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Wie die Corona-App Leben retten soll

Viele hoffen, dass Smartphones bei der Pandemie-Bekämpfung helfen können. Das hat nicht nur Vorteile

Die Coronavirus-Tracing-App »COVIDSafe« der australischen Regierung. FOTO: DPA
Die Coronavirus-Tracing-App »COVIDSafe« der australischen Regierung. FOTO: DPA
Die Coronavirus-Tracing-App »COVIDSafe« der australischen Regierung. FOTO: DPA

REUTLINGEN/BERLIN. Eine Corona-App soll helfen, die Beschränkungen, die die Gesellschaft seit Corona auf sich nehmen musste, wieder so weit wie möglich rückgängig zu machen. Das ist die Hoffnung vieler Bürger und Politiker. Dahinter steht die Annahme, dass mithilfe einer App Infektionsketten schneller gefunden werden könnten. Letztlich könnte die App so helfen, Infizierte zu isolieren und damit auch Leben retten. Doch noch gibt es viele Fragen und Streit um die App. Das geht vom Tohuwabohu bei der Entwicklung bis hin zu Fragen der Funktionalität und vor allem des Datenschutzes. Denn die Interessen von Bürgern, der Bundespolitik und der Kommunen sind höchst unterschiedlich.

- Wie soll die App funktionieren?

Im Gegensatz zu Apps wie sie in Südkorea oder China eingesetzt werden, handelt es sich bei der App, die Deutschland anstrebt, nicht um eine »Tracking-«, sondern um eine »Tracing-App«. Das heißt, die Bewegungen und Kontakte der Menschen werden nicht auf Schritt und Tritt nachverfolgt. Stattdessen speichert das Smartphone nur, welche Geräte sich für mindestens 15 Minuten nahekommen. Die App erzeugt einen geheimen Schlüssel für ihren Nutzer. Aus diesem Schlüssel errechnet die App verschiedene Identifikationsnummern, sogenannte IDs. Diese können dann über die Technik Bluetooth Low Energy von anderen Geräten empfangen werden. Somit tauschen die Geräte anonyme IDs aus und speichern diese nur, wenn ein Kontakt über eine längere Zeit bestanden hat. Da die App ständig verschiedene IDs erzeugt, können diese auch nicht so einfach zu einem Nutzer zurückverfolgt werden.

Foto: dpa
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Erkrankt nun ein Nutzer der App an Covid-19, meldet das sein Arzt, wie bisher auch, an das Gesundheitsamt. Der Nutzer selbst meldet seine Erkrankung außerdem seiner App. Die geheimen Schlüssel beziehungsweise damit auch die IDs der Corona-Infizierten, werden in regelmäßigen Abständen an die App übermittelt. Diese gleicht ab, ob sie eine der IDs eines Erkrankten gespeichert hat. Ist das der Fall, bekommt der Nutzer eine Meldung. Er selbst kann sich dann in häusliche Quarantäne begeben und mit seinem Arzt die weiteren Schritte besprechen.

- Wer entwickelt die App?

Die App ist ein Projekt der Bundesregierung. Das Gesundheitsministerium und das Bundeskanzleramt haben nun die Deutsche Telekom und das Softwareunternehmen SAP gebeten, die Corona-App zur Marktreife zu bringen. Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Spiegel arbeiten die beiden Unternehmen seit vergangenem Wochenende daran. Wichtig bei der Auswahl der Unternehmen sei laut Spiegel auch gewesen, dass Telekom und SAP zugetraut wird, es mit internationalen Großkonzernen wie Apple und Google aufzunehmen. Sie liefern die überwiegende Mehrzahl der Betriebssysteme für Smartphones. Bei der Entwicklung stehen die Frauenhofer-Gesellschaft und das Helmholtz-Zentrum CISPA beratend zur Seite.

Laut einer Mitteilung des Gesundheitsministeriums soll bei der Entwicklung der App auch auf eine »Interoperabilität mit anderen europäischen Lösungen« geachtet werden. Das heißt: Funktioniert die deutsche App auch, wenn man in Italien, Polen oder Frankreich ist, könnte sie unter anderem einen Beitrag zur Öffnung der Grenzen und des Tourismus leisten.

