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Aktuell Leserforum

Reutlinger Bahnkunden: Viel Tadel und wenig Lob

Bahnfahrer aus Reutlingen und der Region legen nach: Zahlreiche negative Erfahrungsberichte im Leserforum.

Eisenbahnromantik war gestern. Heute ist es vor allem Eisenbahnfrust, der Fahrgäste in Reutlingen und der Region drückt.
Eisenbahnromantik war gestern. Heute ist es vor allem Eisenbahnfrust, der Fahrgäste in Reutlingen und der Region drückt. Foto: Sina Schuldt/dpa
Eisenbahnromantik war gestern. Heute ist es vor allem Eisenbahnfrust, der Fahrgäste in Reutlingen und der Region drückt.
Foto: Sina Schuldt/dpa

KREIS REUTLINGEN. Die Hoffnung, sagt der Volksmund, stirbt zuletzt. Dieses Sprichwort haben sich offensichtlich auch Bahnfahrer aus Reutlingen und der Region auf die Fahnen geschrieben. Denn obschon sie fast durch die Bank weg habhafte Unzulänglichkeiten im und mit dem Schienenverkehr beklagen, halten sie der Bahn tapfer die Treue. Und das keineswegs nur deshalb, weil sie, beispielsweise mangels Auto, auf Züge angewiesen wären, sondern weil es sich bei vielen von ihnen um umweltbewusste Überzeugungstäter handelt.

Bahnfahren, so die einhellige Meinung im GEA-Leserforum, sei prinzipiell eine gute Sache. Und eine echte Alternative zum Heilig’s Blechle. Dies freilich nur dann, wenn’s auf der Schiene rund läuft. Was indes oft genug nicht der Fall ist, wie die Forums-Beiträge nahelegen, die in weiten Teilen von gravierenden Mängeln künden und der Bahn sogar ihre Zukunftsfähigkeit absprechen.

Immer wieder Schauplatz von Streiks und Zugverspätungen: der Reutlinger Hauptbahnhof.
Immer wieder Schauplatz von Streiks und Zugverspätungen: der Reutlinger Hauptbahnhof. Foto: Frank Pieth
Immer wieder Schauplatz von Streiks und Zugverspätungen: der Reutlinger Hauptbahnhof.
Foto: Frank Pieth

Sonja Kemmler, Reutlingen: Bahnfahren als Geduldsprobe

»Als Berufspendler von Reutlingen nach Tübingen-Lustnau fahre ich viel Bahn und bin eigentlich auch schneller als mit dem Auto«, schreibt Sonja Kemmler. Allerdings mit Betonung auf »eigentlich«. Müsse man als Bahnfahrer doch selbst auf dieser kurzen Strecke »viel Geduld aufbringen und flexibel sein«.

»Wochenlanger Zugausfall wie im Sommer 2023, abends und nachts fährt gar kein Zug und immer wieder spontane Ausfälle oder Verspätungen und nicht zuletzt Bahnstreiks stellen meine Geduld auf eine harte Probe. Ich reise viel, und ich muss sagen, nirgendwo habe ich bis jetzt so eine schlechte Infrastruktur erlebt wie bei uns in Deutschland.«

In Asien hat Sonja Kemmler festgestellt, »gibt es schon längt führerloses Fahren, und die Züge verkehren sekundengenau. Dort gibt es keine fehlenden Fahrdienstleister, keinen Streik, der ein ganzes Land fast lahmlegt, und keine Ausfälle. In den USA ist der Servicegedanke so ausgeprägt, dass es keine überfüllten Züge gibt, dafür aber Bahnhofshallen, in denen man sich gut und gerne 30 Minuten aufhält und überall saubere Toiletten und Trinkwasserspender vorfindet. Deutschland ist schon seit vielen Jahren im internationalen Vergleich stark abgefallen und nicht zukunftsfähig aufgestellt. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf und fahre weiter mit dem Zug. Falls einer fährt.«

Künftig im Leserbriefteil

Bis zum gestrigen Sonntag gab es für GEA-Leser Gelegenheit, ihre Erfahrungen mit der Bahn zu schildern und das Leserforum zu bereichern. Noch haben nicht alle Beiträge den Weg ins Blatt gefunden. Weshalb ein weiterer »Nachschlag« folgen wird. Wer sich jenseits des Aktionszeitraums zum Thema Bahn äußern möchte, kann dies gerne tun: allerdings ab sofort ausschließlich auf den Leserbriefseiten. (ekü)
leserbriefe@gea.de

