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Aktuell Einsatz

Übung in Reutlingen: Das war das Szenario

Großübung mit 170 Beteiligten: Die Feuerwehr Reutlingen simuliert ein Katastrophenszenario und bekommt Hilfe von anderen Hilfsorganisationen. Wie die Übung ablief, was die einzelnen Einheiten in so einem Notfall auszeichnet und wie sie vorgehen.

Letzte Absprache vor Beginn der Suche: die Hundeführer des DRK.
Letzte Absprache vor Beginn der Suche: die Hundeführer des DRK. Foto: Jürgen Meyer
Letzte Absprache vor Beginn der Suche: die Hundeführer des DRK.
Foto: Jürgen Meyer

REUTLINGEN. Vier Personen werden vermisst. Zwei von ihnen sind erst 15 Jahre alt. Verschärfend kommt hinzu: Sie alle sind Patienten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, kurz PP.rt. Und im Wasenwald - dort werden die Vier vermutet - brennt es. Der Polizist gibt eine kurze Personenbeschreibung zu allen vier Vermissten ab: Haarfarbe, Alter, Kleidung. Die Feuerwehr- und DRK-Leute, die sich um ihn herum gruppiert haben, hören aufmerksam zu. »Wir können diese Suche nicht alleine stemmen, wir sind nur der Streifendienst, deswegen brauchen wir Hilfe«, sagt der Polizist.

Es ist ein fiktives Übungsszenario, das sich an diesem Samstagmittag neben dem Reutlinger Forsthof abspielt. Unter Federführung der Reutlinger Berufsfeuerwehr findet zum ersten Mal in der Achalmstadt eine Katastrophenübung statt, in die mehrere Hilfsorganisationen eingebunden sind. Berufsfeuerwehrmann Mathias Hoba leitet die Übung, seine Kollegen Lars Fetzer und Christian Wahl haben die Geschichte dazu entwickelt und koordinieren sie nun. »Die Übung hat keinen Bezug zu aktuellen geopolitischen Ereignissen«, betont Hoba. »Aber sie ist durchaus realitätsnah.« Mit einigen Überspitzungen, um die Beteiligten noch ein wenig mehr an ihre Grenzen zu bringen.

»Die Situation wird noch verschärft durch einen Feuerteufel«

Die Übung geht von einer »langanhaltenden Trockenperiode« aus, erklärt Feuerwehrmann Fetzer. »Die Situation wird noch verschärft durch einen Feuerteufel, der in Reutlingen mehrere Brände legt.« Um 8 Uhr treffen sich an diesem Samstagmorgen die Mitglieder des Führungsstabs der Feuerwehr in der Wache in der Hauffstraße. Einweisung in die Lage, es wird erklärt, was Sache ist. Bei einer Katastrophe dieser Art wird das Stadtgebiet in vier Bereiche aufgeteilt: Nord, Ost, Süd und West. Auch die Freiwilligen Feuerwehren sind dann eingebunden. Sie treffen sich an diesem Samstag in den vier Feuerwehrhäusern, die die Zentralen für das jeweilige Gebiet sind. Also in der Stadtmitte, in Gönningen, Oferdingen und Betzingen.

Am Vormittag geht's bei der Übung erstmal viel um Absprachen und Kommunikation. Beispielsweise mit der Stadtverwaltung. Die Pressestelle bespielt ihre verschiedenen Kanäle, um die Öffentlichkeit zu informieren: Website, Whatsapp, Instagram. Kleinere Brände werden an die Freiwilligen Feuerwehren in den verschiedenen Bereichen delegiert, erklärt Fetzer. So viele Einsatzkräfte müssen auch versorgt werden, das übernimmt das Technische Hilfswerk (THW). Und dann geht es zudem um reine Verwaltungsabläufe. Feuerwehrmann Fetzer nennt ein fiktives Beispiel: »Wir brauchen bei der angenommenen Hitze 300 Tuben Sonnencreme für die Einsatzkräfte.« Es wäre ziemlich unpraktisch, wenn sich alle Beteiligten ihren Sonnenschutz selbst kaufen müssen. Also wird geübt: Wer übernimmt das? Und woher kommt das Geld dafür?

