KREIS REUTLINGEN. Wer sich in die überfüllten Abteile viel zu kurzer Pendlerzüge zwängen muss, angesichts verdreckter Toiletten mit dem Ekel kämpft oder an zugigen Bahnsteigen vergebens auf ein Fortkommen hofft, der weiß: Eisenbahnromantik war gestern. Denn Pünktlichkeit und Service scheinen bei der Bahn mittlerweile sehr kleingeschrieben zu werden. So jedenfalls die Erfahrung vieler GEA-Leser, die dem Aufruf der Lokalredaktion gefolgt sind und sich binnen der zurückliegenden Tage mit Erfahrungsberichten am Leserforum beteiligt haben.
Im Folgenden noch einige Beiträge, die den Abschluss Themenkomplexes bilden. Denn mit den hier und heute abgedruckten Zuschriften endet die Aktion. Wer sich trotzdem noch äußern oder Stellung zu den bislang publizierten Statements beziehen möchte, kann dies ab sofort und wie üblich in Form eines Leserbriefes tun (leserbriefe@gea.de).
Klaus Thrien, Reutlingen: Bahn ist derzeit keine Alternative zum Auto
»Ich habe«, schreibt Klaus Thrien, »seit Juni 2023 ein Deutschlandticket und fahre mit dem Reutlinger Stadtverkehr und der Bahn (RB63) vom Ringelbachgebiet nach Tübingen Lustnau zur Arbeit. Letztes Jahr war die Umsteigezeit an 1 bis 2 Tagen pro Woche zu knapp, das klappt mit dem neuen Busfahrplan und geänderter Line 6 jetzt aber problemlos.« Dafür gibt’s massive Probleme an anderer Stelle.
»Seit Januar«, so Thrien weiter, »herrscht bei der RB63 das reine Chaos. Montags und dienstags fielen drei von vier Zügen, mit denen ich fahren wollte, aus. Die anderen Tage der Woche bin ich wegen Lokführer-Streiks vorsichtshalber mit dem Auto gefahren.« Dann der Dienstag, 23. Januar: »Der RB63 steht morgens auf dem Gleis, ohne Licht, die Türen verriegelt. Auf der Anzeige prangt: Zug fällt aus. Er fährt dennoch pünktlich Richtung Tübingen los, aber ohne Fahrgäste!!! Nachfolgender Zug, 30 Minuten später. Er fällt aus. Deshalb mit dem nächsten – völlig überfülltem – MEX weiter, und zwar planmäßig 15 Minuten später (…) von Tübingen mit dem Gegenzug RB63 zurück nach Lustnau? Zug fällt aus. Abends fuhren RB63 nur im Zwei-Stunden-Takt. Für mich war damit das Maß voll und ich habe mein Deutschlandticket gekündigt. Derzeit ist die Bahn auf der Strecke zwischen Reutlingen und Tübingen keine Alternative zum Auto.«
Walter Neumeister, Reutlingen: Acht Punkte auf der
Bis zu seinem Eintritt ins Rentenalter war Walter Neumeister überzeugter Bahnfahrer. »15 Jahre lang« war er von Reutlingen nach Tübingen und umgekehrt unterwegs und »zu 90 Prozent war damals noch die Pünktlichkeit der Züge vorhanden«. Auch jetzt hat der Senior wenig zu klagen. Wobei es zwischenzeitlich keine Kurzstrecken mehr sind, die er auf der Schiene zurücklegt, sondern Bahn-Fernreisen, die in aller Regel rund laufen. »Natürlich sind des Öfteren die WCs verschmutzt, passt die Wagenreihung der 1. Klasse nicht immer und kommt es vor, dass sich die Einfahrt des Zuges auf dem Gleisplan plötzlich verändert …« Jedoch: »Ich konnte durch Beschwerden an der richtigen Stelle nur Vorteile in Form einer Gutschrift einholen. Insgesamt gesehen kann ich bei einer Zufriedenheitsskala von 1 bis 10 auf die 8 tippen.«
Was Walter Neumeister am Zugbetrieb am meisten stört: »dass ein Oberlokführer aus Sachsen es tatsächlich immer wieder schafft, den gesamten Bahnverkehr lahmzulegen.«
Sabine Pfeiffer, Reutlingen: Schmerzlich vermisst - Die Regionalbahn
»Mein Opa war Bahnbeamter und ich bin immer gern mit dem Zug gefahren. Seit über 30 Jahren pendle ich deshalb mit der Bahn zu meinem Arbeitsplatz im Raum Esslingen/Stuttgart«, lässt Sabine Pfeiffer wissen und erklärt, dass die ersten 15 Jahre auf der Schiene gute Jahre waren. »Doch inzwischen muss ich aufgrund von Verspätungen oder Zugausfällen ein oder zwei Züge früher fahren, um pünktlich zur Arbeit zu kommen. Ärgerlich ist zudem, dass morgens weder der Regionalexpress um 6.01 Uhr, noch der um 6.35 Uhr in Esslingen hält und man in Plochingen umsteigen muss.«
Früher, so Pfeiffer weiter, »gab es wenigstens noch die Regionalbahn am Bahnknoten Plochingen, die beispielsweise bei Zugausfällen von oder nach Reutlingen eine prima Alternative bot; doch seit die Regionalbahn nur noch bis Wendlingen beziehungsweise mittlerweile sogar nur noch über Metzingen fährt, gibt es diese Möglichkeit auch nicht mehr. Mein Fazit: Trotz Klimakrise kann ich heute leider keinem Berufspendler mehr zum Bahnfahren raten!«
Susanne Götz, Metzingen: Überstunden auf der Schiene abbauen
