REUTLINGEN. »Eine landes- oder bundesweite Sperrdatei würde uns das Leben erleichtern«, meint Michael Rempfer, der seit 1995 das Westado Spielcenter Reutlingen leitet. »Spielsucht ist ein heikles Thema«, betont er inmitten eines Vergnügungsortes, dessen Größe und Geschichte von außen nicht sichtbar sind. Am Eingang, genau gegenüber von der Baustelle des Hochhauses Stuttgarter Tor, hängt nur eine kleine Leuchtreklame, aber wer eintritt landet in einer ziemlich weitläufigen Welt.
Auf drei Stockwerken hat die Westado Werner Staudenmeyer GmbH & Co. KG an der Straße Unter den Linden 60 Geldspiel-Automaten aufgestellt, und dafür fünf Spielhallen-Konzessionen. Eröffnet wurde 1976, und wo sich jetzt im Keller die Walzen der Automaten drehen, haben sich früher mal in der Diskothek »Fools« junge Leute amüsiert. Heute säuselt nur leise die Hintergrundmusik an einem Ort, der so garnicht nach Spielhölle aussieht.
Der Steinboden ist so makellos sauber wie alles hier, die Spielautomaten stehen bunt leuchtend und blinkend an der Wand. Vor jeder Maschine wartet ein Barhocker auf Kundschaft, und in der Mitte des Raumes gibt's eine kleine Insel mit Theke fürs Aufsichtspersonal und den Getränkeservice. Wenn etwas auffällt, dann ist es der heutzutage selten gewordene Geruch von Zigarettenrauch. »Es gibt kein Rauchverbot in Spielhallen«, erklärt Rempfer. Aber Alkohol ist verboten. Das passt zu einem insgesamt nüchternen Ambiente, das nur durch Bilder von schnellen Autos mit oder ohne leichtbekleidete Damen an den Wänden aufgelockert wird. Sportwagen oder Oldtimer sind, so ist zu hören, eine Leidenschaft von Firmengründer Werner Staudenmeyer. Wer kommt hier her?
Zahlen zum Glücksspiel: Umsätze und Spielsucht
Glücksspielanbieter haben im Jahr 2017 rund 14,2 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Der Anteil des staatlich regulierten Bereichs lag laut Jahresreport der Glücksspiel-Aufsichtsbehörden der Länder bei 78 Prozent, der Anteil des nicht-regulierten Bereichs - also des Schwarzmarkts - bei 22 Prozent. Während der regulierte Markt im Vergleich zum Vorjahr nur um 1 Prozent wuchs (157 Millionen Euro), legte der Schwarzmarkt um 24 Prozent zu (626 Millionen Euro).
Zum legalen Markt zählen die Lotterien und Sportwettangebote der 16 Landeslotteriegesellschaften, die Spielbanken, das Angebot von Geldspielgeräten in Spielhallen und Kneipen sowie staatlich konzessionierte Pferdewettenangebote. Zum nicht-regulierten Glücksspielmarkt gehören Sportwetten im Internet, Online-Casinos und Online-Poker - Glücksspielangebote, die nicht über eine deutsche Konzession, wohl aber über eine aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat verfügen. Nach deutschem Recht sind sie illegal. Ein Großteil dieser Angebote wird allerdings faktisch geduldet.
In Deutschland gelten etwa 0,3 Prozent der Menschen im Alter zwischen 16 und 70 Jahren als pathologische Glücksspieler und weitere 0,6 Prozent als wahrscheinlich problematische Spieler. Männliches Geschlecht, ein Alter bis 25 Jahre, ein niedriger Bildungsstatus und ein Migrationshintergrund erhöhen nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung das Risiko für mindestens problematisches Glücksspielverhalten. Die Zahlen basieren auf einer Untersuchung aus dem Jahr 2017. (dpa)
»Spielen ist überwiegend Männersache, und der Anteil von Gästen mit Migrationshintergrund ist überdurchschnittlich«, gibt Rempfer bereitwillig Auskunft. Mittlerweile seien aber auch »erstaunlich viele Frauen« im Spielcenter zu Besuch. »Grob geschätzt kommen 100 Spieler pro Tag«, meint der Spielhallenleiter, »meistens aus dem Arbeitermilieu und der unteren Mittelschicht«. Es gebe aber auch Gutverdienende, die gerne die Knöpfe der Automaten drücken. Das Alter? »Querbeet«, sagt Rempfer. Ebenso auch die Aufenthaltsdauer.
