REUTLINGEN. Gegen 21.15 Uhr zog ein kurzes, aber heftiges Unwetter mit starken Windböen über die Landkreise Reutlingen, Tübingen und den Zollernalbkreis hinweg. Von Westen her kommend entlud es sich mit orkanartigen Windböen. In Hechingen hat das Unwetter ein Todesopfer gefordert. Bei einem tragischen Unglücksfall hat ein Mann sein Leben verloren, berichtet die Polizei. Der 62-Jährige zeltete alleine an einem freistehenden Baum zwischen Hechingen und dem Stadtteil Stetten. Während des Gewitters wurde durch den Sturm ein Teil des Baumes entwurzelt und stürzte auf das Zelt, in dem sich der Mann befand. Eine Fußgängerin fand am Freitagmorgen, kurz vor 9.30 Uhr, den Leichnam und verständigte die Polizei. Zur Unterstützung war die Feuerwehr mit an die Unglücksstelle ausgerückt.
Auf dem Azur Camping in Sonnenbühl stürzte ein Baum auf ein Zelt. Dabei wurde eine Frau schwer verletzt und musste vom Rettungsdienst in eine Klink verbracht werden. Vielerorts wurden Bäume entlaubt, entastet und vor allem auf freiem Feld reihenweise geknickt, gefällt und entwurzelt. Der Sturm peitschte den Regen waagrecht vor sich her. Mancherorts gab es Hagel und Blitzschlag. Durch umstürzende Bäume und herabfallende Äste und Dachziegeln wurden zahlreiche geparkte Pkw beschädigt, berichtet die Polizei. Die Aufräumarbeiten sind am Freitag in vollem Gange. Die Polizei berichtet von Sachschäden in Höhe von mehreren hunderttausend Euro. Über die WarnApp »NINA« wurde die Bevölkerung darüber informiert. Die Feuerwehrhäuser wurden als Meldestellen für Notfälle eingerichtet.
Feuerwehr im Dauereinsatz
Die Feuerwehr rückte allein im Kreis Reutlingen zu rund 220 Einsätzen in 15 Städten und Gemeinden aus. Das teilte der gemeinsame Führungsstab der Stadt und des Landkreises Reutlingen mit. Auf der Feuerwache Reutlingen wurde der Führungsstab eingerichtet, um die überörtlichen die Einsätze zu koordinieren. Die Integrierte Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst wurde personell nachbesetzt. Besonders betroffen waren die Stadt Reutlingen, Pfullingen, Eningen unter Achalm, Sonnenbühl, Lichtenstein, Dettingen an der Erms, Bad Urach, Engstingen, Gomadingen sowie St. Johann. Im Wesentlichen handelte es sich um umgestürzte Bäume, teilweise beschädigte und abgedeckte Dächer sowie stromführende Freileitungen. Außerdem führte der Starkregen in einigen Ortschaften zu überfluteten Straßen.
In Hohenstein kam ein PKW, vermutlich durch die widrigen Wetterverhältnisse von der Straße ab. Das automatische Notrufsystem eCall löste dabei den Notruf aus.
In Pfullingen war auf der Abfahrt von der Wanne durch umgestürzte Bäume blockiert. Dadurch saßen einige Personen auf der Hochfläche fest und mussten abwarten, bis die Feuerwehr die Straße wieder freigeräumt war. Die Auf- und Abfahrt zur Wanne bleibt bis auf Weiteres gesperrt, teilte die Stadtverwaltung mit.
In Reutlingen Gönningen wurde in einem landwirtschaftlichen Gebäude Teile des Dachs abgedeckt und eindringendes Wasser gefährden die Statik des Gebäudes
Stromausfall in mehreren Orten
Zudem gab es in den Reutlinger Ortsteilen Gönningen und Bronnweiler, auf dem Rossberg, im Arbachtal in Eningen sowie in Gomadingen einen Stromausfall, berichten FairNetz und die Feuerwehr. Es kam zu mehreren Schalterfällen in unserem Umspannwerk Klosterstraße und zu einem Schalterfall in einer Umspannstation im Arbachtal in Eningen unter Achalm. »Nach diversen Umschaltungen konnte ein Großteil von Gönningen und Bronnweiler um 23:31 Uhr wieder versorgt werden«, teilte FairNetz mit. Die Stromversorgung Im Arbachtal konnte durch einen Doppelfehler, sowohl im eigenen Freileitungsnetz, als auch im Netz des vorgelagerten Netzbetreibers erst gegen 02:19 Uhr wiederhergestellt werden.
