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Aktuell Bildung

Was Forscher von morgen an der Hochschule Reutlingen lernen

Ralf Kemkemer und Kiriaki Athanasopulu bringen Studierenden an der Hochschule das Forschen bei

Im Labor »Projektorientiertes Lernen« setzen die Studierenden der Hochschule Reutlingen eigene Mikroforschungsprojekte um. Foto:
Im Labor »Projektorientiertes Lernen« setzen die Studierenden der Hochschule Reutlingen eigene Mikroforschungsprojekte um. Foto: Hochschule Reutlingen
Im Labor »Projektorientiertes Lernen« setzen die Studierenden der Hochschule Reutlingen eigene Mikroforschungsprojekte um. Foto: Hochschule Reutlingen

REUTLINGEN. »In der Forschung ist es wie beim Kochen: Wer eine Zwiebel schneiden kann, ist noch längst kein guter Koch, wer die Methoden kennt, noch längst kein Wissenschaftler.« Prof. Dr. Ralf Kemkemer weiß, worauf es ankommt: »Gute Forschung beginnt mit Kreativität und Ideen.« Das lernen seine Studierenden der Biomedizinischen Wissenschaften und die der Medizinisch-Technischen Informatik bei Christian Thies unter Anleitung von Kiriaki Athanasopulu im Labor Projektorientiertes Lernen. In neun Wochen durchleben sie den kompletten Ablauf eines Forschungsprojekts: Wie aus der Idee im Kopf eine wissenschaftliche Fragestellung wird, wie wissenschaftliche Methoden dabei helfen, sie zu lösen, wie man mit Fehlschlägen umgeht, einen Antrag stellt und ein Forschungsprojekt managt. Zu Beginn der Mikroforschungsprojekte gibt es einen Kreativitätsworkshop.

Eine Leber aus Spinat

Was wahrlich verrückt klingt, ist in Wahrheit gar nicht so abwegig. Blattstrukturen ähneln denen menschlicher Organe, das Netz aus kleinen Äderchen gleicht dem Netz von Kapillaren. Cornelia Kreim und ihr Team haben untersucht, ob es möglich ist, ein Spinatblatt von allen pflanzlichen Zellen zu befreien und das verbleibende Zellulosegerüst mit menschlichen Zellen neu zu besiedeln. Dann könnte so eine Blattstruktur irgendwann die Basis für ein künstliches Organ sein – ein Organ aus Naturstoff, das der Körper nicht abstößt und das immer verfügbar ist.

Den Versuchsaufbau haben sich die Studierenden selbst ausgedacht: Das Blatt wurde in einer Tensidlösung dezellularisiert und gebleicht, dann in einem Bioreaktor Marke Eigenbau mit Zellen besiedelt: »Das Tolle an dieser Laborarbeit war, dass wir kaum Vorgaben hatten und zum ersten Mal wirklich unsere eigenen Ideen umsetzen konnten.«

Projektteam: Madeleine Fandrich, Julia Hörchner, Cornelia Kreim, Julian Wegner

 

Für ein besseres Zellengefühl

In der medizinischen Diagnostik passiert viel in vitro (organischer Vorgang außerhalb eines lebenden Organismus). Zellen werden in der Petrischale gezüchtet, zum Beispiel um krankes von gesundem Gewebe zu unterscheiden. Interessant dabei: Die Zellen »spüren« ihre Umgebung und verhalten sich entsprechend. Sie wandeln mechanische Kräfte in biochemische Signale um, wachsen zum Beispiel in einer Glasschale anders als in einer weichen Umgebung.

Blattstrukturen ähneln denen  menschlicher Organismen,  das Netz aus Äderchen  gleicht dem Netz von  Kapillaren.
Blattstrukturen ähneln denen  menschlicher Organismen,  das Netz aus Äderchen  gleicht dem Netz von  Kapillaren. Foto: Oleksandra Samokhina
Blattstrukturen ähneln denen  menschlicher Organismen,  das Netz aus Äderchen  gleicht dem Netz von  Kapillaren.
Foto: Oleksandra Samokhina

Können Zellen besser in einer Umgebung gezüchtet werden, die der im menschlichen Körper ähnlicher ist? Das Team um Mayar Abdo hat untersucht, ob ein weicher Kunststoff so mit einem Hydrogel beschichtet werden kann, dass Zellen darauf wachsen. »Das war manchmal ganz schön frustrierend«, gibt Abdo zu. »Die ersten Versuche haben alle nicht geklappt und wir mussten uns jedes Mal etwas Neues überlegen.« Eine wichtige Lektion für einen angehenden Forscher.