»Übung, Probewarnung, es besteht keine Gefahr«

Um 10 Uhr bekommen dann auch Außenstehende und Unbeteiligte unweigerlich mit, dass heute eine Übung stattfindet. Dann heulen nämlich alle fünf Sirenen im Stadtgebiet für ein paar Minuten auf. In Ohmenhausen und Bronnweiler fahren Feuerwehrautos mit mobilen Lautsprechanlagen durch die Straßen. Die Warn-Apps Nina und Katwarn schlagen an und melden: »Übung, Probewarnung, es besteht keine Gefahr.« Auf städtischen Werbetafeln, dem Parkleitsystem und den Tafeln an den Bushaltestellen ist zudem zu lesen, dass heute eine Großübung der Feuerwehr stattfindet. Es werden also sämtliche Kanäle bespielt, die auch im echten Katastrophenfall zum Einsatz kommen.

Vormittags werden Kommunikation und Organisation geprobt: Mitglieder des Führungsstabs in der Feuerwache in der Hauffstraße.
Vormittags werden Kommunikation und Organisation geprobt: Mitglieder des Führungsstabs in der Feuerwache in der Hauffstraße. Foto: Stadt Reutlingen
Vormittags werden Kommunikation und Organisation geprobt: Mitglieder des Führungsstabs in der Feuerwache in der Hauffstraße.
Foto: Stadt Reutlingen

Um 13.30 Uhr wird's dann endlich praktisch. Das Übungsszenario erreicht seinen Höhepunkt. Die Polizei, die eigentlich für die Suche von vermissten Personen zuständig ist, meldet vier Personen als »abgängig«, wie es im Fachjargon heißt. Sie werden im Wasenwald vermutet, der leider zudem brennt. Es sind nicht genügend Polizisten für die Suche verfügbar, also wird das Lagezentrum der Feuerwehr informiert.

Lagebesprechung am Forsthof: Polizei, die Einsatzleiter von Feuerwehr und DRK, dazu Vertreter der Stadt Reutlingen.
Lagebesprechung am Forsthof: Polizei, die Einsatzleiter von Feuerwehr und DRK, dazu Vertreter der Stadt Reutlingen. Foto: Jürgen Meyer
Lagebesprechung am Forsthof: Polizei, die Einsatzleiter von Feuerwehr und DRK, dazu Vertreter der Stadt Reutlingen.
Foto: Jürgen Meyer

Eine auffällige Fahrzeugkolonne, bestehend aus vielen Einsatzfahrzeugen, schlängelt sich durch den Wasenwald zum Forsthof. Neben der Reutlinger Berufsfeuerwehr sind auch die Werkfeuerwehr von Bosch und das Deutsche Rote Kreuz (DRK) vor Ort. Gesamteinsatzleiter Torsten Lutz erklärt, warum: »Die Reutlinger Feuerwehr hat keine Drohnen - deshalb benötigen wir Hilfe von der Werkfeuerwehr.« Deren Drohnen werden also gleich die Freiflächen absuchen, die Rettungshunde des DRK das Waldgebiet. Außerdem wären beim angenommenen Katastrophenszenario schon viele Feuerwehrleute mit Löscharbeiten beschäftigt - man habe also auch schlichtweg zu wenig Personal, um alles alleine zu stemmen, erklärt Einsatzleiter Lutz.

»Über die Sekundäralarmierung können wir auch Hunde aus Nachbarlandkreisen anfordern«

Die sechs Männer der Drohneneinheit der Werkfeuerwehr bereiten sich nun auf ihren Einsatz vor. Die Drohnen werden ausgepackt, das potenzielle Aufenthaltsgebiet der vermissten Personen wird nochmal analysiert, die Bildschirme, auf welche die Drohenbilder übertragen werden, werden ausgeklappt. Man verfügt über drei Drohnen, erklärt Daniel Braun, der stellvertretende Kommandant der Werkfeuerwehr. Dass die städtische Wehr die Hilfe dieser Einheit anfordert, ist auch bei normalen Großbränden üblich. Aus der Luft bekommen die Einsatzkräfte am Boden nochmal einen ganz anderen Überblick über die Lage. »Wenn jetzt auch noch ein Polizeihubschrauber mitfliegen würde, müssten wir uns noch enger abstimmen«, erklärt Braun. Doch das ist beim fiktiven Szenario an diesem Samstag nicht der Fall.