»Wir haben viel Laufkundschaft, die nur kurz bleibt, weil sie zur Arbeit geht oder davon kommt. Ein Stammspieler, der mit kleinem Einsatz spielt, kann aber auch stundenlang für wenig Geld bleiben«, verrät Michael Rempfer. Und wieso verbringen Reutlinger seiner Meinung nach ihre Zeit in einer Spielhalle? »Weil sie gewinnen möchten. Aber auch um Kumpel zu treffen und nicht alleine zu sein«. Was mit denen ist, die nicht gewinnen, sondern die Kontrolle über ihr Spielverhalten verlieren, ist für den Spielhallenleiter kein Tabuthema.
»Wenn wir den Eindruck haben, dass jemand dabei ist Haus und Hof zu verspielen, dann greifen wir ein«, versichert Rempfer. Auf der Theke vor ihm liegen mehrere Faltblätter zum Spielerschutz, herausgegeben von der deutschen Automatenwirtschaft, die allesamt auf die Spielerberatung des Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hinweisen, die unter der Telefonnummer 01801 372700 erreichbar ist. Es gibt auch einen Aktenordner, in dem Rempfer und seine Kollegen die Spieler gesammelt haben, die sich entweder selbst haben sperren lassen, oder ein Hausverbot haben. Rempfer vermittelt, dass hier Spielsucht ernst genommen wird.
»Das Problem bei Selbstsperren ist, dass sie immer nur für einen Standort gelten«, erklärt er. Sprich: wer sich in einer Spielhalle sperren lässt, oder gesperrt wird, könnte woanders weiterzocken. Deswegen findet er auch eine landes- oder bundesweite Sperrdatei sinnvoll: »Die würde uns das Leben erleichtern. Ich würde das gut finden«. Auf die Frage, wieso Spielhallen so einen schlechten Ruf haben, hat Michael Rempfer eine entwaffnend offene Antwort.
»Der so genannte gute Bürger hat Klischees im Kopf: Das Rotlichtmilieu, organisierte Kriminalität, Geldwäsche und Spielhallen eins sind. Aber wir sind ein seriöses Unternehmen. Wir halten uns an die Gesetze, und wollen die Leute nicht über den Tisch ziehen«, meint er zum Abschied. (GEA)
Forscher und Politiker fordern Bundesbehörde für das Glücksspiel
Glücksforscher und Politiker in Baden-Württemberg fordern eine länderübergreifende Regulierung und stärkeren Spielerschutz. »Wenn wir richtig kontrollieren und regulieren wollen, dann brauchen wir zwingend eine länderübergreifende Behörde«, sagte Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim in Stuttgart am Mittwoch. Laut dem Landtagsabgeordneten Josha Frey (Grüne) sollte diese Behörde Lizenzen vergeben und die Einhaltung der Gesetze kontrollieren.
Wissenschaftler Becker betonte außerdem die Dringlichkeit einer Sperrdatei - am besten bundesweit. »Experten sind sich einig, dass eine Sperrdatei eine ganz wichtige Präventionsmaßnahme bei Glücksspielsucht ist.« Nur in Hessen gibt es ein Sperrsystem für alle Spielhallen - die Sperre können die Spieler selbst, Angehörige oder auch die Betreiber beantragen.
Für die geplante Reform des Glücksspiel-Staatsvertrags wird eine Öffnung des Sportwettenmarktes diskutiert, welcher sich bislang in einer Grauzone befindet. Das boomende Online-Glücksspiel soll nach jetzigem Stand aber weiter verboten bleiben. (dpa)