REUTLINGEN. Dass im Wettbewerb um den »Neubau einer Fußgänger- und Fahrradbrücke« über die Konrad-Adenauer-Straße ein Entwurf den ersten Preis gewonnen hat, der Radfahrern lediglich eine schmale »Rampe zum Schieben« anbietet, ist verwunderlich. Die Kommentare, die Besucher einer Ausstellung der drei bestplatzierten Arbeiten im Rathaus hinterließen, sind mehrheitlich kritisch: Schön, so der Tenor, aber nicht praktikabel und teuer im Unterhalt.
Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltssperre – vorerst sollen keine neuen Baubeschlüsse gefasst werden – zeichnet sich ab, dass in Sachen Stegneubau das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Deshalb stellt der GEA die drei prämierten Entwürfe noch einmal etwas ausführlicher vor, lädt seine Leser ein, ihren Favoriten zu küren.
1. Preisträger: »Außergewöhnliche Interpretation«
»Die Verfasser wagen eine außergewöhnliche Interpretation der Wettbewerbsaufgabe«, heißt es im Jury-Protokoll über den erstplatzierten Entwurf einer Frankfurter Bietergemeinschaft. Gelobt wird die »klare architektonische Form« der Bogenbrücke aus Stufen, mit der »die Vielfalt der funktionalen Anforderungen« das bauliche Ensemble rund ums Tübinger Tor »um einen weiteren skulpturellen Baustein« anreichere.
In den motorisierte Verkehr greife die Konstruktion nicht ein, so die Jury weiter, die »ankommenden und abgehenden Wege werden optimal aufgenommen«. Das vergleichsweise kurze Bauwerk biete einen Mehrwert für Stadtbild und Stadtraum: »Die wichtigen Blickbeziehungen zu Tübinger Tor, Stadthalle und in den Park bleiben frei.«
Die Barrierefreiheit soll nach den Vorstellungen der Architekten durch einen »Schrägaufzug« hergestellt werden, der Rollstuhlfahrer und Kinderwagen-Schieber im Bogen über die Straße hievt. Allerdings hinterfragt die Jury die Alltagstauglichkeit und Wirtschaftlichkeit dieser »Sonderlösung« grundsätzlich.
Der mit dem Schiebe-Zwang verbundenen Komforteinbuße für Radler stehe als Nutzen gegenüber, dass so Konflikte mit Fußgängern vermieden würden. Aber, so heißt es weiter: »Die Stufenanlage entspricht nicht den Vorschriften für Treppenanlagen im öffentlichen Raum.« Unterschiedlichen Stufenmaße und »variierende Treppenauftrittsfläche« würden als unangenehm oder sogar gefährlich empfunden, erläutert das städtische Presseamt auf Nachfrage.
Während die Jury die Nachhaltigkeit durch eine einfache und beständige Konstruktion gesichert sieht, würden die Kosten für den Schrägaufzug und dessen Instandhaltung den positiven Grundansatz »ein wenig relativieren«, heißt es im Protokoll. Mit Blick auf die in der Auslobung geforderte Barrierefreiheit und die vorgeschlagene Ausblidung der Treppenanlage, sei die »faszinierende Stadtbrücke« nicht optimal konzipiert.
2. Preisträger: »Filigraner Tragwerksentwurf«
Anders als beim erstenplatzierten Entwurf sieht die Wettbewerbsjury bei der mit dem zweiten Preis bedachten Arbeit eines Kemptener Bietergemeinschaft alle Anforderungen der Auslobung hinsichtlich Fußgänger, Radfahrer und Barrierefreiheit umgesetzt. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten dieses »Mischverkehrs« ließen sich konfliktfrei realisieren, allerdings sei hierfür ein Maximum an Baukörpern in Form von Rampen, Treppen und einem Aufzug vorgesehen. Ob Letzterer tatsächlich benötigt würde, stellt die Jury infrage.
