TübingenIn der neuesten Produktion des Instituts für theatrale Zukunftsforschung (ITZ) im Zimmertheater Tübingen geht es um queeres Leben in Tübingen. Um Outings und politischen Aktivismus, um Rollenwechsel und Utopien. Vor der Premiere am Samstag, 25. September, um 20 Uhr in der Gewölbe-Spielstätte in der Bursagasse hat Zimmertheater-Dramaturgin Jana Gmelin Regisseur Gregor Schuster und Schauspieler Mario Högemann zu ihrer Herangehensweise befragt. Die nächsten Aufführungen sind am 2., 7. und 8. Oktober (letztere mit Nachgespräch im Anschluss) sowie am 9., 14. und 15. Oktober.
Das Projekt entstand in Kooperation mit dem Stadtmuseum. Wie sah Eure Zusammenarbeit aus?
Gregor Schuster: Die Arbeit an der Inszenierung hat bereits 2020 begonnen, als ich mich mit Historiker Karl-Heinz Steinle getroffen habe, der am Forschungsprojekt des Stadtarchivs »Queer durch Tübingen – LSBTTIQ in Tübingen und Region seit dem Mittelalter bis heute« beteiligt war und die begleitende Ausstellung im Stadtmuseum mit konzipierte. Er hat uns das Recherchematerial zur Verfügung gestellt und unsere Fragen zur queeren Stadtgeschichte Tübingens beantwortet. Als das Projekt dieses Jahr mit den Proben losging, haben wir im ITZ autark gearbeitet und ein eigenes Stück entwickelt, das auf den Forschungsergebnissen und der Ausstellung basiert, aber über sie hinausgeht.
Ihr habt Euch in Geschichten und historische Biografien eingearbeitet. Was hat Euch am meisten beeindruckt oder bewegt?
Schuster: Uns hat immer wieder fasziniert und bewegt zu merken, dass es so viele Menschen vor uns gab, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Die Freude und das Leid, die Versuche, etwas Neues zu kreieren, das Scheitern – all das war früher sicher ganz anders, aber es gab für uns trotzdem viele Identifikationsmomente und wir haben gemerkt, dass sich die Geschehnisse der Vergangenheit in der Gegenwart spiegeln. Man lernt so viel, wenn man in die Zeit zurückblickt, und es ist extrem spannend, die Geschichte einer Stadt anhand ihrer queeren Biografien aus einer anderen Perspektive zu betrachten.Mario Högemann: Für mich sind diese Geschichten, Erlebnisse und Gefühle strukturell. Das hat mich sehr mitgenommen. Am beeindruckendsten fand ich, dass die Menschen immer dafür kämpfen mussten, die Person zu sein, die sie sein wollten. Gleichzeitig mussten sie sich enorm anpassen. Dieser Mechanismus von Abgrenzung und Anpassung hat mich als Schauspieler auf der Bühne spielerisch sehr inspiriert. Die Figuren sind unheimlich widerständig und kämpfen gegen eine Norm, gleichzeitig will man sie dem Publikum aber auch zugänglich machen.
Was bedeutet es für Euch persönlich, künstlerisch zu queerer Geschichte zu arbeiten?
Schuster: Ich habe mich lange gefragt, was queere Geschichte eigentlich sein soll. Wie geht das Vergangene mit dem zeitgenössischen Begriff »queer« zusammen? Was bedeutet queere Geschichtsschreibung und wie sehr beeinflusst sie mich in meiner Identität? Das war ein sehr spannender gedanklicher Prozess und diesen wiederum in Kunst, in Theater, zu überführen, eine ganz schöne Herausforderung.Högemann: Es bedeutet mir sehr viel, diese Arbeit hier entwickeln und zeigen zu können. Ich stehe allein auf der Bühne und repräsentiere dabei die Biografien, mit denen wir gearbeitet haben, bringe sie jedoch auch immer mit mir in Verbindung. Es war sehr schön und wirklich hart zugleich, mich so mit meiner queeren Identität auseinanderzusetzen.
Ihr habt auch autobiografische Elemente in die Produktion mit eingebracht?
Högemann: Ja, das war mir sehr wichtig. Ich kann mich bei diesem Thema nicht ausklammern und wollte aus meinen eigenen Erfahrungen schöpfen, sie zu unserem Material machen.Schuster: Wir haben uns sehr am Ansatz der Ausstellung orientiert. Da geht es neben eher allgemeinen Fragen zu queerer Geschichtsschreibung ja besonders um die Menschen und Orte Tübingens. Mario war die letzten Jahre Teil dieser Stadt und hatte deswegen auch seine eigene, persönliche Geschichte als Zeitzeuge zu erzählen. Da queere Biografien oft nicht schriftlich festgehalten, sondern vernichtet wurden, spielen die mündlichen Berichte eine große Rolle für die aktuelle Forschung. Und hier greift auch das Theater als das Medium, das sich ständig die Frage stellen muss, wie man welche Geschichten am besten erzählt.
Gibt es so etwas wie eine queere Ästhetik? Auf was können wir uns an diesem Abend freuen?
Schuster: Bei dem Begriff »queer« geht es darum, sich nicht einordnen oder festlegen zu lassen. Was genau soll eine queere Ästhetik also sein? Natürlich bedienen wir aber gewisse theatrale Codes (Kostüme etc.), die als queer gelesen werden könnten. Ihr könnt euch auf jeden Fall auf einen bunten und sinnlichen, experimentellen, traurigen und lustigen Abend freuen, der viel zum Nachdenken anregt und keine Minute langweilig ist. (eg)