Auch in Teilen von Metzingen, Neuhausen und Glems fiel gegen 21 Uhr der Strom aus, teilten die Stadtwerke Metzingen mit. Ursache war eine Störung am Mittelspannungsnetz, welche 25 Trafostationen betroffen hat. Erste Teile konnten bereits nach einer Stunde wieder mit Strom versorgt werden. Nach rund 80 Minuten waren alle betroffenen Bereiche wieder komplett mit Strom versorgt.
Mini-Tornado in Eningen?
In den Sozialen Medien war von einem »Mini-Tornado« in Eningen die Rede. Die Schäden, die das Unwetter im Arbachtal und an der L380 zwischen Eningen und St. Johann teilweise angerichtet hat, lassen tatsächlich vermuten, dass es sich um eine Art »Mini-Tornado« gehandelt haben könnte, teilt Stefan Göppinger, Pressesprecher der Freiwilligen Feuerwehr Eningen, mit. »Auf einer Schneise vom Arbachtal, Richtung Oberer Lindenhof bis zur Eninger Weide sind die Schäden deutlich massiver, als im Ortsgebiet«, erläutert Göppinger. Zahlreiche Bäume seien entwurzelt und auch Elektroleitungen beschädigt worden. In der Nähe der Eninger Weide waren zudem mehrere Personen vorübergehend von umgestürzten Bäumen eingeschlossen. Verletzt wurde dabei glücklicherweise niemand.
Ein Dach wurde in Eningen durch einen umgestürzten Baum so stark beschädigt, dass es von den Einsatzkräften mit Planen notabgedichtet wurde. Ein weiteres Gebäude wurde ebenfalls so schwer beschädigt, dass es von einem nachgeforderten Bausachverständignr des THW als vorübergehend nicht mehr bewohnbar eingestuft wurde.
Auf Lichtensteiner Gemarkung sei vor allem die Albhochfläche mit Holzelfingen, dem Traifelberg sowie der Siedlung Göllesberg vom Unwetter betroffen gewesen, berichtet die Freiwillige Feuerwehr Lichtenstein. An einigen landwirtschaftlichen Betrieben seien durch den Sturm massive Schäden an den Dächern entstanden, der Bauhof berichtet von gefluteten technischen Anlagen sowie Schäden am Dach des Bauhofsgebäudes. Die Kalkofensteige ist wegen der Aufräumarbeiten derzeit gesperrt.
Einschränkungen im Freizeitpark Traumland
Der Freizeitpark Traumland auf der Bärenhöhle bei Sonnenbühl teilte mit, dass am Freitag aufgrund des Sturms mit Einschränkungen beim Betrieb der Attraktionen zu rechnen sei. »Wir befinden uns mitten in den Aufräumarbeiten, die Fahrgeschäfte werden nach und nach freigegeben«, teilten die Betreiber in den sozialen Medien mit. Zu welchem Zeitpunkt das sei, könne aktuell (Stand 9 Uhr) nicht gesagt werden.
Polizei rückt zu 240 Einsätzen aus
In der Zeit zwischen 20.45 Uhr und 22.30 Uhr gingen alleine in der Notrufzentrale des Polizeipräsidiums Reutlingen über 300 Anrufe ein, berichtet Polizei-Pressesprecher Michael Schaal. Es kam zu etwa 240 wetterbedingten Einsätzen. Überwiegend handelte es sich hierbei um umgestürzte Bäume, ausgehobene Schachtdeckel, herabgefallene Äste, überflutete Fahrbahnen und Keller sowie zahlreiche Verkehrsunfälle. Weiterhin kam es in einigen Orts- und Stadtgebieten zu zeitweiligen lokalen Störungen und Ausfällen des Stromnetzes. Am Flughafen Stuttgart musste der Betrieb zeitweise komplett eingestellt werden.
