastronomiebetriebe, die ein Mehrwegsystem einführen wollen, mit bis zu 500 Euro für die Anschaffung des Geschirrs. Beim Kauf einer Spülmaschine für das wiederverwendbare Geschirr erhalten Lokale und Bäckereien bis zu 1000 Euro. Laut Palmer haben 70 Betriebe Fördermittel beantragt, die Summe beläuft sich auf 40 000 Euro. Der Stadtverwaltung waren (Stand: 9.12.) 131 Betriebe bekannt, die schon Mehrweg nutzen oder dies ab 1. Januar 2022 tun werden.
Da die Betriebe bis zum 15. Januar des Folgejahres - also erstmals 2023 - eine Steuererklärung abgeben müssen, rechnet die Stadt auch erst im Jahr 2023 mit Steuereinnahmen, und zwar in einem höheren sechsstelligen Bereich. Aktuell werden laut Stadt 460 Betriebe als steuerpflichtig geführt. »Die meisten Kunden verlangen Wegwerfverpackung, solange das umsonst ist. Viele Gastrobetriebe wollten umstellen, hatten damit aber keinen Erfolg. Erst jetzt steigen viele auf Mehrwegverpackungen um«, betont Palmer.
Verstoß gegen Bundes-Abfallrecht?
Nach Kenntnis des Deutschen Städtetags hat bisher keine weitere Kommune eine solche Steuer erhoben. 1998 hatte Kassel eine Verpackungssteuer einführen wollen, war aber vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.
Und hier kommt die sogenannte Normenkontrollklage vor dem VGH gegen die Verpackungssteuer ins Spiel. Die Inhaberin eines Schnellrestaurants ist der Auffassung, die Verpackungssteuersatzung verstoße gegen Bundes-Abfallrecht. Sie beruft sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Kasseler Verpackungssteuer im Jahr 1998. Diese wurde damals als verfassungswidrig eingestuft.
Die Stadt Tübingen sieht jedoch keinen Widerspruch ihrer Regelungen zum Abfallrecht des Bundes. Die Stadt glaubt vielmehr, dass sich die Rechtslage in der Zwischenzeit geändert habe und die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil zu Kassel vom 7. Mai 1998 auf die heutige Rechtslage nicht mehr übertragbar seien. Nach Auskunft der Stadt Tübingen ist eine mündliche Verhandlung in dem Normenkontrollverfahren für das erste Quartal 2022 geplant.