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Tübinger OB Boris Palmer kündigt Auszeit an

Seine jüngsten Äußerungen haben für großes Aufsehen gesorgt. Nun kündigt der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer eine Auszeit an und will Hilfe in Anspruch nehmen. Den Eindruck, den seine Äußerungen erweckt hätten, bedauert er.

Heftige Kritik an Boris Palmer
Boris Palmer (hinten r), Oberbürgermeister von Tübingen, nimmt an einer Migrationskonferenz im Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam teil. Foto: Peter Hemmelrath
Boris Palmer (hinten r), Oberbürgermeister von Tübingen, nimmt an einer Migrationskonferenz im Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam teil.
Foto: Peter Hemmelrath

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer will nach seinen umstrittenen Äußerungen in Frankfurt am Main eine Auszeit nehmen. Das kündigte er am Montag in einer persönlichen Erklärung an, die der dpa vorliegt. Zuvor hatte der Südwestrundfunk (SWR) darüber berichtet. Palmer entschuldigte sich bei den Menschen, »die ich enttäuscht habe«, und betonte, er hätte als Oberbürgermeister »niemals so reden dürfen«. Dass der Eindruck entstanden sei, er würde den Holocaust relativieren, »tut mir unsagbar leid«.

Palmer hatte am Freitag mit einer verbalen Auseinandersetzung mit einer Gruppe vor einer Migrationskonferenz in Frankfurt am Main für Aufsehen gesorgt. Vor einem Gebäude der Goethe-Universität hatte er zu Art und Weise seiner Verwendung des »N-Wortes« Stellung bezogen.

Als er mit »Nazis raus«-Rufen konfrontiert wurde, sagte Palmer zu der Menge: »Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach.« Mit dem sogenannten N-Wort wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.

In seiner persönlichen Erklärung schrieb Palmer, dessen Mitgliedschaft bei den Grünen derzeit ruht: »Eines ist mir klar: So geht es nicht weiter.« Er führte aus: »Die wiederkehrenden Stürme der Empörung kann ich meiner Familie, meinen Freunden und Unterstützern, den Mitarbeitern in der Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und der Stadtgesellschaft insgesamt nicht mehr zumuten.« Er wolle in seiner Auszeit »professionelle Hilfe« in Anspruch nehmen, um eine bessere Selbstkontrolle zu erlangen. »Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht.«

Palmer war für seine Äußerungen in Frankfurt heftig kritisiert worden. Unverständnis gab es nicht nur bei den Beteiligten in der Stadt, sondern auch bei engen Mitstreitern. Anwalt Rezzo Schlauch wandte sich von Palmer ab, der Tübinger Grünen-Stadtverband ging ebenso wie die Bundespartei auf Distanz.

Palmers Anwalt Schlauch teilte mit: »Unmittelbar nach Kenntnis über den von Boris Palmer in Frankfurt zu verantwortenden Eklat habe ich ihm meine persönliche und meine politische Loyalität und Unterstützung sowie meine juristische Vertretung aufgekündigt.«

Schlauch, der früher selber für die Grünen politisch aktiv war, erklärte weiter: »Keine noch so harte Provokation, keine noch so niederträchtigen Beschimpfungen und Beleidigungen von linksradikalen Provokateuren rechtfertigten, eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen. Da gibt es nichts mehr zu erklären, zu verteidigen oder zu entschuldigen.« Schlauch hatte Palmer in einem gegen ihn gerichteten Parteiordnungsverfahren juristisch vertreten und auch beim Wahlkampf in Tübingen unterstützt.

Der Grünen-Stadtverband Tübingen verurteilte »die wiederholte Verwendung des N-Wortes und den inakzeptablen Vergleich mit dem Judenstern« durch Palmer. »Wir bedauern, dass erneut durch Aussagen von Boris Palmer viele Menschen verletzt wurden.« Von der Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, hieß es auf Twitter mit Bezug auf die ruhende Mitgliedschaft Palmers, dieser Schritt sei »nicht ohne Grund« erfolgt. »Der neuerliche Tiefpunkt von Boris Palmer kann trotzdem nicht so stehen bleiben.«

Palmer hatte sich bereits vor der persönlichen Erklärung geäußert und der dpa bestätigt, dass die Äußerungen in Frankfurt so gefallen seien. Er habe den Protestierenden erklärt, dass Nazis die Gräber seiner Vorfahren mit Hakenkreuzen beschmiert hätten und ihnen entgegnet, dass »ihre Methode der Ächtungen und Ausgrenzung sich nicht vom Judenstern unterscheidet«.

Der Politiker bestätigte zudem die Verfolgung seiner jüdischen Vorfahren durch die Nazis. Seine Familie habe sich dem Judenstern durch Flucht gerade noch entziehen können. »Mein Vater Helmut wurde in der Schule mit dem Namen «Moses» gerufen und nach dem Krieg mehrfach zu Haftstrafen verurteilt, weil er Nazis Nazis nannte«, schrieb Palmer am Samstag auf Facebook. Helmut Palmer war in der Nachkriegszeit unter anderem als Bürgerrechtler aktiv und durch sein provokantes Auftreten als »Remstal-Rebell« bekannt.

Boris Palmer hatte zudem erklärt, er sage das »N-Wort«, weil er Sprachvorschriften nicht akzeptiere. »Ich benutze es nur, wenn darüber diskutiert wird, ob man schon ein Rassist ist, wenn man es verwendet. Darüber entscheidet für mich der Kontext.«

Zuvor hatten sowohl Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) wie auch der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, die Äußerungen verurteilt. Palmer hatte dort bei der Konferenz »Migration steuern, Pluralität gestalten. Herausforderungen der Einwanderungspolitik in Deutschland« gesprochen.

Bereits im Mai 2021 hatte Palmer in einem Facebook-Beitrag über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, der einen nigerianischen Vater hat, das sogenannte N-Wort benutzt. Dies hatte massive Kritik auch bei seinen damaligen grünen Parteikollegen ausgelöst. Ein Parteiausschlussverfahren endete vor einem Jahr mit dem Kompromiss, dass Palmer seine Parteimitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lässt. Im Oktober 2022 war er in Tübingen als unabhängiger Kandidat angetreten und im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden.

Palmer ist seit 2007 Oberbürgermeister in der schwäbischen Universitätsstadt. Mit pointierten Äußerungen etwa zur Flüchtlingspolitik sorgte er immer wieder für Kontroversen und sah sich Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Bundesweites Aufsehen und Anerkennung brachte aber auch sein Management während der Corona-Pandemie sowie seine kommunale Umweltpolitik.

Twitter-Video mit Disput

Palmer-Reaktion auf Facebook

Palmer zu Familiengeschichte

Stellungnahme Goethe-Universität Frankfurt/Main

Büning-Tweet

Stellungnahme Vert-Realos