TÜBINGEN. Es ist 8 Uhr morgens, als Stephan Götz im Tübinger Tierheim ankommt und von lautem Hundegebell begrüßt wird. Der ausgebildete Tierpfleger ist alleine für die Hundeabteilung des Tierheims zuständig – ab und zu unterstützen ihn ehrenamtliche Helfer.
»Ich hatte schon in meiner Kindheit viel Kontakt zu Tieren«, erzählt Götz. Sein Großvater hatte früher einen kleinen Bauernhof mit verschiedensten Tieren. »Mir war immer klar, dass ich später mal einen Beruf haben möchte, in dem ich mit Tieren arbeiten kann. Sie sind einfach die treusten Freunde.« Neben der Hundeabteilung gibt es im Tierheim auch eine für Katzen und Kleintiere.
Besitzer oft verstorben, Hunde traumatisiert
Die Gründe, warum die Vierbeiner im Tierheim sind, sind sehr unterschiedlich: »Wir haben immer mal wieder Hunde von verstorbenen oder erkrankten Besitzern. Aber auch viele illegale Hunde, beispielsweise aus Rumänien, die oft stark traumatisiert sind«, sagt der Tierpfleger. Auch entlaufene Hunde kommen neben Vierbeinern von Flüchtlingen aus der Ukraine immer mal wieder im Tierheim unter. Aktuell betreut Götz zwölf Hunde.
In letzter Zeit seien aber auch immer mehr »Coronahunde« abgegeben worden. »Wie es scheint, haben sich Menschen im Homeoffice einen Gefährten zugelegt, den sie jetzt nicht mehr betreuen können«, so Götz. Das ist allgemein ein Thema, das ihn immer wieder aufs Neue beschäftigt: »Die Menschen müssen sich im Klaren sein, was es bedeutet, sich einen Hund zuzulegen.«
Viel zu viele Tiere werden im Tierheim aus Überforderung oder Vernachlässigung abgegeben. »Das muss nicht sein. Aufklärung beispielsweise zu den Eigenheiten der Rassen ist super wichtig«, so Götz. Er findet in diesem Zusammenhang auch den Hundeführerschein nicht verkehrt und sieht in ihm eine große Chance, Hunden bessere Lebensbedingungen schaffen zu können.
»Zu Beginn meines Arbeitstages verteile ich Tabletten an die Hunde, die beispielsweise Gelenk- oder Schilddrüsenprobleme haben«, sagt Götz. Im Anschluss daran bekommt jeder Hund eine ausgiebige Begrüßung. »Das ist wichtig, denn auch Tiere brauchen Körperkontakt«, erklärt Stephan Götz.
Im Anschluss werden die Vierbeiner in ihre Außenzwinger geschickt, damit die Innenzwinger geputzt werden können. Unterstützung bekommt er dabei manchmal von der ehrenamtlichen Helferin Lea Jürgens. Die 22-Jährige studiert Erziehungswissenschaft und soziale Arbeit in Tübingen und hilft seit März im Tierheim: »Mit Tieren zu arbeiten, empfinde ich als enorme Bereicherung. Ich helfe immer ganz flexibel an den Tagen aus, an denen ich Zeit habe.«
Die ehrenamtlichen Mitarbeiter putzen aber nicht nur die Zwinger, sondern gehen – meist vormittags – mit den Hunden Gassi. »Unsere Helfer sind eine enorme Unterstützung für uns«, so Götz. Aktuell arbeiten rund 18 Ehrenamtliche im Tierheim. Das klingt zwar viel, laut Götz werden aber noch weitere gebraucht.
Viel zu wenig Zeit zum Kuscheln
Der Vormittag gilt als dem Putzen und Pflegen: »Zuerst kümmern wir uns immer um die gesunden Hunde und dann um die, die in der Quarantäne sind«, so Götz. Der Grund dafür sei die Verringerung der Übertragung von Krankheiten, denn die meisten Hunde in Quarantäne sind ungeimpft oder Welpen. Aktuell seien viele Hunde von geflüchteten Ukrainern in der Quarantänestation. Aber auch kranke Hunde oder solche, die aus anderen Gründen Ruhe brauchen, können auf der besonderen Station untergebracht werden. »Wir versuchen so, jeden einzelnen Hund zu schützen«, sagt Götz, der als Einziger die Quarantänestation betreten darf.
