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Tübinger Forscher auf Spurensuche in 300.000 Jahre altem Abfall

Ein Team der Universität Tübingen untersucht Funde aus dem niedersächsischen Schöningen.

So könnte sich die Szene abgespielt haben, als Menschen den Kadaver des Elefanten vor 300 000 Jahren im heutigen Schöningen entd
So könnte sich die Szene abgespielt haben, als Menschen den Kadaver des Elefanten vor 300 000 Jahren im heutigen Schöningen entdeckten. Foto: Grafik: Clarys
So könnte sich die Szene abgespielt haben, als Menschen den Kadaver des Elefanten vor 300 000 Jahren im heutigen Schöningen entdeckten.
Foto: Grafik: Clarys

TÜBINGEN. Kleine Absplitterungen aus Feuerstein, die beim Nachschärfen von Schneidewerkzeugen vor 300.000 Jahren herunterfielen, geben Hinweise auf die Bearbeitung von Holz durch frühere Menschen. Die Stücke wurden an der altpaläolithischen Fundstelle im niedersächsischen Schöningen entdeckt. Die Forschungsarbeit an dem ungewöhnlich alten Abfall führte ein fächerübergreifendes Team unter der Leitung der Universität Tübingen und des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (SHEP) in Tübingen durch. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Scientific Reports erschienen.

Arbeitsgeräte aus Knochen

Die untersuchten 57 kleinen Steinartefakte und drei Arbeitsgeräte aus Knochen zur Nachschärfung von Steinwerkzeugen wurden rund um das Skelett eines eurasischen Waldelefanten entdeckt, der am Ufer eines Sees vor rund 300.000 Jahren verendet war. »Wir können unter anderem durch diese Funde belegen, dass sich Menschen in der Nähe des Elefantenkadavers aufhielten, wahrscheinlich von der Art Homo heidelbergensis oder frühe Neandertaler«, sagt Dr. Jordi Serangeli, der örtliche Leiter der archäologischen Ausgrabung in Schöningen. »Diese Fundstelle liegt etwa zwei Meter unterhalb der berühmten Fundstelle der weltweit ältesten Speere«, setzt er hinzu. Die Tübinger Forscherin Flavia Venditti, die Erstautorin der Studie, sagt, dass die Geschichten der Steinzeit hauptsächlich durch das Studium der von unseren Vorfahren bearbeiteten Gegenstände bekannt seien. »Man ist geneigt zu glauben, dass große Werkzeuge wie Messer, Schaber und Spitzen bedeutender sind als einfache Absplitterungen, insbesondere wenn diese klein und eigentlich nur Verarbeitungsreste sind. Doch selbst mikroskopisch kleine Splitter können uns im Zusammenhang mit dem gesamten Befund viel über die Lebensweise unserer Vorfahren verraten«, sagt sie.

Die meisten der untersuchten Absplitterungen seien kleiner als ein Zentimeter, berichtet Venditti. »Durch einen multidisziplinären Ansatz, der technologische und räumliche Analysen umfasste, die Untersuchung von Gebrauchsspuren und Rückständen sowie Methoden der experimentellen Archäologie konnten wir die Steinsplitter sozusagen zum Sprechen bringen«, sagt die Wissenschaftlerin.

Feuersteinsplitter, die beim Schärfen von Werkzeugen entstanden sind.  FOTO: PR
Feuersteinsplitter, die beim Schärfen von Werkzeugen entstanden sind. Foto: Pr Public Relations
Feuersteinsplitter, die beim Schärfen von Werkzeugen entstanden sind.
Foto: Pr Public Relations

»Die Absplitterungen stammen von messerartigen Werkzeugen, sie sind beim Nachschärfen entstanden.« Sie seien liegen geblieben, während die Menschen ihre Werkzeuge wieder mitgenommen haben. Fünfzehn Stücke wiesen Nutzungsspuren auf, wie sie typischerweise bei der Bearbeitung von frischem Holz entstehen. »Auch blieben mikroskopisch kleine Holzreste an den ehemaligen Arbeitskanten der Werkzeuge haften«, sagt Venditti.

Schließlich bewiesen Spuren an einem scharfkantigen, natürlichen Feuersteinfragment, dass Menschen es verwendeten, um frisches Tiergewebe zu bearbeiten. »Wahrscheinlich wurde dieser Feuerstein beim Zerteilen des Elefanten genutzt«, sagt sie.

Diese Ergebnisse seien ein weiterer Beleg für die kombinierte Nutzung von Stein-, Knochen- und Pflanzentechnologien vor 300 000 Jahren, so wie es in Schöningen exemplarisch schon mehrfach dokumentiert werden konnte, fasst Venditti zusammen. Der Tübinger Professor Nicholas Conard und Leiter des Forschungsprojekts Schöningen betont: »Diese Studie zeigt, wie durch detaillierte Analysen von Gebrauchsspuren und Mikroresten auch an kleinen Steinartefakten, denen oft keine große Beachtung geschenkt wird, Informationen gewonnen werden können. Es ist das erste Mal, dass solch umfassende Ergebnisse vorgelegt werden. Voraussetzung ist jedoch, dass die Steinartefakte von der Ausgrabung bis zur Untersuchung äußerst sorgfältig behandelt werden.«

Die archäologische Ausgrabung an den paläolithischen Fundstellen in Schöningen sowie die wissenschaftliche Untersuchung sind ein Langzeitprojekt der Universität Tübingen in Kooperation mit der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und dem niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege. Das Projekt wird vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Hannover finanziert. (eg)