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Entführung und Misshandlung: Angeklagter schweigt im Tübinger Prozess

Prozess im Landgericht: Weil er einen Diebstahl seiner Drogen vermutete, soll ein 25-Jähriger mit Komplizen einen Mann in Reutlingen verschleppt, gefesselt und schwer verletzt haben.

Prozess wegen Entführung
Der Angeklagte soll mit vier Unbekannten einen 31-Jährigen in eine Hütte verschleppt und dort misshandelt haben. Foto: Tatjana Bojic/DPA
Der Angeklagte soll mit vier Unbekannten einen 31-Jährigen in eine Hütte verschleppt und dort misshandelt haben.
Foto: Tatjana Bojic/DPA

TÜBINGEN/REUTLINGEN. In Hand- und Fußfesseln wurde der Angeklagte am Dienstag von Wachpersonal in den großen Sitzungssaal des Landgerichts Tübingen geführt. Mit Vollbart und Sonnenbrille, ganz in Schwarz gekleidet, wirkte der 25-Jährige gerade so, als ob er dem düsteren Bild eines Mitglieds der organisierten Kriminalität entsprechen wollte. Und der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft Tübingen ihm nun zur Last legt, betrifft genau das – Drogenhandel im großen Stil.

Und nicht nur das: Weil er einen Diebstahl seiner Drogen vermutete, soll der türkischstämmige Angeklagte mit Komplizen einen Mann in Reutlingen verschleppt, gefesselt und schwer verletzt haben. Gewertet wird das als schwerer erpresserischer Menschenraub.

»Die Vermutung liegt sehr nahe, dass dieses Vergehen mit organisierter Kriminalität zu tun hat«, erläuterte Staatsanwalt Patrick Pomreinke nach der Verlesung der Anklageschrift. Entsprechend groß war der Sicherheitsapparat im Landgericht: Wer in den Gerichtssaal wollte, wurden von einer Vielzahl von Justizwachtmeistern zunächst einer Personen- und Taschenkontrolle unterzogen. Was dann folgte, war aber eine längere Wartezeit: Erst nach etwas mehr als einer Stunde startete das Verfahren – ein Schöffe hatte sich verspätet.

Koffer im Hotel deponiert

Zu den Vorwürfen: Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, Abteilung Pforzheim, hatte ermittelt, dass der Angeklagte in den Tagen vor Weihnachten vergangenen Jahres in der Nähe eines Pforzheimer Hotels 229 Gramm Kokain im Wert von 8.400 Euro verkauft haben soll. Dummerweise wurde das weiße Pulver an einen verdeckten Ermittler für rund 9.000 Euro weiterverkauft. Weiterhin soll der 25-Jährige seit dem 30. August 2024 ein Zimmer in selbigem Hotel gemietet haben und dort einen »gehaltvollen« Koffer aufbewahrt haben.

Darin sollen nach den Erläuterungen des Staatsanwalts rund 20 Kilogramm Kokain sowie ein Geldbetrag in bar zwischen 300.000 und einer halben Million Euro gewesen sein. Doch eines Tages war der Koffer verschwunden. In Verdacht, die Tasche mit dem wertvollen Inhalt gestohlen zu haben, hatte der 25-Jährige, der Student als berufliche Tätigkeit angab, einen Freund der Hotelbesitzerin.

In der Bismarckstraße entführt

Am 4. Januar 2025 kam es zum Showdown in Reutlingen, mit einem entscheidenden Nachteil für den vermeintlichen Kofferdieb: Irgendwo in der Bismarckstraße stöberte der Angeklagte zusammen mit vier weiteren (unbekannten) Tätern den Mann auf. Sie sprühten ihm Pfefferspray ins Gesicht, überwältigten ihn, verfrachteten ihr Opfer in den Fußraum ihres Fahrzeugs und fuhren mit ihm nach den Schilderungen des Geschädigten zu einer Garten- oder Waldhütte irgendwo zwischen Reutlingen und Stuttgart.

Laut Staatsanwalt Pomreinke hielt das Quintett den Geschädigten in dieser Hütte rund 24 Stunden fest, die Männer bedachten ihn mit Todesdrohungen, prügelten und verletzten ihn vor allem im Kopfbereich mit einem harten Gegenstand schwer. Das Opfer erlitt ein Schädelhirntrauma, Prellungen im Gesichtsbereich. »Jetzt ist es vorbei«, sollen die Täter dem Opfer in vielfachen Varianten mit dem Tod gedroht haben.

Opfer ging zur Polizei

Aber: Nach rund einem Tag ließen die Männer den Geschädigten wieder frei, forderten ihn allerdings auf, den Koffer samt Inhalt zurückzugeben. Das hat der Mann jedoch nicht getan, er ging stattdessen zur Polizei – was zur Festnahme des 25-jährigen Studenten am 16. Januar 2025 führte. Seitdem sitzt der Angeklagte in Untersuchungshaft in der Tübinger Justizvollzugsanstalt.

Zum Auftakt des Prozesses wollte der Angeklagte weder zur Person noch zu den Vorwürfen Angaben machen. Sein Rechtsanwalt stellte den Antrag, die Vernehmung des Opfers nicht im Gerichtssaal durchzuführen. Der Grund: Aus Angst vor gewaltbereiten, organisierten Kriminellen bitte der Mann um eine Videovernehmung, die in den Gerichtssaal übertragen werden könnte. Das Gericht wird noch darüber entscheiden. Die Verhandlung wird am 8. Oktober mit insgesamt neun Folgeterminen fortgesetzt. (GEA)