REUTLINGEN. Die gute Nachricht, die der städtische Controller Roland Wintzen dem Gemeinderat gestern Abend in der Stadthalle überbrachte: Das um 8,6 Prozent erhöhte Defizit, das die Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft (RSV) im Coronajahr 2020 verzeichnete, wird zu 95 Prozent durch ebenfalls erhöhte Zuschüsse aus dem Modellstadtprogramm für nachhaltige Mobilität des Bundes (Stichwort: Lead City) ausgeglichen.
Und bei der bewilligten Verlängerung bis 30. Juni 2021 sind die von der Stadtverwaltung angemeldeten Mehraufwendungen bereits berücksichtigt. »Das hilft uns enorm und verschafft uns Zeit«, sagte Wintzen hinsichtlich der Bemühungen, die in finanzielle Schieflage geratene RSV zu »restrukturieren«, wie Interims-Geschäftsführer Wolfgang Tomek es nennt.
Weniger positiv fiel die Bewertung der Liquidität der Stadtverkehrsgesellschaft aus: Bis 2029 – so lange ist die RSV mit der Umsetzung des neuen Stadtbuskonzepts vertraglich betraut – könnten sich Schulden in der Größenordnung von 48 Millionen Euro ansammeln, wenn nicht gegengesteuert würde, erläuterte Jens Balcerek, Geschäftsführer der Stadtwerke (SWR), dem Gemeinderat. Die im Businessplan festgelegte Elektrifizierung der Busflotte einschließlich Ladeinfrastruktur erfordere weitere Investitionen in der Höhe von 38 Millionen Euro – womit der Gesamtbedarf an liquiden Mitteln bis 2029 auf rund 86 Millionen Euro steigen würde.
Kapital zuführen
Um eine möglicherweise drohende Insolvenz der RSV abzuwenden, so Balcerek, müssten alle Gesellschafter Kapital zuführen: Ein einseitiger und alleiniger Ausgleich nur durch die Stadt Reutlingen (Stadtwerke) und die »mitbedienten Städte und Gemeinden« sei nicht denkbar, sagte der SWR-Geschäftsführer mit Blick auf die privaten Gesellschafter der Dachgesellschaft RSV KG. Wenn sich mit den privaten Kommanditisten keine Einigung erzielen lasse, so auch Oberbürgermeister Thomas Keck, sei die Stadtverkehrsgesellschaft in ihrer derzeitigen Form nicht zu retten. Es könne nicht sein, dass sie auf Kosten der Stadt »Gewinne realisieren«.
»Wir sind in sehr enger Abstimmung«, kommentierte der städtische Verkehrsplaner Stefan Dvorak die von RSV-Geschäftsführer Wolfgang Tomek vorgestellten Überlegungen zur Kostenreduzierung, und bekräftigte, dass das Stadtbusnetz in seiner Grundkonzeption bestehen bleibe. Die Taktreduzierung in Schwachlastzeiten und mögliche Abstriche bei den Linien seien »zeitlich auf die Corona-Pandemie befristet«.
FWV-Stadtrat Jürgen Fuchs dankte den Vortragenden für die »offene, schonungslose Darstellung der Problemlage« und lobte die »guten Vorschläge« zu deren Lösung. Jedenfalls wolle die FWV, dass das gestartete, moderne Stadtbusnetz weiterbetrieben werde, wenn auch mit Einschränkungen. »Die Busse müssen weiterfahren«, befand auch Silke Bayer (SPD), die Einsparungen sollten sich aufs notwendige Maß beschränken. Und die SPD erwarte eine »intensive Beteiligung der Arbeitnehmervertretung« bei den Sanierungsbemühungen. »Wir haben immer gedacht, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt«, zeigte sich AfD-Rat Hansjörg Schrade verwundert über das Festhalten der SPD an der Vorstellung, dass das Angebot mit der Zeit zu mehr Nachfrage führe. Ob die fehlenden Millionen denn nicht genug seien, um »einen Lerneffekt bei der SPD« zu bewirken?
»Wir wollen weiterhin einen Busverkehr, der einer Großstadt würdig ist«, postulierte Holger Bergmann für die Grünen, aber es gebe Potenzial, ihn effizienter zu machen. Deshalb sei es wichtig, »in erster Linie mit dem Betriebsrat zu sprechen«. Andreas vom Scheidt (CDU) riet, schnell zu klären, »wie es mit dem Unternehmen weitergeht« und wie es mit der Solidarität der Gesellschafter aussehe – um notfalls auf die Bremse treten zu können.
So weitermachen?
Mit oder ohne private Gesellschafter gelte es, den Weg aus der Krise zu finden, meinte Hagen Kluck (FDP): »Wir müssen die Durststrecke überwinden.« Professor Dr. Dr. h.c. Jürgen Straub (WiR) bezeichnete die Lage der RSV als erschreckend: »Wir müssen schon überlegen, ob wir mit dieser Gesellschafter-Konstruktion weitermachen wollen«. (GEA)