Projektteam: Mayar Abdo, Derya Eliacik, Madlen Schellhammer, Akram Al-Rawhani, Maryam Drechsel

 

Feinstaub auf unserer Haut

Wir wissen: Abgaspartikel kommen über die Lunge in unseren Blutkreislauf und können unseren Körper schädigen. Doch wie reagiert unsere Haut auf Feinstaub? Eine Gruppe von Studierenden hat Autoabgase gefiltert und die verbleibenden blutgängigen Partikel mit selbst gezüchteten Hautzellen zusammengebracht. Nach 24 Stunden und nach acht Tagen dann der Viabilitätstest: Wie lebensfähig sind die Zellen noch? Wie toxisch sind die Partikel für unsere Haut? Das Ergebnis: Die Lebensfähigkeit der Hautzellen ist deutlich eingeschränkt. Das allein lässt natürlich noch keine Rückschlüsse auf die Reaktionen in unserem Körper zu und so ein einmaliger Test ist kein wissenschaftlich signifikantes Ergebnis. Doch der Weg dahin, die Ideenfindung, die »Antragstellung« bei den Laborleitern, der Versuchsaufbau, die Lösung von unvorhersehbaren Fragen – all das hat dem Team gezeigt, wie auch ein »echtes Forschungsprojekt« funktioniert.

Laborleiterin Kiriaki Athanasopulu ist begeistert: »Wir bereiten die Studierenden auf die projektorientierte Arbeit vor, die sie nach ihrem Studium erwartet. Es kommt weniger auf die Noten in der Vorlesung an als auf Kreativität, Frustrationstoleranz und Hartnäckigkeit. Viele blühen dabei richtig auf!«

Projektteam: Michelle Sachse, Vanessa Kieber, Monja Müller, Rahel Rauleder, Joana Koch

 

 

Biotinte selbst gemacht

Ist es möglich, Zellen in einer dreidimensionalen Umgebung zu züchten – statt auf dem flachen Untergrund einer Petrischale –, um die Bedingungen im Körper besser abzubilden? Diese Frage stellte sich das Team um Claudio Sena Graf. Anwendung einer solchen Zellkultur könnte zum Beispiel der Aufbau einer künstlichen Leber zur Untersuchung von Medikamenteneinflüssen sein.

Die größte Herausforderung in diesem Projekt war die Herstellung von Kugeln aus einer Mischung aus Gelatine, Gelatineersatz Alginat, Zellkulturmedium und Leberzellen. Eine Art Biotinte also. Die Studierenden entwarfen dazu einen Spritzpumpenaufbau– durch das Fallen aus einer Spritze in gewisser Höhe formte sich das Gemisch automatisch zu Kugeln. Doch wie groß muss der Anteil der einzelnen Bestandteile sein? Auf welcher Höhe muss die Spritze angebracht sein, damit nicht zu viel Druck entsteht, der die Zellen zerstört? Wie gelingt es, dass in jeder Kugel ausreichend Zellen sind? Die Studierenden konnten diese Fragen nur lösen, indem sie all das Wissen aus ihren Vorlesungen, all die Methoden, die sie theoretisch kannten, bündelten, und auf ein konkretes Problem anwandten. »Ich habe zum ersten Mal gemerkt, wie viel ich eigentlich weiß«, zeigt sich Sena Graf freudig überrascht.

Projektteam: Moritz Koch, Simon Reisch, Moritz Scherrenbacher, Claudio Sena Graf, Semira Bayrak

Weiterführende Informationen gibt’s im Internet. (GEA)

 

 

https://biomed-lab. reutlingen-university.de