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»Veraltete Vorschriften«: Tübingens OB Palmer kritisiert Zebrastreifen-Beleuchtungspflicht

Drei Passanten gehen über einen Zebrastreifen und werfen dabei Schatten. Foto: Nicolas Armer/dpa
Drei Passanten gehen über einen Zebrastreifen und werfen dabei Schatten.
Foto: Nicolas Armer/dpa

TÜBINGEN. Boris Palmer will mit Tübingen einen möglichst großen Beitrag zur kurzfristigen Reduktion des Energieverbrauchs in Deutschland beizutragen. Dazu beitragen soll nicht nur die Abschaltung der Rathausbeleuchtung, sondern der gesamten Straßenbeleuchtung zwischen 1 Uhr und 5 Uhr an vier Nächten in der Woche. Das Problem dabei: Die Beleuchtung an Zebrastreifen kann nicht losgelöst gesteuert werden und wird automatisch mitausgeknipst. Das ist aber nicht erlaubt. Darauf hat das Landesverkehrsministerium hingewiesen. Demnach müssen Fußgängerübergänge nachts beleuchtet werden - auch, wenn die Kommunen Energie sparen wollen. Palmer hat sich daraufhin in einem Brief an den Energieminister Robert Habeck gewandt - er will Klarstellung, wo denn nun die Prioritäten liegen.

Umfrage (beendet)

Sollte aus Energiespar-Gründen nachts auf Beleuchtung von Zebrastreifen verzichtet werden?

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer würde gerne nachts die Zebrastreifen-Beleuchtung mitausschalten, um möglichst viel Energie sparen zu können. Das Landesverkehrsministerium erlaubt das nicht.

28%
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Aus Palmers Sicht es vertretbar, nachts auf die Beleuchtung von Zebrastreifen zu verzichten. »Um drei Uhr in der Frühe sind kaum Menschen auf den Straßen und ganz sicher keine Kinder. Wenn ein Auto kommt, hat es Licht an und ein Fußgänger kann gut beurteilen, wann es sicher ist, die Straße zu queren«, schreibt der OB in seinem Brief und appelliert an den »gesunden Menschenverstand.« Doch das Verkehrsministerium beharrt auf die Verpflichtungen der Kommunen. Wörtlich heißt es in einem Rundschreiben: »Ausnahmen von der Beleuchtungsverpflichtung sind nicht vorgesehen. Der Straßenbaulastträger kann weder auf technische Hinderungsgründe noch Energiesparabsichten verweisen.«

An Vizekanzler Habeck gerichtet schreibt der Tübinger OB weiter: »In diesem Satz kann man das Problem der deutschen Bürokratie in Reinform erkennen: Man klammert sich an veraltete Vorschriften, blickt nicht über den Tellerrand, hält Standards hoch und wirft denjenigen, die handeln, Knüppel zwischen die Beine. Genau mit dieser Methode wird der Fortschritt beim Ausbau der erneuerbaren Energien oder der Digitalisierung unseres Landes konsequent verhindert.« Palmer erhofft sich eine »Klarstellung, dass die nächtliche Abschaltung der Straßenbeleuchtung unter den derzeit obwaltenden Umständen eine vernünftige Abwägung zwischen den Risiken des Straßenverkehrs und einer akuten Bedrohung unserer Energieversorgung darstellt«.(GEA)

Pamers Brief im Wortlaut

"Sehr geehrter Herr Vizekanzler,

Sie haben in einer Videobotschaft die Bevölkerung wie auch die Unternehmen und Kommunen zum Energiesparen aufgerufen: »Es ist jetzt der Zeitpunkt, das zu tun. Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.« Sie haben Ihren Worten auch Taten folgen lassen und mit Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung durch kurzfristig wirksame Maßnahmen (ENSikuMaV) unter anderem die Beleuchtung von öffentlichen Gebäuden wie dem Tübinger Rathaus untersagt.

Tübingen hat dem nicht nur Folge geleistet, sondern aus Überzeugung weitere Maßnahmen zur kurzfristigen Reduktion des Energieverbrauchs beschlossen. Den größten Beitrag leistet die Abschaltung nicht nur der Rathausbeleuchtung, sondern der gesamten Straßenbeleuchtung zwischen 1 Uhr und 5 Uhr an vier Nächten in der Woche. Damit können wir den Stromverbrauch der Stadt als Körperschaft um etwa 10% senken. Es geht nicht nur um einige Kilowattstunden, sondern um 3000 Kilowattstunden, also dem Jahresverbrauch eines Haushaltes mit vier Personen. Und das pro Nacht.