Eine der überraschenden Aufgaben, für die laut dem Tierpfleger »leider viel zu wenig Zeit bleibt«, sei das Kuscheln. Neben dem Training mit den Hunden sei dies aber auch eine der wichtigsten Aufgaben im Tierheim: »Hunde lernen viel voneinander, aber auch viel von uns Menschen. Anders als Katzen brauchen sie sehr viel mehr Zuwendung und Körperkontakt.« Noch vor der Mittagspause um 12 Uhr, die gleichzeitig auch eine Ruhepause für die Vierbeiner ist, wird es unruhig in der Hundeabteilung: Essenszeit. »Das muss jetzt schnell gehen. Die meisten Hunde sind sehr fixiert auf ihr Essen und können ihre Emotionen nicht kontrollieren«, so Götz.
Training mit den Hundetrainern
Nachmittags stehen ausschließlich die Vierbeiner im Vordergrund: »Nach der Ruhepause trainieren eine ehrenamtliche Hundetrainerin und ich die Hunde«, sagt Götz. Es werden individuelle Trainingspläne aufgestellt, Fortschritte dokumentiert und Kommandos beigebracht. »Die Ausbildung ist superwichtig. Zum einen lastet sie die Hunde aus und zum anderen bereitet sie auf eine Vermittlung vor.« Zudem biete sie Ablenkung: Viele der Vierbeiner hätten einiges erlebt und seien zutiefst traumatisiert. Götz versucht, sie so gut wie möglich aufzufangen und zu therapieren.
»Es ist rührend und ein großes Erfolgserlebnis, wenn misstrauische Hunde anfangen, einem zu vertrauen. Wenn sie sich dann freuen, mich zu sehen, weiß ich: Jetzt bin ich durchgedrungen«, so der Hundepfleger. Vierbeiner, die mit der Situation im Tierheim überfordert sind, nimmt Götz immer mal wieder zu sich nach Hause: »Tierpfleger im Tierheim zu sein, ist eigentlich kein Job, sondern eine Lebenseinstellung. Die Hunde beschäftigen mich den ganzen Tag.« Es ist sehr wichtig, dass Stephan Götz jeden einzelnen der Hunde genau kennt: Nur so kann eine Vermittlung erfolgreich vonstattengehen, denn schon im Vermittlungstext – der einer Datinganzeige gleicht – werden alle Vorlieben und Bedürfnisse der Vierbeiner aufgeführt.
Die Versorgung der Tiere hat Vorrang, trotzdem müssen über den Tag verteilt beispielsweise Mails von potenziellen Helfern und Käufern beantwortet, das (Notfall-)Telefon betreut und die Pflanzen auf dem Gelände gepflegt werden. »Wir versuchen, den Hunden eine sichere und natürliche Umgebung zu bieten, in der sie sich wohlfühlen können«, so Götz.
Aber auch außerhalb seiner Arbeitszeit setzt sich Götz für die Vierbeiner ein: Seit rund einem Jahr gibt es die Hundetafel, die unter anderem von ihm ins Leben gerufen wurde. »Eigentlich unterstützen wir nicht nur Tiere in Not, sondern auch Menschen. Wir sind ausnahmslos für alle da«, so Götz. Wer sich anderweitig einbringen möchte, kann Geld für Aktionen spenden, die online angekündigt werden, oder sich ehrenamtlich engagieren.
Drei bis sechs Monate im Tierheim
»Ein Hund ist durchschnittlich zwischen drei und sechs Monaten bei uns im Tierheim«, sagt Götz. Das liegt zum Teil an dem Vermittlungsprozess: Nach einer ersten Interessensäußerung werden in einem Bewerbungsgespräch mit Götz verschiedenste Dinge wie die Erfahrungen mit Tieren oder die Größe der Wohnfläche geklärt. »Wir wollen die Tiere nicht loswerden, sondern ihnen ein Zuhause vermitteln«, so Götz. Er ist es dann auch, der bei der Wahl des Hundes und der ersten gegenseitigen Vorstellung anwesend ist.
Nach einem ersten Spaziergang kontrolliert Götz die Wohnung der zukünftigen Hundebesitzer. Erst dann darf der Vierbeiner das erste Mal ins neue Zuhause und eine sogenannte Eingewöhnungszeit beginnt. »Die endet mit einem abschließenden Hausbesuch durch mich«, so Götz. Erst dann gilt der Hund als offiziell vermittelt. »Es ist immer traurig, wenn ein Hund geht, aber die Freude überwiegt, dass er ein neues Zuhause gefunden hat«, so Jürgens. »Am besten wäre es, wenn kein Hund im Tierheim ist«, sagt Götz. Noch heute bekommt er Bilder der vermittelten Hunde zugesendet: »Hunde verbinden einfach. Das ist richtig schön.« (GEA)