Zwei Mitglieder der Drohneneinheit der Werkfeuerwehr Bosch werfen einen ersten Blick auf das Suchgebiet auf dem Display.
Zwei Mitglieder der Drohneneinheit der Werkfeuerwehr Bosch werfen einen ersten Blick auf das Suchgebiet auf dem Display. Foto: Jürgen Meyer
Zwei Mitglieder der Drohneneinheit der Werkfeuerwehr Bosch werfen einen ersten Blick auf das Suchgebiet auf dem Display.
Foto: Jürgen Meyer

Ein paar Meter entfernt bereitet Michael Gulde, der stellvertretende Kreisbereitschaftsleiter des DRK, den Einsatz seiner Leute vor. Auf einer digitalen Karte hat er den Suchradius umkreist. Diesen habe man anhand der Mobiltelefondaten der Vermissten festgelegt. »Wir haben nun ein erstes Suchgebiet gesteckt, das wir mit den Hunden absuchen werden«, erklärt er. Sechs Hunde stehen ihm an diesem Samstag zur Verfügung - wahrscheinlich zu wenig für die riesige Fläche. »Über die Sekundäralarmierung können wir auch noch Hunde aus sämtlichen benachbarten Landkreisen anfordern«, sagt er. Es gibt drei unterschiedliche Spezialisierungen bei den DRK-Hunden: Mantrailer, die anhand von »Spurenträgern« den Geruch einer bestimmten Person erschnüffeln. Flächenhunde, die nach menschlichem Geruch generell suchen. Und Trümmerhunde, die nach Erdbeben mit eingestürzten Gebäuden helfen. An diesem Samstag kommen Flächenhunde zum Einsatz.

»Die haben alle einen GPS-Tracker am Halsband«

In einem DRK-Wagen sitzt Timo Eberhard, Fachberater Rettungshund. Vor ihm ein Bildschirm, auf dem er die Standorte der sechs Hunde sieht. »Die haben alle einen GPS-Tracker am Halsband«, sagt er. Er kann ihre Bewegungen live verfolgen. Die Hunde werden nun per »Parzellensuche« nach den vier Vermissten suchen. Heißt: Die Fläche wurde in kleine Teile untergliedert, die jeweils von zwei Hunden plus Haltern durchkämmt werden. Ein Hund kann in 20 Minuten 45.000 Quadratmeter durchsuchen, erklärt Eberhard. Das sei Prüfungsbedingung. »Das Wetter ist sehr anstrengend für die Hunde«, sagt DRK-Pressesprecher Jürgen Simon. Es ist sehr warm für einen Apriltag - und die Hunde haben noch ihr Winterfell. Rund 20 Hunde sind aktuell in der Staffel des Reutlinger DRK-Kreisverbandes. »Hundehalter müssen zweimal pro Woche zum Training kommen«, sagt Simon.

Los geht die Suche: Hundestaffel des DRK.
Los geht die Suche: Hundestaffel des DRK. Foto: Jürgen Meyer
Los geht die Suche: Hundestaffel des DRK.
Foto: Jürgen Meyer

Von Joggern, Radfahrern und Spaziergängern beobachtet, schwärmen also die sechs Rettungshunde aus, gesucht wird, wenn möglich, immer gegen die Windrichtung. Am Ende werden die DRK-Hunde zwei Vermisste finden, die Drohnenstaffel spürt die anderen beiden auf. Ein erfolgreicher, aber anstrengender Übungstag, sagt Feuerwehrmann Hoba. Und gibt einen Ausblick: »Eine Übung in dieser Dimension soll nun regelmäßig stattfinden.« (GEA)