REUTLINGEN. Die Befürchtungen von Mathias Döpfner scheinen nicht grundlos. Der Springer-Mann gibt sich angesichts der Corona-Krise zerrissen. Die Welt wisse »erschütternd wenig über das Virus«. Döpfner, als Asthmatiker selbst Risikopatient, zeigt sich in einem Beitrag für Die Welt verunsichert. »Der eine sagt dies, der andere das«, bemängelt er die widersprüchlichen Aussagen der Virologen und deren Allmacht, weil die Politik deren Empfehlungen meist folgt. Der Springer-Chef ist besorgt »um unsere freiheitliche, rechtsstaatliche, offene Gesellschaft, die im Namen der guten Absicht beschädigt werden könnte«.
Da liegt er gewiss nicht falsch, der amtierende Präsident der deutschen Zeitungsverleger. Virologen vertreten andererseits ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse. Und die Politik orientiert sich daran, stellt auch Maßnahmen um, wenn sich neue Erkenntnisse ergeben. Ein vermutlich vernünftiger Prozess.
Corona ist das beherrschende Thema in den Blättern. Bis zu 1 800 Meldungen in 48 Stunden der Deutschen Presse Agentur dpa zu diesem Thema, hat einer gezählt. Aus einer verwaisten Zentralredaktion in Berlin. Hamsterkäufe, Ausgangssperre, Klopapier, jeden Tag neue Verordnungen in den Bundesländern. Da sind die Regionalzeitungen ein wesentliches Korrektiv – in Zeiten des Ausnahmezustandes für Millionen Menschen.
Kritische Infrastruktur
Journalisten werden gebraucht wie lange nicht mehr, der Hunger nach gesicherten Meldungen ist immens. Eine größere Verpflichtung gibt es kaum. Fake News zu entlarven, nur die wirklichen Experten zu Wort kommen zu lassen. Kein einfaches Geschäft in Zeiten der Krise. Die Zeitungen, die Journalisten, die Medien sind systemrelevant, wie die Politik allerdings erst nach Intervention der deutschen Verlagshäuser feststellte.
Politikbefohlenes Social Distancing befördert die Verpflichtung von lokalen und regionalen Redaktionen, oft isolierte Menschen am gesellschaftlichen Leben weiter teilhaben zu lassen. Was sich vor Ort tut, ist nicht einfach nur eine Information. Sie ist lebenswichtig, weil vor Ort nur die Lokal- und Regionalzeitungen sind. Nicht die Tagesschau der ARD oder die Heute-Redaktion des Zweiten Deutschen Fernsehens.
Die Zusteller von Tageszeitungen werden mit Passierscheinen ausgestattet wie die Journalisten, damit die Informationen sicher dort landen, wo sie hingehören. Leserinnen und Leser warten darauf, jeden Tag, digital und auf Zeitungspapier gedruckt. Die Zeitung ist ein systemerhaltendes Kulturgut, nicht mehr und nicht weniger.
Und je länger die Krise anhält, desto wichtiger, weil die Regionalzeitungen die einzigen sind, die vor Ort sind. Dabei sind Journalisten keine Helden des Alltags, dummes Zeug, wer es behauptet. Aber sie tragen Verantwortung. Und weil der Bedarf an Informationen tagtäglich zunimmt, sind die Zeitungen das, was sie sind: systemrelevant. Im Gegensatz zu den milliardenschweren Social-Media-Großkonzernen in den USA. Sie sind in Corona-Zeiten nicht nur kein Ersatz für die Arbeit der Lokal- und Regionalzeitungen, sie sind genau das Gegenteil, irrelevant für den Systemerhalt.
Eine gesellschaftliche Infrastruktur ist ohne Regionalzeitungen nicht denkbar. »Es gehört zu einer offenen Demokratie, dass wir unser Handeln möglichst gut begründen und kommunizieren«, sagt die Bundeskanzlerin in ihrer bemerkenswerten Rede an die Nation. Angela Merkel befindet sich in vorsorglicher Quarantäne – und liest vermutlich Zeitungen. »Rundfunk und Presse sind kritische Infrastruktur im Sinne der Verordnung der Landesregierung. Sie stellt sicher, dass wir unsere Arbeit für Pressefreiheit und Demokratie wahrnehmen können. Besonders in Zeiten der Krise sind wir die Verbindung zum Leser«, sagt Valdo Lehari Junior, Verleger des Reutlinger General-Anzeigers.
Es muss weitergehen, irgendwann. Zurück in den Alltag. »Die Fantasie, dass wir die Pausentaste drücken, bis das Virus verschwunden ist, ist naiv und gefährlich«, sagt Döpfner. (GEA)