REUTLINGEN. Dr. Marcus Rall ist besorgt. Der Reutlinger Arzt schult Mediziner, auch zum Umgang mit Corona-Infektionen, und sagt: »Aus unserer Sicht und der vieler Experten wird in der Öffentlichkeit die Gefahr durch Aerosole weit unterschätzt oder ist gar nicht bewusst.« Die Aerosole sorgen nach Ansicht Ralls dafür, dass die Infektionszahlen derzeit so hoch sind – denn mit Abstandhalten allein könne man sich kaum vor ihnen schützen, jedenfalls nicht in geschlossenen ungelüfteten Räumen. Und dort halten sich im Winter die Menschen eben die meiste Zeit auf. Was kann, was sollte man tun? Rall, Gründer und Leiter des Inpass-Instituts für Patientensicherheit und Teamtraining in Reutlingen, hat einen mehrseitigen Info-Flyer dazu verfasst.
Im Sommer, wenn Fenster viel und weit geöffnet sind, sowie im Freien spielten Aerosole keine große Rolle, weil sie weggeweht und verdünnt werden. Jetzt aber, im Winter, haben Aerosole laut Rall »einen dramatischen Einfluss« bei der Verbreitung des Coronavirus.
»Je lauter gesprochen wird, desto mehr Aerosole werden produziert«
Aerosole sind feinste Tröpfchen, vergleichbar mit Zigarettenrauch, die sich relativ lange frei in der Luft bewegen und sich auch weit im Raum verbreiten können. Aerosole können lange in der Luft schweben, auch wenn die infizierte Person den Raum bereits verlassen hat. Aerosole sind so klein, dass sie normale Mund-Nasen-Schutzmasken oder Stoffmasken ohne Weiteres durchdringen. Diese und das Abstandhalten schützten dann nicht wirksam, schreibt Rall. Effektiv in Sachen Selbstschutz seien nur FFP2-Masken.
In Ralls Flyer findet sich ein Beispiel: In einem 30 Quadratmeter großen Raum mit 2,4 Metern Deckenhöhe halten sich sechs Personen vier Stunden lang auf. Gesprochen wird mit normaler Lautstärke. Eine der Personen ist mit dem Coronavirus infiziert. Ohne Masken und ohne Lüftung besteht dann für die anderen ein Infektionsrisiko von 34 Prozent. Wenn man Alltagsmasken trägt, reduziert sich das Risiko auf zehn Prozent, mit FFP2-Masken liegt es unter einem Prozent.
»Je mehr Personen im Raum sind und je lauter gesprochen wird, desto mehr Aerosole werden produziert. Je besser wiederum die Masken sind, umso geringer ist die Aerosolerzeugung: Ohne Masken ist sie sehr hoch, mit Alltagsmasken wird sie bereits halbiert, mit OP-Masken wird sie erneut halbiert und mit FFP2-Masken wird eine gefährliche Aerosolkonzentration fast komplett verhindert«, schreibt Rall.
Je größer der Raum im Verhältnis zur Personenzahl sei, desto niedriger sei die Aerosolkonzentration. Vor allem die Raumhöhe könne dabei einen Unterschied machen.
»Nur Stoßlüften ist wirksam, Fenster gekippt hilft nicht viel«
Je weniger gelüftet werde, umso mehr Aerosole sammelten sich an. Dabei gelte: »Nur Stoßlüften ist wirksam – Fenster gekippt hilft nicht viel!« Drei bis fünf Minuten Stoßlüften alle 20 Minuten sollten es schon sein. Zur Vorsicht rät Rall in kleinen, engen, nicht gelüfteten Räumen, zum Beispiel in Warteräumen oder Aufzügen. Grundsätzlich könne man sich sogar im Freien durch Aerosole anstecken, »wenn es eng wird und wenig Luftbewegung herrscht« – wie in überfüllten Fußgängerzonen. FFP2-Masken reduzierten nicht nur die Bildung von Aerosolen bei potenziell infektiösen Patienten fast vollständig; richtig angelegt schützten sie auch fast vollständig vor der Einatmung von infektiösen Aerosolen. Leiser sprechen reduziere die Aerosolentstehung, Schreien und Singen steigere sie deutlich.
Am effektivsten sei es, Kontakte zu reduzieren. Marcus Rall rät, sich in diesen Zeiten hoher Infektionszahlen mit Freunden und Verwandten möglichst draußen zu treffen – zum Beispiel bei einem Spaziergang. Mit warmer Kleidung könne man sich auch auf dem Balkon oder der Terrasse unterhalten. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, anderen Menschen nahe zu kommen, dann empfiehlt er, FFP2-Masken zu tragen. Der komplette Flyer ist im Internet nachzulesen. (eg/GEA)
www.cirs-health-care.de/corona-im-winter