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Union und Grüne beraten bei erstem Sondierungsgespräch

Die Grünen streben eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP an, treffen sich heute aber auch mit der Union. Deren Umgang mit vertraulichen Gesprächsinhalten sorgt bereits für Kritik.

BERLIN. Mit einem Treffen von Union und Grünen endet heute eine erste Reihe von Sondierungsgesprächen über eine neue Regierung. Die Grünen streben nach der Bundestagswahl zwar eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP an, schließen aber auch ein Bündnis mit Union und FDP nicht aus.

Eine solche Jamaika-Koalition - benannt nach den Flaggenfarben Jamaikas schwarz, grün, gelb - gilt als einzige Chance für Unionskanzlerkandidat und CDU-Chef Armin Laschet, die Union nach dem historischen Wahldesaster vom 26. September noch ins Kanzleramt zu retten. Auch die FDP hat sich noch nicht festgelegt, neigt aber inhaltlich eher der Union zu.

Führende Grüne warfen der Union am Morgen mangelnde Diskretion vor. Es sei in allen Runden Vertraulichkeit vereinbart worden, sagte der politische Bundesgeschäftsführer, Michael Kellner, im RTL/ntv-»Frühstart«. »Dass man dann die Kommunikation über die «Bild»-Zeitung betreibt, wirft kein gutes Licht auf die Zustände in der Union«, sagte Kellner, der dem zehnköpfigen Sondierungsteam der Grünen angehört. Es sei »auffällig«, dass aus dem einzigen Sondierungstreffen der Union - dem mit der FDP am Sonntag - etwas bekannt geworden sei. »Das hat uns schon schwer irritiert.« Auf die Frage, ob er sich vor den heutigen Gesprächen von Grünen und Union Sorgen mache, ob alles geheim bleibt, sagte er: »Ja, die Sorge habe ich.«

Özdemir: »Interne Führungsprobleme« bei der Union

Die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Jürgen Trittin äußerten zudem Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit von CDU und CSU. Dass aus dem Treffen von Union und FDP Ergebnisse durchgesickert seien, sei nicht gerade ein Vertrauensbeweis und ein »Zeichen für interne Führungsprobleme«, sagte Özdemir am Dienstag in der Sendung »RTL Direkt«. Das sei ein Signal, dass die Union ein massives Problem habe.

Trittin sagte: »Der entscheidende Punkt am heutigen Tag wird sein, ob eigentlich die CDU willens und fähig ist, überhaupt solche Verhandlungen und entsprechende Vereinbarungen zu treffen.« Einen monatelangen Klärungsprozess »kann sich Deutschland schlicht und ergreifend nicht leisten«, erklärte er im Deutschlandfunk. Der dem linken Parteiflügel zugerechnete Politiker betonte das Trennende: »Wir wissen eben auch wie hoch die Hürden sind. Und da kommt es dann sehr stark auf die Frage an, ob und wie weit auf beiden Seiten verhandlungs- und vertragsfähige Gesprächspartner vorhanden sind.« Özdemir und Trittin sind bei der Sondierung im engeren Kreis nicht dabei, gehören aber dem erweiterten Sondierungsteam der Grünen an.

Die Union hat die Grünen - wie schon die FDP am Sonntag - zu den Beratungen auf den Euref-Campus in Berlin eingeladen. Die Wahl des Tagungsortes sollte vor dem Hintergrund von Laschets Ankündigung - er biete Grünen und FDP eine »Zukunftskoalition« an - auch ein Signal an die beiden möglichen Regierungspartner sein. Der Campus wirbt für sich als »Zukunftsort«, auf dem 5000 Menschen zu den Themen Energie, Mobilität und Nachhaltigkeit forschen und arbeiten.

Die Spitzen von CDU und CSU kamen vor dem von 11.00 Uhr an geplanten Sondierungsgespräch zunächst zu Vorberatungen zusammen. CDU-Chef Armin Laschet, der CSU-Vorsitzende Markus Söder und weitere Mitglieder der Sondierungsteams beider Parteien äußerten sich bei ihrem Eintreffen nicht inhaltlich zu den Beratungen - es war Stillschweigen vereinbart worden. Die Grünen wollen sich ebenfalls zu Vorbesprechungen treffen.

Streitpunkte zwischen Union und Grünen

Finanz- und Steuerpolitik: Hier gibt es besonders viele Klippen. Die Grünen wollen hohe Einkommen und Vermögen stärker belasten, das lehnt die Union ab. CDU und CSU wollen dagegen den Solidaritätszuschlag für alle schrittweise abschaffen. Die Grünen wollen eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse, damit der Staat mehr investieren kann etwa in den klimagerechten Umbau der Wirtschaft. In der Union gibt es viele, die eine »Aufweichung« der Schuldenbremse ablehnen.

