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Aktuell Urteil

Reutlinger Gericht: Mutter verantwortlich, dass Sohn kriminell wurde

Das Schöffengericht Reutlingen verurteilt eine Mutter aus dem Ermstal wegen des Vorwurfs der Fürsorgepflichtverletzung zu anderthalb Jahren. Sie sei dafür verantwortlich, dass ihr Sohn die Schule schwänzte, klaute und ins Gefängnis nach Stuttgart-Stammheim musste.

Ein Junge sitzt auf dem Boden und verbirgt seinen Kopf. Er symbolisiert den Sohn der Angeklagten, die wegen Verletzung ihrer Für
Ein Junge sitzt auf dem Boden und verbirgt seinen Kopf. Er symbolisiert den Sohn der Angeklagten, die wegen Verletzung ihrer Fürsorgepflicht zu anderthalb Jahren Haft - ausgesetzt zur Bewährung - verurteilt worden ist. Foto: Louis-Photo/adobe stock
Ein Junge sitzt auf dem Boden und verbirgt seinen Kopf. Er symbolisiert den Sohn der Angeklagten, die wegen Verletzung ihrer Fürsorgepflicht zu anderthalb Jahren Haft - ausgesetzt zur Bewährung - verurteilt worden ist.
Foto: Louis-Photo/adobe stock

ERMSTAL/REUTLINGEN. In der Urteilsbegründung des Amtsgerichts Reutlingen hat sich der Richter Eberhard Hausch am Mittwoch mit deutlichen Worten an die angeklagte Mutter gewandt: »Sie haben es zu verantworten, dass ihr Sohn und ihre Tochter aus der Spur geraten sind. Sie haben ihre Kinder verdorben. Der Begriff der Rabenmutter passt gut.« Der Richter und die Schöffen Bettina Bamberg und Florian Schultheiß verurteilten die Frau aus dem Ermstal zu einer Freiheitsstrafe von anderthalb Jahren, die drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Richter Hausch ordnete den Prozess ein: »Solch ein Tatvorwurf ist mir noch nicht untergekommen. Normalerweise ist es so, dass sich die Eltern um ihre Kinder kümmern und schauen, dass es ihnen gut geht.«

Am ersten Prozesstag hatten neun Zeugen ein Bild der Mutter gezeichnet, was diese getan und vor allem unterlassen haben soll. Die Staatsanwältin Julia Felbinger warf der Frau vor, ihre Fürsorgepflicht für ihren Sohn vernachlässigt zu haben. Sie erhob den Vorwurf, weil ihr Kind sehr oft in der Schule gefehlt hatte, sodass es drei Jahre lang in der sechsten Klasse blieb und auch danach wegen seiner Fehlzeiten nicht versetzt wurde. Der Sohn beging immer wieder Straftaten und kam letztlich als 15-Jähriger ins Gefängnis.

Mutter im Urlaub, Sohn beging Straftaten

Felbinger warf der Mutter auch vor, vor dem Sohn und dessen Freunden Kokain und Amphetamine konsumiert und den Jugendlichen andere Betäubungsmittel zugänglich gemacht zu haben. Außerdem sei sie als Alleinerziehende mit ihrer Tochter in den Urlaub gefahren, habe den damals 13-jährigen Sohn allein zu Hause gelassen, weil dessen Reisepass abgelaufen war. In der Zeit habe er Straftaten begangen. Die Mutter hatte das erst bestritten und ließ ihren Anwalt Achim Unden verlesen: »Meinen Sohn habe ich bei seinen Großeltern gelassen. Außerdem hat sein Vater jeden Tag nach ihm geschaut.« So lange, bis die Großeltern und der Sohn in den Urlaub nachgereist sind.