Die rund 11.000 Lichtpunkte in der Stadt sind allerdings in Gruppen zu je etwa 100 Straßenlaternen zusammen geschaltet und können nicht separat angesteuert werden. Entweder ist die ganze Gruppe aus oder an. Einzelne Lichtpunkte kann man nicht herausgreifen. Das führt dazu, dass wir im Abschaltzeitraum mit der Straße auch die Beleuchtung für Zebrastreifen ausschalten müssen, was natürlich nicht wünschenswert ist. Vor die Wahl gestellt, auf die Einsparung so vieler Kilowattstunden zu verzichten oder das Restrisiko unbeleuchteter Zebrastreifen mitten in der Nacht hinzunehmen, habe ich mich aber dafür entschieden, Ihrem Appell zu folgen.

Ich tue das aus Überzeugung. Schon am späten Abend interessieren sich Fußgänger in Tübingen nicht für rote Ampeln, sondern laufen über die Straße, wann und wie sie wollen. Um drei Uhr in der Frühe sind kaum Menschen auf den Straßen und ganz sicher keine Kinder. Wenn ein Auto kommt, hat es Licht an und ein Fußgänger kann gut beurteilen, wann es sicher ist, die Straße zu queren. Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass das jedenfalls in der von Ihnen wiederholt beschriebenen europäischen Energiekrise in Folge des Angriffs auf die Ukraine vertretbar ist.

Leider hat nun das Verkehrsministerium von Baden-Württemberg auf die Verpflichtung der Kommunen hingewiesen, Zebrastreifen bei Dunkelheit immer zu beleuchten. Wörtlich heißt es in einem Rundschreiben: »Ausnahmen von der Beleuchtungsverpflichtung sind nicht vorgesehen. Der Straßenbaulastträger kann weder auf technische Hinderungsgründe noch Energiesparabsichten verweisen.«

Sehr geehrter Minister, in diesem Satz kann man das Problem der deutschen Bürokratie in Reinform erkennen: Man klammert sich an veraltete Vorschriften, blickt nicht über den Tellerrand, hält Standards hoch und wirft denjenigen, die handeln, Knüppel zwischen die Beine. Genau mit dieser Methode wird der Fortschritt beim Ausbau der erneuerbaren Energien oder der Digitalisierung unseres Landes konsequent verhindert. Ich halte das für völlig aus der Zeit gefallen. Niemand wusste beim Abfassen der »Richtlinien für Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen« von einer Energiekrise wegen Unterbrechung der Gasversorgung und maroder französischer Atomreaktoren. Kommunen, die im Rahmen der Daseinsvorsorge ihren Beitrag für die Sicherung der Energieversorgung leisten, verdienen Unterstützung und nicht Tadel.

Ich bin gerne bereit, die Verantwortung für nächtlich unbeleuchtete Zebrastreifen zu übernehmen, weil ich weiß, dass das reale Risiko dieser Entscheidung gegen Null geht und die Menschen genug Eigenverantwortung tragen können, um sich nachts umzusehen, bevor sie über die Straße gehen.

Dafür benötige ich aber nun eine klare Aussage der Bundesregierung:

Erfordert die Situation weiterhin die Einsparung von Energie und sollen die Kommunen daran mitwirken? Dann bedarf es einer Klarstellung, dass die nächtliche Abschaltung der Straßenbeleuchtung unter den derzeit obwaltenden Umständen eine vernünftige Abwägung zwischen den Risiken des Straßenverkehrs und einer akuten Bedrohung unserer Energieversorgung darstellt. Sollten Sie anderer Auffassung sein, bitte ich um entsprechende Mitteilung. Wenn Sie als zuständiger Minister zu dem Ergebnis kommen, dass der beschriebene Beitrag Tübingens zu den von Ihnen formulierten Energiesparzielen verzichtbar ist, werde ich dem gerne Folge leisten.

Mit freundlichen Grüßen

Boris Palmer

Oberbürgermeister"