Als »leichtes, geschwungenes ›rotes Band‹« bezeichnen die Architekten ihre Stahlbetonkonstruktion, die sich auf dem Stadthallen-Vorplatz über ein geneigtes Wasserbecken schwingt – auch »Wasserschräge« genannt. Auf beiden Straßenseiten gibt es sowohl einen (kürzeren) Treppenaufgang als auch eine Rampe.
Durch die spiralförmige, über der Wasserfläche angeordnete nördliche Rampe entstehe »eine neue besondere Aufenthaltsqualität am Oskar-Kalbfell-Platz«, heißt es im Jury-Protokoll. Sie bilde ein eigenes städtebauliches Element, respektiere aber gleichzeitig die Blickbeziehungen zwischen dem Stadthallen-Vorplatz, dem Tübinger Tor und weiteren Stadträumen. Das Wasserbecken erfordere zwar einen gewissen Pflegeaufwand, biete aber gleichzeitig eine Lösung für den zur Verwahrlosung neigenden Bereich unter dem Treppenabgang.
Der filigrane Tragwerksentwurf der Brücke sei »strukturell und materiell konsequent und durchgängig umgesetzt«. Einige statische Details seien noch nachzuweisen, konstatiert die Jury, die das Farbkonzept nicht überzeuge – im Gegensatz zum Beleuchtungskonzept mit einer »indirekten Lichtführung«.
3. Preisträger: »Mit raumgreifender Eleganz«
»Die Verfasser lösen die Aufgabe mit raumgreifender Eleganz«, heißt es im Jury-Protokoll zum drittplatzierten Steg-Entwurf – oder, anders formuliert: Die Brückenkonstruktion ist elegant, nimmt aber großen Raum ein. »Das Ding reicht ja fast bis an die Echaz«, konstatierte Oberbürgermeister Thomas Keck bei der öffentlichen Präsentation der Arbeiten vorigen Dezember.
Durch ihre »große Rampenlänge und damit barrierefreier Wegeführung ohne Aufzug« bilde der Entwurf einer Stuttgarter Bietergemeinschaft »eine städtebaulich signifikante Zäsur zwischen dem dadurch gefassten Oskar-Kalbfell-Platz und der Freifläche vor dem Tübinger Tor«. Weil die Stahlkonstruktion extrem filigran sei, störe sie auch die Sichtachsen von Fußgängern und Autofahrern kaum.
Allerdings sei der Zugang zur Stadthalle »durch die fallende Rampe in der Höhe eingeschränkt«. Lobend erwähnt wird die »axial angebotene Abgangstreppe« als sinnvolle Abkürzung. Die große, elliptische Form überwinde die Distanzen »quasi schwebend«, schreibt die Jury, hinterfragt jedoch angesichts »extremer Schlankheiten« die Stabilität der Konstruktion. Es seien reduzierte Lasten angenommen worden, die nicht der Auslobung entsprechen und von der Stadt als Bauherr abgelehnt werden. Zusätzliche Stützen würden nach Ansicht des Preisgerichts dem Entwurf nicht schaden.
Die Wirtschaftlichkeit bewertet die Jury als günstig, auch würde der Verkehr während der Bauzeit nur geringfügig gestört. Fazit: »Die Arbeit stellt im Teilnehmerfeld einen formal eigenständigen Ansatz dar, der durch Eleganz, Klarheit und ambitionierten Minimalismus wohltuend auffällt, konstruktiv aber noch ergänzender Maßnahmen bedarf«.
4. Alternative: Kein Steg, ebenerdiger Übergang
Angesichts knapper Kassen spielt auch die Finanzierung eine Rolle, und der marode Stummelsteg muss noch in diesem Jahr abgebaut werden. Sodass zumindest vorübergehend an einem ebenerdigen Überweg kein Weg vorbeiführen dürfte. Und es wäre nicht das erste Provisorium, das sich am Ende als sehr dauerhaft erweist. (GEA)