Seit 43 Jahren ist Susanne Götz als Pendlerin zwischen Metzingen und Stuttgart auf der Schiene unterwegs und erklärt: »Jeden Tag steht man vor einer neuen Herausforderung. Man braucht nicht Jochen Schweizer buchen, man hat sein Abenteuer täglich mit der Bahn.« Züge, hat sie festgestellt, »sind unpünktlich, weshalb man zu spät zur Arbeit oder abends zu spät nach Hause kommt und Termine absagen muss, obwohl man schon einen Zug früher gefahren ist.«
»Ich habe schon viele Überstunden unfreiwillig in der Bahn abgebaut.« Und zwar oft genug unter lausigen Bedingungen. »Es werden zu kurze Züge eingesetzt, die dann völlig überfüllt sind und es häufig zu Türstörungen kommt, weil sich zu viele Menschen in den Abteilen befinden. An machen Haltestellen können gar nicht alle zusteigen, weil der Zug bereits überfüllt ist.« Hinzu komme, dass »an den neuen Zügen oft die Türen kaputt sind und es sich sehr schwierig gestaltet, am gewünschten Halt auszusteigen – weil man sich durch Menschenmassen zwängen muss. Wenn dann noch Kinderwagen und Fahrräder an Bord sind ist das Chaos perfekt. Solche schlimmen Zustände sind nicht kundenfreundlich.«
Zwar habe sich Götz über derlei Widrigkeiten schon mehrfach beschwert, jedoch: »Es kommt nicht Mal eine Antwort zurück.« Berechtigte Fragen der Leserin: »Warum können keine längeren Züge zur Verfügung gestellt werden, obwohl man an zuständiger Stelle genau weiß, dass die Strecke Tübingen – Stuttgart sehr viele Fahrgäste hat?«
Lutz Deuschle, Reutlingen: Aufzug ein halbes Jahr außer Betrieb
Lutz Deuschle pendelt regelmäßig zwischen Reutlingen und Stuttgart. Als »behinderter Fahrgast mit Schwerbehindertenausweis« nutzt der Reutlinger ein Dreirad, um zum Bahnhof zu gelangen. Dieses Gefährt führt er während der Zugfahrt mit sich – wenn es ihm denn gelingt, zu den Gleisen vorzustoßen: weil der Aufzug an Bahnsteig 2 sehr defektanfällig und deshalb häufig außer Betrieb ist. Jüngst hat der Lift, so Deuschle, »fast ein halbes Jahr nicht funktioniert«, was den Mann »schon aufgeregt« hat. Es komme auch öfters mal vor, »dass nur ein Zugteil nach Stuttgart (oder zurück) fährt und so voll ist, dass ich nicht mitgenommen werde, wegen Überfüllung«.
Regina Döttinger, Pfullingen: Gott sei Dank nicht drauf angewiesen
»Ich bin«, teilt Regina Döttinger mit, »Gott sei Dank nicht auf den Zugverkehr angewiesen und wähle für berufliche oder private Reisen inzwischen lieber das Auto.« Viele tausend zurückgelegte Bahnkilometer mit oft negativen Erfahrungen haben die Pfullingerin zu diesem Umstieg bewegt.
»Sehr schade«, findet sie diesen unfreiwilligen Wechsel, zu dem es höchst wahrscheinlich niemals gekommen wäre, »wenn eine Bahnreise denn tatsächlich einmal reibungslos funktionieren würde«.
Franz Kleinfelder, Metzingen: Die Bahn - eine Servicewüste
Nach über 35 Jahren als Pendler zwischen Metzingen und Tübingen ist Franz Kleinfelder froh, »in Kürze nicht mehr auf die Bahn angewiesen zu sein«. Denn die hat sich ihm als »Servicewüste« dargestellt. Im Folgenden seine keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Auflistung diverser Widrig- und Peinlichkeiten: »ständige Verspätungen (es fährt nahezu kein Zug mehr pünktlich),häufige Streckensperrungen mit Schienenersatzverkehr, bei Schienenersatzverkehr schlechte bis keine Kennzeichnung der Haltestellen/Abfahrtsorte der Busse oder der Busse selbst, Busfahrer in Ersatzverkehr ohne Deutschkenntnisse, alte und verschmutzte Züge, Waggons ohne Möglichkeit ein Fenster zu öffnen beziehungsweise ohne Klimaanlage (an heißen Sommertagen eine Zumutung), keine Durchsagen am Bahnsteig oder im Zug zur (rechtzeitigen) Information der Fahrgäste, verwirrende und sich häufig ändernde Angaben zu Abfahrtszeiten, während des Berufsverkehrs nur verkürzte Züge in die man gepfercht wird, durch Räder und E-Scooter blockierte Sitzmöglichkeiten und Ausgänge.«
Jasmin Thomys, Reutlingen: Momentaufnahme, die hoffen lässt
»Früher«, verrät Jasmin Thomys, »vor meiner Zeit als Mama und Hausfrau, war ich viel mehr beruflich, schulisch und privat mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. In Relation zu dem zurückgelegten Kilometern sind Beanstandungen wie Verspätungen, kaputte Türen oder dreckige Toiletten sehr gering.«
Allerdings: »Seit ich Kinder habe (9 Monate und knapp 4 Jahre jung), sieht man das Bahnfahren nochmals mehr als Abenteuer an. Der Weg ist das Ziel. Und dennoch möchte ich ein Positivbeispiel anbringen: November 2023 von Reutlingen über Metzingen nach Bad Urach und zurück. Keine Verspätung. Toilette zugänglich, funktional und sauber, genug Platz für den Croozer, hilfsbereite Menschen beim Ein- und Ausstieg. Es ist nur eine Momentaufnahme, die jedoch zeigt, dass es die Bahn kann. Das macht Hoffnung für eine (noch) bessere Zukunft.« (GEA)