Dirk Schlauch, Reutlingen: Wahrlich kein Ruhmesblatt

»Früher«, entsinnt sich Dirk Schlauch an bessere Zeiten für Berufspendler, »ging man zum Bahnhof, stieg in den Zug und fuhr zur Arbeit. Meist hat das geklappt. Heute muss man zuerst wissen, ob überhaupt Züge verkehren – in der Summe deutlich mehr als einen Monat wird die Strecke in den letzten Jahren komplett gesperrt. Nahezu zwei Monate wird der Fahrplan ausgedünnt, aufgrund von Arbeiten am S-Bahn-Netz Stuttgart oder am digitalen Knoten. Dann folgen Streiks ...«

Doch selbst wenn weder Baustellen noch Tarifkonflikte sämtliche Fahrpläne ad absurdum führen, kann man sich, wie der Reutlinger weiß, auf den Schienenverkehr nicht verlassen. Weshalb der Pendler »gleich nach dem Aufstehen zum Smartphone greift und prüft, wann und wie denn heute die Züge fahren. Um etwas später am Bahnhof festzustellen, dass die Infos der DB-App wieder mal nicht aktuell waren und der Zug doch wieder 30 Minuten zu spät kommt.« Wobei es, so Schlauchs ernüchternde Erfahrung, »in dreißig Prozent der Fälle« viel zu kurze Züge sind, die in solchen Fällen eintreffen – »mit der Konsequenz, dass schon in Reutlingen drangvolle Enge herrscht und zwei Stationen weiter Passagiere teilweise nicht mehr in den Zug steigen können. Kurzum: Das Chaos war noch nie so groß auf dieser Strecke wie aktuell.«

Dabei sei die »Performance« auch in der Vergangenheit »wahrlich kein Ruhmesblatt« gewesen. »Vor etwa vier Jahren, als das Chaos mal wieder kulminierte, wurde vom Verkehrsminister Winfried Hermann eine Taskforce ins Leben gerufen (...) – Schaffung von Redundanzen durch Bereitstellung zusätzlicher Wagen, Loks, Personalvorhaltung, Entzerrung der Fahrpläne und so weiter. Doch nichts davon wurde umgesetzt, die Pläne sind ganz schnell in der Schublade verschwunden. Denn Verbesserung kostet Geld«, das die Politik nicht auszugeben bereits sei. »Zum Vergleich: Die Pro-Kopf-Investitionen des Staates in die Schienen-Infrastruktur betrugen 2022 in Deutschland lediglich 114 Euro. Damit stehen wir in Europa an drittletzter Stelle. In Österreich werden 319 Euro investiert, in Luxemburg gar 575 Euro (Quelle: Allianz pro Schiene).«

Manchmal sind es auch Wetterkapriolen, die zu Zugausfällen führen.
Manchmal sind es auch Wetterkapriolen, die zu Zugausfällen führen. Foto: Marijan Murat/dpa
Manchmal sind es auch Wetterkapriolen, die zu Zugausfällen führen.
Foto: Marijan Murat/dpa

Rüdiger Weckmann, Reutlingen: Erzwungener Umstieg - Straße statt Schiene

Rüdiger Weckmann bezeichnet sich als »Gelegenheits-Bahnkunde«, der unlängst streikbedingt von der Schiene aufs Taxi umsteigen musste und Kommunikationsstörungen bemängelt. Am 11. Januar war’s, als er zu einer Behandlung ins Uni-Klinikum Tübingen musste. Zwar war am Vortag ein Warnstreik angekündigt worden – einige Züge sollten aber dennoch nach Fahrplan rollen.

»Meine Buchung bei Carsharing machte ich deshalb rückgängig.« Was sich indes als Fehler erwies. Denn: »Kurz vor der planmäßigen Abfahrt erfuhren wir zahlreich im Reutlinger Bahnhof Wartenden: ›Der Zug fällt wegen Gleisarbeiten aus‹. Dafür freute sich ein Taxifahrer über einen Gast, der kurzfristig das Verkehrsmittel wechselte.«

Zweieinhalb Stunden später: ein Déjà-vu. »Bei meinem Versuch die Rückfahrt anzutreten wurde im rappelvollen Tübinger Bahnhof kurz vor der planmäßigen Abfahrt verkündet, dass der Zug ersatzlos gestrichen sei. Im enttäuschten Bahnpublikum auch ein junger Mann, mit dem ich in Reutlingen vergeblich auf den Zug nach Tübingen gewartet hatte. Als Patient hatte ich immerhin das Privileg, auf Kosten der AOK erneut ein Taxi nehmen zu dürfen ... Bei mir verfestigt sich der Eindruck, dass die Bahnpolitik systematisch ihre Kunden von der umweltfreundlichen Bahn auf das Auto vertreiben will.«

