TÜBINGEN. Richtig in Rage hat sich Tübingens Oberbürgermeister gegen Ende der Talkshow »Markus Lanz« am Mittwochabend geredet. Vor sechs Wochen, so berichtete er, habe er mit vier Beamten im örtlichen Finanzamt gesessen – zur Umsatzsteuerprüfung. Was er dort erlebte, nannte er eine »wunderbare Geschichte« und zugleich ein Lehrstück, wie Bürokratie Kommunen lähmt.
Schon der Ausgangspunkt brachte ihn auf: Tübingen stehe im Verdacht, den europäischen Wettbewerb zu verzerren, weil es Parkplätze zu billig anbiete. Deshalb solle vom Finanzamt geprüft werden, ob Parkplätze künftig der Mehrwertsteuer unterliegen. Straßen blieben steuerfrei, erklärte Palmer, doch Parkplätze könnten als »private Aufgabe« gelten und damit steuerpflichtig sein. Die entscheidende Frage: Gehört der Parkplatz zur Straße? Die Finanzverwaltung habe dafür eine »ganz tolle Lösung« gefunden, erzählt der OB in sarkastischem Ton: »Ist der Parkplatz parallel zur Straße ausgerichtet, gehört er zur Straße und ist mehrwertsteuerfrei. Ist er aber senkrecht zur Straße ausgerichtet, ist er mehrwertsteuerpflichtig.« Und wenn er schräg ist? »Da konnte man mir keine Antwort geben«, so Palmer spöttisch.
Dann malte er die Folgen aus: 40.000 Parkplätze müsse er theoretisch einzeln prüfen, Parkscheinautomaten müssten »sprachfähig« werden, um zu unterscheiden, ob jemand senkrecht oder waagrecht parkt. »Am Ende sagt der Finanzbeamte, ich solle mich nicht grämen«, erzählte Palmer. Denn für die Stadt entstünden keine Mehrkosten – solange sie Parkplätze korrekt sortiere und die Kosten einzeln verbuche, könne sie den Vorsteuerabzug nutzen. »Der Staat kassiert keinen Cent mehr, aber ich kann vier oder fünf Leute damit beschäftigen, ständig Parkplätze zu verbuchen.« Aus Spott wurde Zorn: »Jede Woche kommt so etwas auf den Tisch.«
Ernüchternde Merkel-Bilanz
Zuvor hatte Palmer zehn Jahre nach Angela Merkels »Wir schaffen das«-Versprechen eine ernüchternde Bilanz gezogen. Im Zentrum: die Kriminalität, die nach seiner Einschätzung der AfD Auftrieb gibt. Die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt scheitere an überbordender Bürokratie und fehlenden Anreizen. Palmer forderte, Zuwanderer sofort arbeiten zu lassen. Die zwei Bürgergelderhöhungen aus der jüngeren Vergangenheit nannte er einen »schweren Fehler«, weil sie Leistungsanreize schwächten.
Zur Kriminalität sprach er von »zwei unbequemen Wahrheiten«: Heute gebe es zwar weniger Tötungsdelikte als im Jahr 2000, gleichzeitig aber zehnmal mehr Gewalttaten durch Syrer, Iraker und Afghanen, als ihrem Bevölkerungsanteil entspreche. Gewalt durch Schutzsuchende sei »moralisch absolut inakzeptabel«. Deutschland sei jedoch statistisch nicht unsicherer geworden. »Man dürfe das Thema weder dramatisieren noch verharmlosen«, mahnte Palmer.
Angespannter Wohnungsmarkt in Tübingen
Auch der Wohnungsmarkt in Tübingen war Thema. Die Stadt wachse seit Jahrzehnten, der Platz werde knapp. Palmer erzählte von Senioren, die nach Renteneintritt ihre Heimat verlassen müssten, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Gleichzeitig habe Tübingen für 1.500 Geflüchtete Wohnungen bauen oder anmieten müssen – eine gesetzliche Pflicht, die für deutsche Staatsbürger nicht gelte. Zehn Jahre nach 2015 lebten die meisten Geflüchteten noch immer im geförderten Wohnraum der Universitätsstadt. Niedrige Einkommen und geringe Erwerbsquoten ließen ihnen kaum Chancen auf dem freien Markt. Palmer sprach von einem »riesigen sozialen Problem«, das Kitas und Schulen zusätzlich belaste.
Die Bürokratie geißelte er erneut: Er schilderte, dass Tübingen seit 18 Jahren an einem Flächennutzungsplan arbeite, der bis heute nicht fertig sei – weil Gutachten, Besprechungen und Abstimmungen endlos neue Schleifen erzeugten. Hoffnung setzt er auf eine geplante Reform im Baugesetzbuch: Ein neuer Paragraf 246e solle es Gemeinden erlauben, bei Bedarf von anderen Paragrafen-Vorschriften abzuweichen. »Das ist eine wirklich gute Lösung«, sagte Palmer. Dann könne etwa der Tübinger Flächennutzungsplan binnen wenigen Wochen beschlossen sein.
Bürokratie sei einer der wenigen Bereiche, in denen Deutschland selbst handlungsfähig sei, so Palmer. Der Abbau könne - je nach Rechnung - bis zu 180 Milliarden Euro sparen. Doch stattdessen liefere der Bund nicht einmal Kameras für Ausweisfotos, klagte er, bevor zu seiner Geschichte über den Parkplatz-Irrsinn in Tübingen kam. Nach dieser rief er ins Studio: »Wenn das nicht endlich aufhört, weiß ich nicht, wie man dieses Land retten soll.« (GEA)

