REUTLINGEN. Selbst wenn Deutschlands Fußball-Traum vom Einzug ins Halbfinale der Europameisterschaft letztlich bitter geplatzt ist, haben Tausende beim Public Viewing in Reutlingen eine rauschende Fußball-Party erlebt. Denn spannender und dramatischer und packender als dieses Viertelfinale geht's kaum. Die 2:1 Niederlage im letzten Augenblick der 119. Minute gegen das Top-Team der Spanier schmerzt die Fans, aber sie bedeutet keinen Kratzer im glänzenden Lack eines gelungenen Abends. Auf dem Stuttgarter Spielfeld hat Deutschland bravourös alles auch für ihr Publikum auf den Plätzen der Stadt gegeben.
Beim Lokal Barfüßer genießt Luisa Klumpp das früh angepfiffene Viertelfinale gemeinsam mit schätzungsweise Tausend anderen Fans. Deutsche Fahnen sind nur wenige sichtbar, ein einsamer Spanien-Fan hat sich direkt vor der Leinwand hingesetzt. »Ist cool hier«, meint die 20-Jährige mit Bunny-Ohren in Schwarz-Rot-Gold. »Natürlich siegt Deutschland«, sagt sie noch in der ersten Halbzeit. Aber was, wenn nicht? »Wir feien trotzdem. Auf den Zusammenhalt«, meint die junge Bronnweilerin sportlich. Sie wird allen Grund zum Feiern haben.
Ein paar Bierbankreihen weiter sitzen mehrere Freunde in Trikots der Nationalmannschaft nebeneinander. Miklas Kahnert, Florian Schwitalle und Marlene Kranich sind alle so um die zwei Jahrzehnte jung und jenseits der Europameisterschaft Unterstützer des VfB Stuttgart. Aber zum Viertelfinale - Ehrensache - sind sie klar auf Seiten der Nationalelf. Auch sie lassen aber frühzeitig im Spiel echten Sportsgeist durchblicken, wollen sich auch durch eine deutsche Niederlage den Abend nicht verderben lassen.
Wie der Ball so rollt, ist der 14 Jahre jungen Finja Sautter bestens bekannt. »Ich spiele beim TSV Gomaringen auch Fußball«, sagt die Nachwuchsspielerin mit kompletter EM-Ausstattung. Mit dabei hat sie Fahne, Hut, Blumenkette sowie zwei Trikots. Auf ihrem Smartphone strahlt als Hintergrundbild ein Nationalspieler. Ihr gewünschtes Endergebnis von 3:1 für die Elf von Bundestrainer Julian Nagelsmann bleibt leider unerreichbar, aber dafür wird ihr dieses Auf und Ab des Spiels unvergesslich bleiben.
Auf dem Marktplatz sind so viele Menschen wie sonst nur selten an einem Freitagabend. Die Wirte haben Bildschirme vor die Tür gestellt, vor denen kein Sitzplatz unbesetzt bleibt. Die Freundinnen und Freunde des Kickens feiern eine ausgelassene Party, aber sie übertreiben es dabei nicht. »Keiner da, der sich die Kante gibt«, sagt Lucas Barth als Sohn von Gastronom Uwe Grauer. Die beiden blicken zufrieden auf das Publikum, »denn das Wichtigste ist: Es bringt Leben in die Stadt.« Bevorzugtes Getränk ist wie beim Barfüßer kühles, frisch gezapftes Bier. Mancher gönnt sich eine kleine Stärkung in Form von Häppchen, die bei diesem dramatischen Spielverlauf auch dringend nötig wird.
Das Tor mit rechts durch Dani Olmo in der 51. Spielminute sorgt für Entsetzen auf den Gesichtern der Fans, die sichtbar aus aller Herren Länder kommen. So auch im Zelt und drumherum beim Lokal Billy Bob's. Wie anderswo ist beim Public Viewing kein Platz mehr frei. Dann rettet Wirtz mit seinem 1:1 Deutschland in die Verlängerung. Alles sieht so aus, als ob es zum Elfmeterschießen kommt, als in der 119. Minute das 2:1 den Sieg der Spanier besiegelt. Leise schleichen viele Fans nach Hause. Der Autocorso in Schwarz-Rot-Gold fällt aus. (GEA)