Gerd Peter Herter, Mössingen: Gute Erfahrungen mit der Bahn

»Ich mache gute Erfahrungen mit der Bahn«, teil Gerd Peter Herter mit und kann eingedenk zahlreicher anderer Negativ-Berichte als Ausnahme der Regel bezeichnet werden. »Die Bahn«, so der Mössinger, »bringt mich immer (!!!) an mein Ziel – selbst in den hintersten Winkel Ostdeutschlands, in die Lausitz, wo ich öfters bin.« Und wenn doch mal etwas nicht zufriedenstellend läuft? »Dann ist das Personal stets bemüht, die Probleme zu lösen. Man muss nur wertschätzend miteinander umgehen.«

Nach Meinung von Herter liege »die Personalknappheit mit allen daraus folgenden Umständen wie verspätete oder ausfallende Züge nicht in der Verantwortung der Bahn«. Sie sei vielmehr eine »gesamtgesellschaftliche« und dem »Demografiewandel« geschuldete. Seiner Ansicht nach fehlt es schlicht an Nachwuchs. Diesbezüglich spreche die Geburtenrate Bände.

Gleisarbeiten lähmen den Zugverkehr. Nach Beobachtung von Bahn-Pendlern haben sie binnen der zurückliegenden zwei Jahre deutlich
Gleisarbeiten lähmen den Zugverkehr. Nach Beobachtung von Bahn-Pendlern haben sie binnen der zurückliegenden zwei Jahre deutlich zugenommen. Foto: Jürgen Meyer
Gleisarbeiten lähmen den Zugverkehr. Nach Beobachtung von Bahn-Pendlern haben sie binnen der zurückliegenden zwei Jahre deutlich zugenommen.
Foto: Jürgen Meyer

Anke Bächtiger, Tübingen: Allgemeine Desorientierung

Schon seit zwanzig Jahren, verrät Anke Bächtiger, »pendele ich mit dem Zug zwischen Tübingen und Reutlingen«. Vor diesem Hintergrund und mit diesem Erfahrungsschatz kann die GEA-Leserin zweifelsfrei beurteilen, dass »die Bedingungen seit etwas mehr als einem Jahr immer schlechter werden«. Auch wegen Bahnstreiks, vor allem aber wegen Reparaturen am Schienennetz. »Es fallen Züge aus«, und habhafte Verspätungen »sind an der Tagesordnung«. Weshalb man nie wisse, »ob eine Verbindung klappt«.

»Wir Pendler«, so Bächtiger, »haben grundsätzlich viel Verständnis, aber wenn dann sogar der Service ausbleibt – auch weil Personal vor Ort von der Bahn nicht informiert wird, reißt einem irgendwann der Geduldsfaden.« Desorientierung allenthalben!

Die sieht dann zuweilen so aus, »dass wir morgens in Tübingen von einem Bahngleis zum nächsten flitzen, weil man denkt, dass der eine Zug jetzt doch früher fährt. Prompt steht man dann am verkehrten Gleis und muss zusehen, wie der verspätete Zug nun doch früher das Signal erhält und losfährt. Wir wünschen uns daher wenigstens eine Ansage, aus der hervorgeht, welcher Zug in Richtung Reutlingen an welchem Gleis zuerst fährt.«

Im Übrigen sei auch das Zugpersonal mangels Infos immer mal wieder am Rätseln: »Wir haben manchmal Mitleid mit den Zugbegleitern, die ebenfalls von Gleis zu Gleis flitzen, weil sie auch nicht wissen, wann welcher Zug wo ein- und abfährt. Ob das alles in absehbarer Zeit besser wird, bezweifle ich.« Ernüchterndes Bekenntnis: »Es gibt Momente, da wünsche ich mir ein Auto, obwohl ich wirklich gerne öffentliche Verkehrsmittel benutze.«

Iris O'Meara: Deutsche Pünktlichkeit? Fehlanzeige!

Besuch von einer ehemaligen Austauschschülerin aus Kanada: Seit 30 Jahren haben sich Iris O’Meara und die Kanadierin nicht mehr gesehen, jetzt wollen sie nach Berlin fahren. »Da unser Zug warten musste, bis eine Schranke geschlossen wurde, haben wir den Anschlusszug verpasst. Dieser wollte trotz Funkanfrage unseres Fahrers keine zwei oder drei Minuten warten. Im nächsten Zug (30 Minuten später) galt unsere Sitzreservierung nicht. Wir mussten nach jedem Halt getrennt neue Plätze suchen, konnten uns nicht unterhalten und die wenige gemeinsame Zeit nutzen. Das war sehr ärgerlich und meine Freundin war von der deutschen Pünktlichkeit und deutschem Service enttäuscht.« (GEA)