Leichte Verletzungen hat sich ein Autofahrer kurz nach 23 Uhr auf der Erpfinger Straße vom Gewerbepark Haid herkommend in Richtung Meidelstetten zugezogen, als er mit einem umgestürzten Baum kollidierte. Er konnte vom Rettungsdienst vor Ort versorgt werden. Ein Transport in eine Klinik war nicht notwendig. An seinem VW Golf entstand ein Schaden in Höhe von etwa 5.000 Euro.
Auf der K6769 zwischen Buttenhausen und Apfelstetten kollidierte kurz vor 21.30 Uhr ein Pkw mit einem Felsbrocken, der sich von einem Hang gelöst hatte. Hierbei entstand an dem Auto ein Schaden in Höhe von etwa 3.000 Euro.
Zwischen Sankt Johann-Upfingen und Sirchingen geriet kurz vor 21.30 Uhr ein umgestürzter Pkw-Anhänger während der Fahrt auf die Gegenfahrbahn der L 249 und kollidierte dort mit einem entgegenkommenden Pkw. Der Schaden beläuft sich auf zirka 15.000 Euro.
Auf einem Parkplatz entlang der B312 bei Engstingen stürzte gegen 21.40 Uhr der Anhänger eines geparkten Lkw durch den Wind um. Der sich zu diesem Zeitpunkt in der Kabine befindliche Fahrer blieb unverletzt. Die Schadenshöhe kann noch nicht abgeschätzt werden, dürfte sich jedoch auf mehrere tausend Euro belaufen.
Ein BMW-Fahrer kollidierte gegen 22 Uhr auf der K6758 zwischen Grabenstetten und Böhringen mit einem umgestürzten Baum und kam im Anschluss von der Fahrbahn ab. Beide Insassen blieben glücklicherweise unverletzt. Der Schaden an dem Auto wird auf 30.000 Euro geschätzt.
Talheim besonders schwer betroffen
Eine Böe warf auf der B27 bei Bodelshausen einen Kleinwagen zur Seite. Auf dem Zubringer zur B27 bei Bodelshausen stürzte kurz nach 21 Uhr auf einer Brücke ein nicht beladener, neuwertiger, 7,5 Tonnen schwerer Lkw der Marke Iveco aufgrund des starken Windes um. Der Fahrer konnte sein Fahrzeug unverletzt verlassen, berichtet die Polizei. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von zirka 100.000 Euro.
Häuserdächer wurden aber nur vereinzelt in Mitleidenschaft gezogen. Dachziegel rutschten auf Gehwege, in Willmandingen, wie auch in Talheim und Belsen. Dort wurde ein komplettes Terrassendach durch die Luft gewirbelt und die Trümmer auf hundert Meter Länge verteilt. Auch eine Bedachung auf einem Melchinger Bauernhof wurde wie Pappe weggeweht.
Der Orkan wirbelte alle erdenklichen Gegenstände durch die Luft. Straßen blieben noch nach Stunden unpassierbar. In der Genkinger und in der Talheimer Steige waren die Fahrbahnen durch Geäst und Blätter teilweise komplett bedeckt und durch seitlich hereinragende Bäume und Büsche nur im gemäßigten Tempo befahrbar.
Am Schlimmsten in dieser Region betroffen war Talheim, wo sich die Feuerwehr Straße für Straße zu den Schadensstellen vorarbeiten musste. Eine Solaranlage wurde vom Dach gerissen. Bäume stürzten auf Gebäude. Auf dem Parkplatz der Sportgaststätte wurden vier Autos von einer umgestürzten Birke beschädigt. Verletzt wurde niemand. Der Weiler Ziegelhütte war von der Außenwelt abgeschnitten, bis die Feuerwehren die Zufahrtsstraßen notdürftig geräumt hatten. In Öschingen war die Landesstraße nach Gönningen nur mit Umkurven von Baumresten befahrbar. Zur Olgahöhe musste die Mössinger Feuerwehr sich regelrecht den Berg hinauf durchsägen. Soweit in der Nacht sichtbar, wurden zahllose Obstbäume beidseits der Straße wie Strohhalme geknickt.