Energie- und Klimapolitik: Die Grünen wollen, dass Solaranlagen auf Dächern zur Pflicht werden. Von 2030 an sollen nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden - das wäre das Aus für den klassischen Verbrennungsmotor, der mit fossilen Kraftstoffen wie Benzin und Diesel angetrieben wird. Die Union lehnt Verbote ab, setzt auf Anreize. Sie will etwa für mehr Solardächer ein Förderprogramm mit zinslosen Darlehen für Eigentümer. Umstritten zwischen Union und Grünen ist auch, ob der CO2-Preis im Verkehr- sowie im Wärmebereich schneller steigen soll - so wie es die Grünen wollen. »Grüne und Union liegen beim Klimaschutz Lichtjahre auseinander und mir fehlt die Vorstellung dafür, dass dies überbrückbar wäre«, sagte Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Einig sind sich Union und Grüne im Prinzip darin, dass der Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne beschleunigt werden muss, um klimaschädliche Emissionen zu verringern. So sollen Planungsverfahren schneller gehen. Auf dem Weg dorthin gibt es aber viele Fallstricke, dazu gehört etwa der Konflikt zwischen Klima- und Artenschutz. Generell besteht Einigkeit über Entlastungen beim Strompreis.

Kohleausstieg: Bisher ist der bis spätestens 2038 geplant. Die Grünen wollen einen Ausstieg bis 2030. In der CDU stößt ein mögliches Vorziehen vor allem bei den Ministerpräsidenten im Osten auf Widerstand. CSU-Chef Söder hat im Gegensatz dazu schon wiederholt ein deutliches Vorziehen des Kohleausstiegs gefordert: auf 2030.

Verkehr: Sowohl Union als auch die Grünen wollen die Schiene und den öffentlichen Personennahverkehr ausbauen, damit mehr Menschen vom Auto umsteigen. Die Grünen wollen auf Autobahnen ein generelles Tempolimit. Das zählt zu den Knackpunkten, auch wenn Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter zuletzt Gesprächsbereitschaft signalisiert hatte. Vor allem die CSU ist hier strikt dagegen, auch in der CDU gibt es große Vorbehalte.

Außen- und Sicherheitspolitik: Dem Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, stehen die Grünen ebenso skeptisch gegenüber wie einer weiteren Stationierung der US-Atombomben in Deutschland. Stattdessen unterstützen sie den Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen, den die Union für den falschen Weg zur atomaren Abrüstung hält. Zur Frage, ob die Bundeswehr mit Kampfdrohnen ausgerüstet werden soll, haben sich die Grünen noch nicht positioniert. Die Union will das in einem Koalitionsvertrag festschreiben.

Migration und innere Sicherheit: Fast schon traditionell gibt es in diesen Bereichen große Differenzen. So stehen CDU und CSU etwa der Festlegung einer bestimmten Zahl von Migranten, die von Deutschland aufgenommen werden könnten, skeptisch gegenüber.

Schwarz und Grün: Wer kann mit wem?

In der CDU heißt es, Laschet habe zu Grünen-Chef Robert Habeck einen guten Draht. Auch mit Baerbock wollte Laschet nach der Wahl sprechen - über Ergebnisse ist jedoch nichts bekannt. Söder und Habeck können dem Vernehmen nach gut miteinander, der CSU-Chef soll auch Baerbock sehr schätzen. Für Kritik und Lästereien im CSU-Wahlkampf musste dagegen des Öfteren der ebenfalls aus Bayern stammende Bundestagsfraktionschef Toni Hofreiter herhalten.

Zudem gibt es mehrere Mitglieder des Sondiererteams der Union, die Regierungserfahrungen mit den Grünen haben. So kennt der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther Habeck gut: In der von Günther seit 2017 geführten Jamaika-Koalition war Habeck Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und Digitalisierung, bis er 2018 Grünen-Chef wurde. Fotos aus dem Sommer 2020 zeigen Günther und Habeck gut gelaunt bei einer gemeinsamen Wanderung durch Schleswig-Holstein.

Auch Winfried Kretschmann und Thomas Strobl arbeiten zusammen - Strobl ist Innenminister der grün-schwarzen baden-württembergischen Landesregierung von Kretschmann. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, regierte in seiner zweiten Amtszeit bis September 2021 in einer Koalition mit SPD und Grünen. (dpa)