REUTLINGEN. Heute ist es nicht mehr anders vorstellbar. Doch vor hundert Jahren, am 30. November 1918, war es ein großer Schritt zur Gleichbehandlung, als es auch Frauen in Deutschland erlaubt war, zu wählen und gewählt zu werden. Zusammen mit Ländern wie Österreich, Dänemark und Norwegen zählte Deutschland damit immerhin zu den Vorreitern in Europa. Zu diesem Zeitpunkt gab es dieses Recht schon länger in Neuseeland, Australien und einigen Staaten der USA.
An das Jubiläum wird in Reutlingen mit zwei Veranstaltungen, organisiert von der Volkshochschule (VHS) und vom Landkreis, erinnert. »Frauenwahlrecht hier und anderswo« heißt eine Ausstellung, die am Freitag, 30. November, 18 Uhr, im VHS-Saal eröffnet wird. Mit einer Gruppe Migrantinnen hat die Kontaktstelle »Frau und Beruf Neckar-Alb« Antworten darauf gesucht, wie es um dieses Recht in anderen Ländern steht. Entstanden ist daraus eine Ausstellung mit Plakaten zum Frauenwahlrecht von Teilnehmerinnen aus 15 Herkunftsländern. Die von »4zig Design« mitgestaltete Plakatschau vergleicht die unterschiedlichen Rechte von Frauen in Politik und Wirtschaft.
So dürfen Frauen in der Schweiz erst seit 1971 wählen. In Saudi-Arabien war das sogar erstmals vor drei Jahren bei einer Kommunalwahl der Fall. Die Ausstellung in der Gartentorschule, dem zweiten großen »Standbein« der Volkshochschule in der Gartenstraße 20, zeigt bis Ende Januar weitere interessante Unterschiede beim Wahlrecht in Europa und auf anderen Kontinenten.
Die Eröffnungsveranstaltung zum Frauenwahlrecht wird begleitet von einer Diskussion mit den Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke (Grüne) und Jessica Tatti (Linke) und den Gleichstellungsbeauftragten von Stadt und Landkreis, Rahel Rose und Cornelia Eger. Es moderiert VHS-Geschäftsführer Dr. Ulrich Bausch.
Auch der Landkreis organisiert Veranstaltungen zum Thema. »100 Jahre Frauenwahlrecht – Wege zur Gleichberechtigung« heißt die Überschrift eines Vortragsabends am Montag, 3. Dezember, ab 18.30 Uhr im Großen Sitzungssaal des Landratsamts (Bismarckstraße 47). Die öffentliche Veranstaltung mit halbstündigen Impulsvorträgen wird vom Kreisarchiv und der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises organisiert und thematisiert insbesondere den Weg zum Wahlrecht und die Folgen. Dabei wird ein Bogen gespannt, der vom Frauenbild des späten Kaiserreichs bis zu den ersten Politikerinnen reicht.
Die Kulturwissenschaftlerin Kerstin Hopfensitz zieht Mode als Seismograf für gesellschaftliche Veränderungsprozesse heran. Hildegunde Haist-Huber, pensionierte Schulleiterin der Laura-Schradin-Schule, widmet sich dem Leben der berühmten Reutlingerin Laura Schradin (1878 bis 1937). Die Literaturwissenschaftlerin und Frauenforscherin Dr. Mascha Riepl-Schmidt spricht über den eigentlichen Gegenstand des Jubiläums: das Frauenwahlrecht. In der Diskussionsrunde mit den Referentinnen wird eine Brücke zwischen gestern und heute geschlagen: Was können wir aus der Vergangenheit lernen? Wie ist die Situation heute und wo herrschen noch Ungleichheiten, die auf das Frauenbild des Kaiserreichs zurückgehen? Der Landkreis lädt im Anschluss bei einem Stehempfang zu weiterem Austausch ein. (eg/GEA)