Die Mössinger Feuerwehr war in der Nacht in allen Stadtteilen über 60 Mal im Einsatz, um Äste und Bäume, die Straßen blockierten, und herabfallende Ziegel zu beseitigen. Das berichtet die Stadtverwaltung. Außerdem hat die Feuerwehr von umgestürzten Bäumen eingesperrte Personen auf dem Farrenberg und zwischen Belsen und Beuren befreit. Verletzt wurde bisher niemand. Die Feuerwehr und der Baubetriebshof sowie das Forst-Team sind auch am Freitag weiterhin im Einsatz.
Regionalverkehr eingeschränkt
Wegen Schäden durch ein Unwetter sind im Südwesten Regionalbahnstrecken unterbrochen. Die Bahn meldete am frühen Freitagmorgen zwei gesperrte Linien und Strecken: Betroffen seien der IRE 6 Tübingen - Sigmaringen und der RE 55 Sigmaringen - Hausen im Tal.
Kreisforstamt warnt vor Gefahren im Wald
Der Gewittersturm hat auch im Wald starke Spuren hinterlassen. Im gesamten Reutlingen Kreisgebiet, insbesondere in den Bereichen Engstingen, Sonnenbühl und St. Johann, sind auf Grund der hohen Windgeschwindigkeiten Bäume umgestürzt oder in ihrer Festigkeit gelockert worden, heißt es in einer Pressemitteilung. So können sie jederzeit noch plötzlich umstürzen. Vielerorts sind Bäume auch über Waldwege gestürzt, sodass diese unpassierbar geworden sind. Aufgrund der aktuellen Lage, empfiehlt das Kreisforstamt den Wald in den nächsten Tagen möglichst zu meiden. Das gilt ganz besonders dann, wenn es weitere starke Winde oder gar Stürme gibt. »In Ihrem eigenen Interesse bitten wir Sie, diese Warnung ernst zu nehmen«, teilt das Kreisforstamt mit. Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, werden die Waldwege schnellstmöglich kontrolliert und umgestürzte Bäume beseitigt, damit sie wieder möglichst gefahrlos genutzt werden können.
Weitere Gewitter und Unwetter im Südwesten erwartet
Nach den Unwettern in der Region bleibt es auch am Freitag im Südwesten unbeständig. Laut Vorhersage des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zieht schwül-warme Luft über den Südwesten. Im Tagesverlauf und in der Nacht zum Samstag kommt es zu Gewittern und mancherorts zu Unwettern mit schweren Sturmböen von bis zu 90 Kilometern pro Stunde, Hagel und Starkregen. Für die Landkreise Reutlingen und Tübingen liegen aktuell (Stand 8.15 Uhr) allerdings keine Unwetter-Warnungen vor. Generell erwarten die Meteorologen in der nächsten Woche immer wieder Schauer und teils auch Gewitter. Die Temperaturen gehen weiter zurück und liegen am Montag nur noch bei um die 20 Grad.
Burg Hohenzollern wegen Sturmauswirkungen geschlossen
Die Burg Hohenzollern bleibt am Freitag und Samstag, 25. und 26. August 2023, geschlossen, die Zufahrtsstraße ist oberhalb der B27-Anschlussstelle gesperrt. Grund sind die Auswirkungen des Sturmes im Wald unterhalb der Burg. Viele Bäume sind umgestürzt und haben die Zufahrtsstraße, die Waldwege und Fußwege blockiert. Zudem besteht weiterhin hohes Baumbruchrisiko. Es wird dringend empfohlen, auf keinen Fall die Wald- und Fußwege zu betreten. Am Sonntag wird die Burg voraussichtlich wieder öffnen. Besuchern wird allerdings empfohlen, weiterhin nicht zu Fuß durch den Wald nach oben zu gelangen, sondern den Pendelbus vom Parkplatz zum Burgeingang zu nutzen. Weitere Infos auf www.burg-hohenzollern.com. (GEA)