Am zweiten Verhandlungstag sagte der Anwalt, dass die Mutter Verantwortung übernehmen und ein Geständnis ablegen möchte - aber nicht zu den Vorwürfen, die Betäubungsmittel betreffen. »Die Frage ist aber nach der Kausalität, also ob die Probleme ihr als Rabenmutter geschuldet sind oder ob beide dazu beigetragen haben«, sagte Unden.

Nur ein Anruf in drei Wochen

Die Staatsanwältin Felbinger sah in ihrem Plädoyer den Vorwurf, dass die Mutter ihre Fürsorgepflicht verletzt hat, als erwiesen an. Die Großeltern seien, wie die Beweisaufnahme ergeben hatte, nicht in der Lage gewesen, ihren Emkel während des Urlaubs der Mutter zu kontrollieren. Der woanders lebende Vater habe von 6 bis 23 Uhr gearbeitet. »Es gab also keine Kontrolle«, sagte Felbinger. Hinzu kam nach der Telefonauswertung nur ein Anruf beim Sohn in den drei Wochen, kurz bevor er nachreisen sollte. »Sie hat sich nicht bemüht, ihren Sohn zu fragen, ob alles so funktioniert, wie es organisiert war. Das war nicht ausreichend.« Die Rektorin des Gymnasiums habe immer wieder versucht, Kontakt mit ihr wegen des Sohnes aufzunehmen. Das müsse sie bemerkt haben. »Das Problem war ihr also bekannt, aber sie hat nicht gehandelt.« Auch von der Polizei und dem Familiengericht habe es Hilfsangebote gegeben. »Sie hat die Augen verschlossen und ihr Sohn hat massive Straftaten begangen«, sagte die Staatsanwältin.

Felbinger sah eine Fürsorgeverletzung strafbaren Ausmaßes. »Dass sie gestanden hat, wirkt sich strafmildernd aus. Sie hat aber keine Reue gezeigt, sondern Ausflüchte gesucht.« Sie plädierte für eine Haftstrafe von anderthalb Jahren. »Die kann nur in besonderen Fällen zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn keine Straftaten mehr erwartet werden«, ordnete Felbinger ein. Sie wisse nicht, ob die Mutter das Unrecht ihrer Taten verstanden hat. »Ich habe wahnsinnige Bedenken und sehe keine Unrechtseinsicht.«

Anwalt will nach vorne schauen

Anwalt Unden sagte, es lasse sich »nicht vollends überprüfen, ob das Fehlverhalten der Mutter dazu beigetragen hat, dass der Sohn nicht zur Schule gegangen ist, sondern auf die Gaß und eine kriminelle Karriere eingeschlagen hat.« Es sei wichtig, nach vorne zu schauen. »Ihr Sohn hat eine gute Entwicklung in der Jugendhilfeeinrichtung eingeschlagen.« Eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten sei »harter Tobak. Sie braucht aber ein Signal.« Er plädierte für eine Bewährungsstrafe von acht oder neun Monaten.

Richter Hausch betonte in der Urteilsbegründung die ablehnende Haltung der Mutter: »Das Jugendamt, die Schule, der Erziehungsbeistand und das Familiengericht wollten Ihnen etwas Gutes tun. Sie haben aber alle mit Vorwürfen überzogen und die Polizisten drangsaliert.« Durch ihr Verhalten habe sich die Gefahr verwirklicht. »Ihr Sohn ist straffällig geworden, und Sie haben nichts dagegen unternommen.« Hausch hob auch den früheren - von der Mutter aber gekündigten - Job hervor. »Sie haben als Schulbegleiterin gearbeitet. Da wurde der Bock zum Gärtner gemacht.« Hausch setzte Bewährungsauflagen fest: »Sie dürfen keinen Umgang mit Minderjährigen haben - abgesehen von Ihrem Sohn, und müssen 250 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten, damit es Ihnen spürbar weh tut.« Halte sie sich nicht an die Auflagen, müsse sie ihre Strafe absitzen. »Anderthalb Jahre im Gefängnis können verdammt lang sein«, sagte Hausch noch. (GEA)