REUTLINGEN-SONDELFINGEN. Erst zog es sich Jahre hin, jetzt soll es plötzlich ganz schnell gehen, damit die Reutlinger Baumschutzsatzung noch vor dem 1. Oktober in Kraft treten kann. Nach viel Zustimmung im Bauausschuss vergangene Woche (der GEA berichtete) touren Katrin Reichenecker und Michael Göppinger vom Amt für Tiefbau, Grünflächen und Umwelt bis Ende Mai durch alle zwölf Bezirksgemeinden, um den Satzungsentwurf vorzustellen.
Danach wird mit ortskundiger Unterstützung der Bezirksämter und Ortschaftsräte der Geltungsbereich »flurstückscharf« festgelegt, und im Juli soll der Gemeinderat die Satzung beschließen.
So jedenfalls der Plan. Doch gleich bei ihrer ersten Station am Montag in Sondelfingen standen Reichenecker und Göppinger einer Wand grundsätzlicher Ablehnung gegenüber. Gut anderthalb Stunden trugen die Räte engagiert Einwände vor. Das fing mit der Art der zu schützenden Bäume an: Ein Stammumfang von 80 Zentimetern entspreche einem Durchmesser von rund 25 Zentimetern – Matthias Wais verdeutlichte das mit einem Maßband. Damit würden nicht nur stattliche alte Stadtbäume der Satzung unterworfen, sondern jeder halblebige Obstbaum, der schon von Natur aus eine deutlich geringere Lebenserwartung habe.
»Wegen einiger Negativbeispiele sollen Bürger in Sippenhaft genommen werden«
In einem historisch bäuerlichen Ort wie Sondelfingen stünden aber genau solche Obstbäume in den Gärten, ergänzte Gerd Gaißer und meinte: »Bislang pflanzen die Leute stolz einen Hausbaum neben ihren Neubau, das werden sie dann nicht mehr tun.« Auch Andreas Vogelwaid befürchtet, dass künftig Bäume ohne Not gefällt werden, bevor sie die schutzwürdige Größe erreichen: »Dann geht der Schuss nach hinten los.«
Heftig bemängelt wurde der »autoritäre« Tonfall der Satzung und dass hier nicht auf die Vernunft der Bürger gebaut, sondern bevormundet und bestraft werde. »Wir sind alle mündige Erwachsene«, so Eva Meinhardt-Müller, die auch betonte, dass sie Bäume möge. Kein vernünftiger Mensch fälle sie grundlos, pflichtete Christoph Lang bei: »Aber wegen einiger Negativbeispiele wie in der Charlottenstraße sollen hier Tausende Bürger in Sippenhaft genommen werden.«
Für Investoren, die auf einem ehemaligen Villengrundstück Platz für ein Mehrfamilienhaus schaffen wollen, seien 5 000 Euro pro gefälltem Baum ohnehin ein Klacks. Bezweifelt wurde auch, dass es mit den geplanten anderthalb Personalstellen zu schaffen ist, die Einhaltung der Vorgaben zu kontrollieren und daneben auch noch Baumberatung anzubieten. Sinnvoller sei es, positive Anreize zu schaffen, statt zu strafen, überlegte Vogelwaid: »Man könnte die Besitzer alter Bäume mit einer Prämie belohnen.« Eine Idee, die auch Lang auf dem Zettel hatte: »Wenn man 50 000 der 135 000 Euro, die jährlich dafür angesetzt sind, für Baumberatung verwendet, würden immer noch 85 000 Euro für Prämien übrig bleiben.« Das wäre ein nachhaltiger Ansatz, waren sich die Ortschaftsräte einig und stimmten unisono gegen den städtischen Beschlussvorschlag.
Kathrin Reichenecker, die anfangs noch erklärt hatte, grundsätzlich sei der Zug mit der Baumsatzung abgefahren, seit der Gemeinderat im Juli 2020 die Verwaltung damit beauftragt hat, meinte schließlich: »Wenn wir aus zehn von zwölf Bezirksgemeinden so ein Votum mitbekommen, muss der Bauausschuss vielleicht noch mal überlegen.« (GEA)