- Welche technischen Probleme gibt es bei der Corona-Tracing-App?

Die Bluetooth-Low-Energie-Technologie ist eigentlich nicht dafür entwickelt worden, Abstände und Aufenthaltsdauer möglichst exakt zu messen. Doch genau das muss nun über diese Technologie funktionieren. Je nach Smartphone-Modell und möglichen Hindernissen, wie einer Hosentasche oder einer Plexiglasscheibe, variiert die Signalstärke. All das muss also bei der Entwicklung der App berücksichtigt werden.

- Welche Daten werden erhoben?

Nach der von der Bundesregierung präferierten Lösung sollen keine Standortdaten gespeichert werden. Auch Kontaktdaten werden nirgendwo zentral gespeichert. Lediglich verschlüsselte IDs werden ausgetauscht. Im Gegensatz zu einer Tracking-App werden bei dieser Tracing-App also keine Bewegungsprofile einzelner Personen abgespeichert.

- Wo werden die Daten gespeichert und was ist der Unterschied zwischen der zentralen und der dezentralen Speicherung?

Die Daten, welche Person hinter welcher ID steht, kennt lediglich das eigene Smartphone. Und hier steckt auch der große Unterschied zwischen der zentralen Speicherung der Daten und der dezentralen. Beim zentralen Modell, das von der Bundesregierung zuerst bevorzugt wurde, werden die IDs und wie sie den Nutzern zugeordnet werden, von einem zentralen Server gespeichert. Im Gespräch war hier ein Server beim Robert-Koch-Insitut, der vom Bundesamt für Informationstechnik und dem Bundesbeauftragten für Datenschutz überwacht werden sollte. Bei der zentralen Lösung müssten die Nutzer der App sich auf die Serverbetreiber verlassen, dass diese ihre Daten vertraulich behandeln und diese auch wieder löschen, wenn die Daten nicht mehr gebraucht werden. Ein weiteres Problem: Vor allem Apple, auf dessen Smartphones die App ja auch laufen soll, wollte keine Schnittstellen für Apps mit zentralem Server öffnen. Diese Blockadehaltung war laut Süddeutscher Zeitung unter anderem dafür verantwortlich, dass die Entwicklung der App stockte und die Bundesregierung schließlich auf das dezentrale Modell umschwenkte.

Beim dezentralen Modell werden keine Daten zentral gespeichert, sondern lediglich lokal auf dem eigenen Smartphone. Die Daten können nicht zurückverfolgt werden. Ein Vorteil für den Datenschutz – aber möglicherweise ein Nachteil für die Epidemiebekämpfung.

- Ist die App ein Einfallstor für den Überwachungsstaat?

Das befürchteten Datenschützer, IT-Experten und netzpolitische Vereine und Verbände. Ganz unbegründet scheinen ihre Ängste nicht zu sein. China nutzte seine App, um das Überwachungssystem weiter auszubauen. In Israel hat der Geheimdienst Zugriff auf Bewegungsdaten und ist berechtigt, Kontaktpersonen von Corona-Infizierten zu ermitteln und in Quarantäne zu schicken. Und auch in vielen anderen Staaten werden mit der App eine Menge sensible Kontaktdaten gesammelt und den Ämtern zur Verfügung gestellt.

In einem offenen Brief forderten 300 Wissenschaftler daher höhere Transparenz bei der App-Entwicklung in Deutschland und kritisierten das zentrale Modell. Mit Erfolg.

- Wer bekommt Zugriff auf gesammelte Daten?

Der Streit um dezentrales oder zentrales Modell führte auch zu einem Streit über Datenerhebung und -verwertung. Beim jetzt präferierten dezentralen Modell werden keine Daten an Gesundheitsämter oder Epidemiologen zur Auswertung weitergegeben. Eine Überwachung der Infizierten oder das Auffinden von Infektionsherden sowie eine Übersicht über die Entwicklung der Pandemie ist so aber schwerer möglich.

