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Tübinger Forscher haben den Ursprung des »Schwarzen Todes« entdeckt

Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und die Uni Tübingen sind sicher: Die Spur der Pest führt nach Kirgisistan.

Blick auf das Tian Shan-Gebirge. Anhand von Analysen alter Pestgenome konnte ein Forschungsteam den Ursprung des Schwarzen Todes
Blick auf das Tian Shan-Gebirge. Anhand von Analysen alter Pestgenome konnte ein Forschungsteam den Ursprung des »Schwarzen Todes« in Zentralasien, in einem Gebiet nahe des Yssykköl-Sees im heutigen Kirgisistan, verorten. Foto: LYAZZAT MUSRALINA
Blick auf das Tian Shan-Gebirge. Anhand von Analysen alter Pestgenome konnte ein Forschungsteam den Ursprung des »Schwarzen Todes« in Zentralasien, in einem Gebiet nahe des Yssykköl-Sees im heutigen Kirgisistan, verorten.
Foto: LYAZZAT MUSRALINA

TÜBINGEN. Der Schwarze Tod, die größte Pandemie in der Menschheitsgeschichte, wurde durch das Bakterium Yersinia pestis verursacht und wütete in Europa zwischen 1346 und 1353. Er hatte immense demografische und gesellschaftliche Auswirkungen, doch seine Ursprünge sind seit Langem ein Rätsel.

Anhand von Analysen alter Y. pestis-Genome ist es einem multidisziplinären Team, darunter Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der Uni Tübingen und der University of Stirling in Großbritannien, nun gelungen, den Ursprung der damaligen Pestpandemie in Zentralasien zu verorten.

Im Jahre 1347 gelangte die Pest erstmals über Handelsschiffe aus dem Schwarzen Meer aus den Siedlungsgebieten der »Goldenen Horde«, einem Teil des Mongolenreichs, in den Mittelmeerraum. Die Krankheit breitete sich rasch über Europa, den Nahen Osten und Nordafrika aus und raffte in einem einzigen großen Ausbruch, der als Schwarzer Tod bekannt wurde, bis zu 60 Prozent der Bevölkerung dahin. Diese erste Infektionswelle weitete sich zu einer 500 Jahre andauernden Pandemie aus, der sogenannten Zweiten Pestpandemie, die bis ins frühe 19. Jahrhundert andauerte.

Kontroversen um Grabsteine

Die Ursprünge der Zweiten Pestpandemie werden in Fachkreisen seit Langem debattiert. Eine der populärsten Theorien besagt, dass sie möglicherweise in Ostasien, speziell in China, ihren Ursprung hatte. Dieser Theorie stehen jedoch archäologische Funde aus Zentralasien entgegen, die aus einem Gebiet nahe des Yssykköl-Sees im heutigen Kirgisistan stammen, in den Ausläufern des Tian Shan-Gebirges. Sie belegen einen Pestausbruch innerhalb einer lokalen Handelsgemeinschaft in den Jahren 1338 und 1339.

Bei Ausgrabungen vor fast 140 Jahren wurden Grabsteine gefunden, deren Inschriften darauf hindeuten, dass diese Menschen einer unbekannten Epidemie zum Opfer gefallen sind. Seit ihrer Entdeckung sorgten die in Syrisch-Aramäischer Sprache beschrifteten Grabsteine hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Schwarzen Tod in Europa für Kontroversen.

In der vorliegenden Studie analysierte ein internationales Forschungsteam alte DNA aus menschlichen Überresten sowie historische und archäologische Daten zweier Fundstätten, an denen Pest-Inschriften gefunden wurden. Schon die ersten Ergebnisse waren ermutigend: So ist es den Forscherinnen und Forschern gelungen, bei Personen, die laut Grabsteininschrift im Jahre 1338 verstorben sind, DNA des Pestbakteriums Yersinia pestis nachzuweisen. »Wir konnten endlich nachweisen, dass die auf den Grabsteinen erwähnte Epidemie tatsächlich durch die Pest verursacht wurde«, sagt Phil Slavin, einer der Hauptautoren der Studie und Historiker an der University of Stirling.

Könnte das Forschungsteam den Ursprüngen des Schwarzen Todes auf die Spur gekommen sein? Bisher wurde der Ausbruch des Schwarzen Todes mit einer massiven Diversifizierung der Peststämme in Verbindung gebracht, einem sogenannten Urknall der Pestdiversität. Der Zeitpunkt dieses Ereignisses konnte jedoch nicht genau bestimmt werden – man ordnete ihn bisher zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert ein.

1338 erster Pestausbruch

Das Forschungsteam hat nun vollständige alte Pestgenome aus den Fundorten in Kirgisistan zusammengesetzt und untersucht, wie sie mit diesem Urknall-Ereignis zusammenhängen könnten. »Wir fanden heraus, dass sich die alten Stämme aus Kirgisistan genau am Knotenpunkt dieses massiven Diversifizierungsereignisses befinden. Es ist uns also tatsächlich gelungen, den Ursprungsstamm des Schwarzen Todes und seinen genauen Ausbruchszeitpunkt – das Jahr 1338 – zu bestimmen«, sagt die Tübinger Forscherin und Erstautorin Maria Spyrou.

Doch es bleibt die Frage: Woher kam dieser Stamm? Entwickelte er sich lokal oder wurde er in die Region eingeschleppt und breitete sich dann aus? Die Pest ist keine Krankheit, die im Menschen ihren Ursprung hat. Das Bakterium Y. pestis überlebt in wilden Nagetierpopulationen auf der ganzen Welt – in sogenannten Pestreservoirs.

Der alte zentralasiatische Stamm, der die Epidemie von 1338 bis 1339 am Yssykköl-See verursachte, muss also aus einem solchen Reservoir stammen. »Moderne, mit dem alten Stamm am engsten verwandte Stämme, finden wir heute in Pestreservoirs rund um das Tian Shan-Gebirge, also ganz in der Nähe des Fundortes dieses alten Stammes. Der Vorfahre des Schwarzen Todes scheint also in Zentralasien entstanden zu sein«, erklärt Johannes Krause, Hauptautor der Studie, ehemaliger Tübinger und nun Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. (u)