Bisher ist es bereits so, dass Infizierte ihre Kontaktpersonen benennen müssen. Diese werden dann vom Gesundheitsamt kontaktiert und müssen sich in Quarantäne begeben. »Eine Detektivarbeit«, nennt das Kay Ruge, der zuständige Beigeordnete des Deutschen Landkreistags. Denn bisher, so sagt Ruge dem GEA, habe es immer wieder Infizierte gegeben, die sich nicht an die Regeln der Gesundheitsämter hielten und trotz Erkrankung weiter aus dem Haus oder zur Arbeit gingen. Außerdem sei es schlicht und ergreifend so, dass die Infizierten sich nicht immer an alle Kontaktpersonen erinnerten.

Letzteres soll immerhin auch durch eine dezentrale Corona-Tracing-App einfacher sein. Die Gesundheitsämter können das jedoch nicht kontrollieren. Auch deshalb forderte der Landkreistag in einem Schreiben an Gesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtsminister Helge Braun eine zentrale App, die etwa Kontakt- und Ortsdaten erhebt und speichert. »Wir wollen nicht Orwell sein«, sagt Ruge und meint damit, dass der Landkreistag keine Überwachung anstrebe. Ruge gibt aber zu bedenken: »Gerade Südkorea, das eine Demokratie ist und uns immer wieder als gutes Beispiel in der Pandemiebekämpfung vorgeführt wird, wertet Kontakt- und Ortsdaten aus.« So könnten Erkrankungsherde viel schneller identifiziert und begrenzt werden. Schnelligkeit sei bei der Pandemiebekämpfung oft entscheidend.

Kritikern, die behaupten, dass eine Sammlung der Orts- und Kontaktdaten dazu führen würde, dass sich weniger Menschen eine Corona-App aufs Handy laden, erwidert Ruge, man müsse da eben dem Staat vertrauen. Google und Apple vertrauten viele Smartphonenutzer ihre Standort- und Kontaktdaten ja auch an. »Das muss dann natürlich auch in Gesetzen festgeschrieben werden, dass die Daten wieder gelöscht und nicht für andere Zwecke verwendet werden dürfen«, so Ruge.

Doch der Beigeordnete beim Landkreistag gesteht nun auch ein: »Diesen Kampf haben wir verloren«. Jetzt werde eine dezentrale Lösung der App ohne Kontakt- und Ortsdatenspeicherung kommen. »Wir müssen abwarten, was passiert, wenn wir eine zweite Infektionswelle haben«, sagt er.

- Wie viele Menschen müssen die App nutzen, damit sie überhaupt hilft?

Die App soll laut Bundesgesundheitsministerium auf freiwilliger Basis installiert werden. Damit die App aber wirklich einen Nutzen bringt, muss eine kritische Masse an Bürgern diese auf ihrem Smartphone installiert haben. Die EU-Kommission schätzt, in Berufung auf die Universität Oxford und Erfahrungen aus Singapur, dass 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung eine Tracing-App verwenden müssten, damit sie die Pandemie wirklich bekämpfen kann. In Deutschland müssen also rund 50 Millionen Menschen eine solche App installiert haben. Wenn man davon ausgeht, dass nicht alle Bürger ein Smartphone besitzen, das die nötige Technologie für eine Tracing-App mitbringt, oder gar kein Smartphone haben, könnte das schwierig werden. Forscher aus Skandinavien bezweifeln gar, dass eine Nutzer-Quote von 60 Prozent in der Bevölkerung überhaupt ausreicht. Ein Allheilmittel wird die App also wohl nicht sein.

- Wann soll die App da sein?

Ganz klar ist das noch nicht. Nachdem eine App zuerst für Mitte April angekündigt wurde, rechnen Experten inzwischen eher mit einem Einführungsdatum Ende Mai, Anfang Juni. Die Beteiligten, wie das Gesundheitsamt und die Entwickler, halten sich aber mit weiteren Prognosen bisher zurück. (GEA)